Politische Gewalt

Bedrohte Demokratie

Der Terrorismus höhlt Tunesien aus. Wenn das Land zu viele frustrierte Jugendliche an den islamistischen Extremismus verliert, wird es keine Stabilität geben. Sicherheitsvorkehrungen allein reichen nicht; Wirtschaftsentwicklung und soziale Gerechtigkeit sind ebenso wichtig. Von Aya Chebbi
Gemeinsame Trauer am Strand von Sousse. Messara/picture-alliance/dpa Gemeinsame Trauer am Strand von Sousse.

Am 18. März schockierte der Terrorangriff auf das Bardo-Museum in Tunis die Weltöffentlichkeit. 21 Menschen starben, die meisten waren Touristen aus Europa. Am 26. Juni folgte das Massaker von Sousse, wo ein Fanatiker im heiligen Monat Ramadan 38 Touristen ermordete.

Leider sucht der Terrorismus Tunesien schon lange heim. Auch 2014 und 2013 gab es Anschläge im Ramadan. Die Fanatiker wollen, dass die junge Demokratie scheitert.

Nachdem 2011 das Ben-Ali-Regime stürzte, setzte im Februar 2013 der Terror mit der Ermordung des Oppositionspolitikers Chokri Belaid ein. Wenige Monate später erlag Mohamed Brahmi, ein weiteres linkes Mitglied der Nationalversammlung, einem Anschlag. Extremisten hassten die weltlich ausgerichteten Politiker. Dass die Täter straflos blieben, trug zur Instabilität bei.

Seit Anfang 2013 töteten Terroristen mehr als 40 Soldaten. Einer ihrer Angriffe war der blutigste, den Tunesiens Streitkräfte seit der Unabhängigkeit im Jahr 1956 erlebten. Mittlerweile wählen die Gewalttäter aber statt Militär und sonstigen Sicherheitskräften zivile Ziele in Städten. Weil in Sousse und im Bardo-Museum vor allem Ausländer starben, wurden Reisewarnungen ausgesprochen, so dass nun weniger Touristen den Sommer hier verbringen.

Der Fremdenverkehr ist eine wichtige Branche. Ohne seine Einnahmen wäre das Handelsbilanzdefizit Tunesiens 2014 doppelt so groß gewesen. Sousse ist ein wichtiges Touristenzentrum. Die Stadt trägt ungefähr 14 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei und bietet 12 Prozent der Erwerbstätigen Arbeit. 

In Sousse leben fast alle direkt oder indirekt vom Tourismus. Die Anschläge wirkten sich auf die Geschäftstätigkeit in der Lebensmittelversorgung, dem Handwerk, den Banken und sogar den archäologische Stätten aus. Im ganzen Land leidet die Konjunktur, und das Interesse ausländischer Investoren scheint zu sinken. Aber gerade jetzt in Tunesien zu investieren, wäre sehr wichtig, weil es unsere Demokratie stärkt.

Ohne Zweifel sind die nationale Sicherheit, die demokratische Ordnung, die makroökonomische Stabilität und alle Versuche, soziale Gerechtigkeit zu schaffen, bedroht. In Reaktion auf den Terrorismus und seine Propaganda hat die Regierung bislang aber keine kohärente Strategie entwickelt. Die Grundprobleme werden nicht angegangen.  

Die öffentliche Debatte kreist nicht um echte Lösungen, sondern darum, wer für die Verwundbarkeit des Landes verantwortlich ist. Das Thema prägte auch schon die Wahlkämpfe des vergangenen Jahres. Es stimmt zwar, dass die Sicherheitskräfte so unterbesetzt und unzureichend ausgerüstet sind, dass sie der Probleme nicht Herr werden können. Allerdings können Sicherheitskräfte die Ursachen der Gewalt nicht lösen.

Wegen des Terrorismus gibt die Regierung jetzt weniger für Bildung und Infrastruktur aus. Das Geld fließt in den Sicherheitsapparat. Übereifer hilft aber auch nicht. In den drei Monaten nach dem Museumsanschlag will die Regierung 7000 Sicherheitsoperationen durchgeführt, 1000 Menschen festgenommen und 15000 an der Dschihad-motivierten Ausreise gehindert haben. Solche Zahlen lassen sich nicht überprüfen und ob die Maßnahmen effektiv sind auch nicht.

Diese Sicherheitsmaßnahmen haben die britische Regierung jedenfalls nicht davon abgehalten, Tunesien in dieselbe Gefahrenkategorie einzuordnen wie Afghanistan, Irak und Somalia. Sie forderte ihre Staatsbürger auf, Tunesien zu verlassen, und 2000 taten das auch umgehend.

Das zentrale Problem ist die Wirtschaftskrise, die junge Leute radikalisiert. Arbeitslose Jugendliche in marginalisierten Städten fühlen sich von islamistischer Rhetorik angezogen. Ausgegrenzt und arbeitslos sehen sie sich als Opfer eines weltlichen Regimes, sogar als Märtyrer. Sie sehen sich nicht als Verbrecher, die die Demokratie unterminieren. ISIS scheint deshalb so attraktiv, weil junge Leute nicht die nötige Unterstützung bekommen. Polizeigewalt ist ebenso ein Problem.

Der in Tunesien bekannte Rapstar Emino tauschte seine Karriere gegen eine Mitgliedschaft bei ISIS ein, nachdem er für seine politischen Texte eingesperrt worden war und Polzeigewalt erleben musste. Schätzungen zufolge kämpfen mittlerweile rund 3000 Tunesier als ISIS-Dschihadisten in Syrien.

Tunesien kann keine Stabilität schaffen, wenn es zu viele frustrierte Jugendliche verliert. Europa muss achtgeben. Sollte die erste echte arabische Demokratie scheitern, würde das auch Europa große Probleme bereiten.

Aya Chebbi ist eine tunesische Bloggerin. Blog: Proudly Tunisian http://aya-chebbi.blogspot.com/

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