Traditionelle Heiler
Informelle Gesundheitsversorgung bleibt wichtig in Afrika
Der Zugang zu moderner Gesundheitsversorgung bleibt südlich der Sahara ein großes Problem. Viele Menschen sind schlicht zu arm, um sie sich leisten zu können. Die meisten afrikanischen Länder haben das Ziel einer umfassenden Gesundheitsversorgung, aber das erscheint leider vielfach noch als utopisch. Zwar sind Leistungen staatlicher Kliniken wegen Subventionen oft günstig oder umsonst – doch diese Einrichtungen sind tendenziell überlaufen. Tatsächlich fließt für Behandlung in öffentlichen Gesundheitszentren oft Bestechungsgeld.
Die meisten Menschen in Afrika haben keine Krankenversicherung (siehe Dirk Reinhard auf www.dandc.eu). Das Angebot an privaten Versicherungen und staatlicher sozialer Sicherung (siehe Markus Loewe auf www.dandc.eu) muss dringend besser werden. Bisher werden die meisten Gesundheitsleistungen privat bezahlt.
In den wenigen afrikanischen Ländern, in denen es nationale Krankenversicherungssysteme gibt, profitiert davon nur eine Minderheit, wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO – World Health Organization) berichtet. Nigeria gehört weltweit zu den Ländern mit den höchsten privaten Gesundheitsausgaben – und den schlechtesten Gesundheitsindikatoren. 2016 wurden hier laut WHO 75 Prozent der Gesundheitsausgaben aus eigener Tasche bezahlt. In Ghana genießt derweil nur ein Drittel der Bevölkerung Schutz durch die nationale Krankenversicherung.
In den Städten ist zumindest ein gewisser Zugang zu wissenschaftlich ausgebildetem Fachpersonal gegeben, aber im ländlichen Raum ist die Lage schlechter. Dorfgemeinschaften verlassen sich oft komplett auf traditionelle Medizin. Heilerinnen und Heiler sind leicht erreichbar und vergleichsweise billig. Auch in den Städten ist das so. Allerdings diagnostizieren sie Krankheiten manchmal falsch oder raten zu unwirksamen Behandlungen. Das kann tödlich enden.
Uralte Praktiken
Traditionelle Medizin wird auch Ethnomedizin, Volksmedizin, Naturheilkunde oder Komplementär- und Alternativmedizin genannt. Sie basiert auf jahrtausendenalten, meist mündlich überlieferten Erfahrungen. Traditionell Praktizierende sind in Standardsituationen oft sehr kompetent. Sie wissen, wie man mit gebrochenen Knochen umgeht. Traditionelle Hebammen helfen Frauen bei Geburten. Bei Komplikationen stoßen sie aber an Grenzen. Kaiserschnitte zum Beispiel liegen jenseits ihrer Kompetenz.
Eine vergleichende Studie in Nigeria hat gezeigt, dass bei traditionellen Hebammen die Mütter- und Kindersterblichkeit höher ausfiel als bei wissenschaftlich fundierter Versorgung. Ähnliche Studien in Niger und Südafrika kamen zu demselben Ergebnisse.
Auch spirituelle oder religiöse Heilerinnen und Heiler haben oft Erfolge, die – abgesehen von mentalen Effekten – wissenschaftlich nicht erklärbar sind. Wenn Praktizierende traditioneller Medizin bei schwierigen Fällen aber nicht helfen könne, sollten sie Patienten besser an moderne Gesundheitszentren überweisen. Das geschieht leider nur selten. Moderne und traditionelle Medizin existieren ohne nennenswerten Austausch nebeneinander.
Was Patienten an traditioneller Medizin schätzen
Laut einer Studie aus Malawi (Lampiao et al 2019) liegt das nicht an der traditionellen Medizin. Traditionell Heilende zeigten sich demnach in höherem Maß zum Austausch bereit als medizinische Fachleute. Letztere äußerten Vorbehalte gegenüber traditionellen Praktiken und stellten Vorbedingungen für etwaige Zusammenarbeit. Traditionell Heilende hatten also durchaus Vertrauen in die Kompetenz moderner Fachleute; umgekehrt war das nicht der Fall.
