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Gesundheitswesen

Zwischenbilanz: Covid-19-Impfungen in Afrika

Südlich der Sahara sind die Gesundheitswesen schwach. Impfungen helfen, Menschen sicherer leben zu lassen.
Polio ist Geschichte – Impfungen in einem Lager für Binnenvertriebene in Nigeria. picture alliance/AP Photo / Sunday Alamba Polio ist Geschichte – Impfungen in einem Lager für Binnenvertriebene in Nigeria.

Impfen verhindert Krankheiten und trägt zur Armutsbekämpfung bei (wie ich zusammen mit Kollegen 2018 auf www.dandc.eu ausgeführt habe). Gut konzipierte Kampagnen stärken zudem die Kapazitäten des Gesundheitswesens generell. Deshalb hat die multilaterale World Health Assembly mit zivilgesellschaftlicher Unterstützung die Immunisation Agenda 2030 (IA2030) beschlossen. Das Ziel ist eine Welt, in der Vakzine jeder und jedem altersunabhängig und überall vollständig zugutekommen.

Vor der Covid-19-Pandemie gab es in Afrika beachtliche Fortschritte. In den 1970er Jahren schützten DTP3-Impfungen nur etwa fünf Prozent der Bevölkerung gegen Diphtherie, Tetanus und Keuchhusten. 2015 betrug die Quote dann 80 Prozent, ist aber seither kaum noch gestiegen.  Der Kontinent ist auch bei der Eliminierung von neonatalem und mütterlichem Tetanus deutlich vorangekommen. Ein wichtiger Meilenstein war zudem, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO – World Health Organization) 2016 den Kontinent als frei von wildem Poliovirus bezeichnete.

Neue Impfstoffe wurden langsam aber kontinuierlich eingeführt – gegen Rotavirus, Streptococcus pneumoniae and Humane Papillomviren (HPV). Immer mehr afrikanische Jugendliche werden gegen HPV geimpft.

Allerdings sind weiterhin 10 Millionen Kinder in Ländern mit niedrigen Einkommen ungeimpft. Die meisten dieser Länder sind in Afrika. Den Betroffenen drohen Kinderlähmung, Masern und Lungenentzündung. Dass mittelose Familien besonders betroffen sind, überrascht nicht. In der Tat leben zwei Drittel der ungeimpften Kinder unterhalb der internationalen Armutsgrenze. Arme Menschen profitieren am wenigsten von dem Schutz der modernen Medizin.

Die Coronapandemie bietet Verbesserungschancen, aber die Erfahrungen sind bislang leider durchwachsen. Es gibt positive und negative Auswirkungen.

Schattenseiten

Armut und Ungleichheit sind schlimmer geworden (siehe Ronald Ssegujja Ssekandi auf www.dandc.eu). Entsprechend wird nun auch die Verwirklichung der IA2030 in Afrika schwerer fallen.

In der Anfangszeit der Pandemie wurden die etablierten Impfkampagnen 2020 unterbrochen, denn Priorität hatten Lockdowns und Ausgangssperren. Manche Länder setzten die Immunisierungen sogar komplett aus. Andererseits blieben aber die Menschen aus Angst vor Covid-Ansteckung auch den oft überfüllten Gesundheitszentren fern. Ende 2020/Anfang 2021 standen Afrikas Gesundheitssysteme unter hohem Druck. Ihr Personal war wegen der vielen Überstunden erschöpft.

Auf der Basis der bestehenden Strukturen starteten 2021 dann die ersten Covid-Impfungen. Nötig waren dafür neue Kühlketten, Fachkräfte und Geld. Die unerwünschte Nebenwirkung war also, dass andere Impfkampagnen in Hinsicht auf Logistik, Personal und Finanzierung beeinträchtigt wurden.  Erfreulicherweise zeigen aktuelle Daten, dass die Standard-Immunisierungen in den meisten afrikanischen Ländern mittlerweile wieder Schwung bekommen haben. Das zeigt, dass das Gesundheitswesen stark sein muss, wenn in einer Pandemie Alltagsdienstleistungen beibehalten werden sollen. Diese Lektion sollten politische Entscheidungsträger beherzigen.

Schädliche Infodemie

Leider hat in gewissem Maß das Vertrauen in Impfungen gelitten. Das neuartige Coronavirus sorgte weltweit für Aufregung, sodass viel Information ausgetauscht wurde, die aber oft nicht zuverlässig war. Der Begriff „Infodemie“ steht für eine Überdosis an häufig irreführenden Nachrichten im Internet und anderswo. Desinformation steht dabei für absichtliche Irreführung und Fehlinformation für unbeabsichtigte Verwirrung. Beides kommt weltweit vor.

Als es mit Covid-Impfungen ernsthaft losging, wurde deutlich, dass die Infodemie sich auf Afrika auswirkt. Leider beeinträchtigt sie auch das Vertrauen in herkömmliche Impfstoffe. Zuvor hatte der Kontinent kaum Impfskeptiker, aber nun sind ihre Stimmen lauter geworden und finden auch einen gewissen Anklang. Das gilt besonders dort, wo Regierungen Impfpflichten erwogen haben. Offensichtlich ist mehr Aufklärung nötig, was Behörden aber auch Chancen bietet, enger mit zivilgesellschaftlichen Organisationen zu kooperieren.

