Steuerflucht

„Rhetorischer Mentalitätswandel“

Lange galt Steuerhinterziehung als Kavaliersdelikt. Die ganz Schlauen schafften ihr Geld gleich ins Ausland. Darunter waren afrikanische Potentaten ebenso wie westliche Manager und multinationale Firmen. Georg Stoll erläutert, warum das fatal für viele Länder ist.

Während des G20-Gipfels Anfang April gerieten Steueroasen in die Kritik, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) veröffentlichte eine schwarze Liste, und inzwischen haben alle genannten Steuerparadiese angekündigt, künftig die OECD-Standards zur Übermittlung von Informationen einzuhalten. Was ist das wert?
Einerseits ist das eine sehr positive Entwicklung, weil es inzwischen eine größere Sensibilität für das Thema und öffentlichen Druck gibt. Ein Statement gegen das Bankgeheimnis, wie es in der G20-Abschlusserklärung steht, wäre vor einem Jahr noch völlig undenkbar gewesen. In dieser Hinsicht gibt es zumindest rhetorisch einen Mentalitätswandel. Die Erklärungen sind aber nur eine Reaktion auf den starken Druck. Kein Land wollte auf der schwarzen Liste landen. Die Zugeständnisse treffen das Geschäftsmodell der Steueroasen jedoch nicht wirklich.

Welche Maßnahmen wären denn notwendig?
Besonders wichtig ist, dass nationale Steuerbehörden automatisch Informationen austauschen. Denn Behörden brauchen zunächst Anhaltspunkte oder einen Verdacht, um gezielte Nachforschungen anzustellen. Das allein erfordert aber schon eine Menge Informationen. Und Steueroasen wollen ja genau diese Informationen verschleiern. Der Fall des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Post AG, Klaus Zumwinkel, illustriert das sehr deutlich: Wäre der Behörde nicht eine CD mit belastenden Informationen zugespielt worden, wäre er nie aufgeflogen.

Und was muss sonst noch passieren?
Wir brauchen ein multilaterales Abkommen zum Informationsaustausch. Im Moment werden in erster Linie Abkommen zwischen einzelnen Ländern geschlossen, auch die G20-Erklärung geht noch in diese Richtung. Das überfordert aber die Verwaltungen vieler Entwick­lungsländer. Solange kein multilaterales Abkommen verpflichtende Standards für alle Länder setzt, wird es gerade für Entwicklungsländer keine Verbesserung geben. Außerdem sind ein unabhängiges Monitoring und Sanktionen notwendig.

Was bedeutet Steuerflucht für arme Länder?
Entwicklungsländer sind auf zweierlei Weise von Steuerflucht betroffen. Zum einen, weil reiche Einzelpersonen und Mitglieder von Regierungscliquen Vermögen außer Landes schaffen, in Steueroasen anlegen und die entstehenden Gewinne nicht versteuern. Dieses Geld stammt häufig auch aus Korruption. Noch mehr Geld geht aber dadurch verloren, dass multinationale Unternehmen gezielt Gewinne und Verluste innerhalb ihrer Tochtergesellschaften verschieben, um sie nicht zu versteuern. Nach den letzten Schätzungen sind auf diese Weise zwischen 2002 und 2006 jedes Jahr allein in den Entwicklungsländern mindestens 370 Milliarden Dollar der Besteuerung entzogen worden.

Entwicklungsländer verlieren auf diese Weise somit jedes Jahr mehr Geld als sie an Entwicklungshilfe bekommen. Könnte man also Entwicklungshilfe abschaffen, wenn es gelänge, Steueroasen vollständig auszutrocknen?
Wenn man einfach die Zahlen gegenüberstellt, ja. Aber man muss neben der internationalen Dimension auch immer die nationale Dimension im Auge behalten. Es kommt ja auch darauf an, dass mögliche Steuermehreinnahmen auch zur Armutsbekämpfung verwendet werden und Mehreinnahmen nicht doch wieder primär korrupten Eliten zur Verfügung stehen. Das ist aber nur gewährleistet, wenn Parlamente und Zivilgesellschaft die nationalen Haushalte kontrollieren können.

Das Interview führte Claudia Isabel Rittel.