Die Studie bestätigte, dass traditionelle Medizin unter anderem deshalb so beliebt sei, weil Praktizierende in den Dörfern leben und arbeiten. Also entfallen weite Anreisen. Über Kosten und Distanz hinaus gibt es aber noch andere Aspekte. Die Forschung zeigte, dass traditionell Heilende als respektvoller und zugänglicher galten als die wissenschaftlich ausgebildete Konkurrenz. Laut der Studie wendeten sich schätzungsweise 80 Prozent der Menschen in Malawi zur Behandlung an traditionell Praktizierende.
Leider ist das oft unzureichend. 2015 starben laut WHO etwa 1,6 Millionen Menschen in Afrika an Malaria, Tuberkulose und HIV-bedingten Krankheiten. Rechtzeitige Behandlung mit erschwinglichen modernen Medikamenten, Impfstoffen und anderen Gesundheitsleistungen hätte viele Leben gerettet. Tatsächlich erhielten viele Patientinnen und Patienten nie professionelle medizinische Hilfe. Und selbst wenn das der Fall gewesen wäre, wären die verschriebenen Medikamente für viele unerschwinglich gewesen. Mehr als 98 Prozent der in Afrika benötigten Medikamente werden außerhalb des Kontinents hergestellt. Sie sind durchaus teuer. Auch gefälschte Pharmaka sind ein großes Problem (siehe Assane Diagne’s Beitrag aus 2019 auf www.dandc.eu).
Das Problem mit pflanzlichen Arzneimitteln
Die Kräutermedizin ist eine der wichtigsten Formen der traditionellen Heilkunde. Sie hat ihren Nutzen, aber auch ihre Grenzen. Typische Probleme sind:
- Die Dosierung ist schwierig, sodass es zu Unter- und Überdosierungen kommen kann.
- Manchmal wird die falsche Pflanze verwendet.
- Giftige Verunreinigungen kommen recht häufig vor.
Es gibt Bemühungen, traditionelle und moderne Medizin besser miteinander zu vereinbaren. In den vergangenen 20 Jahren hat die WHO Geld und Technik bereitgestellt, um die traditionelle Medizin sicher und wirksam weiterzuentwickeln. In klinischen Versuchen erfüllten 89 traditionelle Produkte internationale und nationale Zulassungsanforderungen.
So haben mittlerweile vierzehn Länder die Zulassung für pflanzliche Arzneimittel erteilt. Etwa die Hälfte dieser traditionellen Produkte ist inzwischen auf nationalen Listen für essenzielle Arzneimittel zu finden. Sie spielen eine Rolle bei der Behandlung von Krankheiten wie Malaria, opportunistischen Infektionen im Zusammenhang mit HIV, Diabetes, Sichelzellenanämie und Bluthochdruck.
Jean-Baptiste Nikiema arbeitet für die WHO und hat sich auf essenzielle Arzneimittel spezialisiert. Ihm zufolge bremsen zwei wesentliche Faktoren den Fortschritt bei der wissenschaftlichen Zulassung traditioneller Medizin: politische Einmischung sowie Zurückhaltung bei der Veröffentlichung von Forschungsergebnissen, für die es keinen Schutz des geistigen Eigentums gibt.
Traditionelle Medizin bleibt in Afrika also weitgehend unreguliert und wird auch nicht von Aufsichtsbehörden überwacht – dem Wohle der Patientinnen und Patienten dient das nicht.
Literatur
Lampiao, F., Chisaka, J., und Clements, C., 2019: Communication between traditional medical practitioners and western medical professionals. In: Frontiers in Sociology.
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC8022779/
Ben Ezeamalu arbeitet als Journalist für die Premium Times in Lagos.
ben.ezeamalu@gmail.com
Twitter: @callmebenfigo