Problematisch ist obendrein, dass seit Pandemiebeginn die Forschung sich in hohem Maße von anderen Krankheiten abwandte und mehr Geld und Mühe in Coronastudien steckte. Gut daran war, dass die neue Krankheit relativ schnell verstanden wurde und in Rekordzeit Vakzine entwickelt wurden. Der Preis dafür war aber, dass weniger für die Erforschung der Krankheiten getan wurde, die vor allem Länder mit niedrigen Einkommen plagen. Afrika braucht afrikaspezifische medizinische Studien. Es ist nicht gut, dass unsere Bedürfnisse typischerweise hinter denen der Länder mit hohen Einkommen zurückstehen müssen.

Ein Grundprinzip der IA2030 ist nationalstaatliche Verantwortung für die Impfpolitik. Um sie gut zu konzipieren, sollten sich Regierungen auf örtliche Evidenz stützen. Wichtig ist dabei die Beratung durch die National Immunization Technical Advisory Groups (NITAGs – nationale impftechnische Beratungsgruppen). Leider haben manche afrikanische Länder nun spezielle Expertenkomitees nur für Coronavakzine einberufen. Es wäre besser gewesen, die NITAGs zu stärken und dort, wo es noch keine gibt, sie endlich einzurichten.

Lichtblicke

Die Pandemie hat weltweit die Forschung und Entwicklung auf bisher einmalige Weise beschleunigt. Nur etwa fünf Prozent der klinischen Erprobung (145 von mehr als 3000 Studien) lief in Afrika, was aber dennoch eine gute Grundlage ist, auf der wir aufbauen können. Selbstredend wären mehr afrikanische Tests noch besser geworden, aber alles was diesbezüglich geschieht, stärkt die fachlichen Voraussetzungen und die Infrastruktur für medizinische Forschung in unserer Weltregion.

Wichtig ist auch, dass innovative Vakzine Afrika früher erst ein Jahrzehnt nach der Einführung in  Hocheinkommensländern erreichten. Diesmal war das schon nach sechs Monaten der Fall. Die Impfquoten sind auf diesem Kontinent immer noch niedrig, aber sie sind höher, als nach bisherigen Erfahrungen zu erwarten war (wie ich vor einem Jahr auf www.dandc.eu ausführte). Dazu trugen verbesserte gesetzliche Rahmenbedingungen bei.

Niemanden zurücklassen

Das Ziel der IA2030 ist eine Welt, in der jede und jeder altersunabhängig und überall die vollen gesundheitlichen Vorteile von Vakzine genießt. Die Erfahrungen mit Coronaimpfungen und die dafür getätigten Investitionen werden helfen, die gesamte junge Bevölkerung Afrikas zu schützen.

Der Kontinent hat 14 Prozent der Weltbevölkerung, aber nicht einmal 0.1 Prozent der Impfstoffherstellung. Covid hat gezeigt, wie verwundbar wir sind. Die unzureichende Impfstoffversorgung hat ernsthafte Debatten in der Fachwelt ausgelöst und zu dem Konsens  geführt, dass die Produktion in Afrika deutlich steigen muss (siehe Box).

2021 veranstalteten die Kommission der afrikanischen Union mit den Africa Centres for Disease Control (Africa CDC) einen zweitägigen Gipfel. Es ging darum, nach der Pandemie mit größerem Ehrgeiz bessere und umfangreichere Kapazitäten für die Vakzinfertigung zu schaffen. Entsprechend kooperiert nun die African Vaccine Manufacturing Initiative (AVMI) mit internationalen Partnern, zu denen auch die WHO gehört. Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung war, dass ein Zentrum für mRNA-Technologietransfer in Südafrika eingerichtet wurde. Viele Fragen sind zwar noch ungeklärt, aber die Dinge sind in Bewegung geraten, und die Wahrscheinlichkeit, dass Afrika in der nächsten Gesundheitskrise wieder ganz hinten in der Schlange steht, ist jetzt kleiner als je zuvor.

Partnerschaften und Kooperation

Die Pandemie hat neue Partnerschaften auf globaler, regionaler und nationaler Ebene entstehen lassen. Zusammenarbeit machte es möglich, Impfstoffe schnell zu entwickeln. Afrika hat nun viele neue Konsortien für relevante Angelegenheiten wie Finanzmonitoring und Impfstoffbeschaffung. Es gibt neue Netzwerke für die Koordination der Datenerhebung, den Informationsaustauch und für Öffentlichkeitsarbeit. Vertreter vieler Länder haben sich zusammengetan, um einschlägige Probleme anzugehen, was mit Sicherheit für alle beteiligten Staaten gut sein wird. Tatsächlich kann sich als Vorteil dieser schrecklichen Pandemie noch erweisen, dass sich die Spielregeln auf dem Kontinent geändert haben.

Selbst die Reisebeschränkungen könnten eine unerwartete, aber erfreuliche Nebenwirkungen haben. Angehörige der reichen Eliten waren gewohnt, für ärztliche Behandlung nach Europa zu fliegen. Nun mussten sie am eigenen Leib erfahren, wie wichtig das heimische Gesundheitswesen ist.


Benjamin M. Kagina arbeitet als Senior Research Officer für die Vaccines for Africa Initiative (VACFA) der medizinischen Fakultät der Universität Kapstadt. Er leitet den Support Hub für NITAGs (National Immunization Technical Advisory Groups).
benjamin.kagina@uct.ac.za