Entwicklungspolitik und Islam
Ziele gemeinsam umsetzen
Weltweit fühlen sich acht von zehn Menschen einer Religion zugehörig. Sie spielt in ihrem Alltag eine maßgebliche Rolle und beeinflusst ihr Handeln. Aus diesem Grund gab es in den vergangenen Jahren erste konkrete Bemühungen, die gestalterischen Potenziale von Religion in die entwicklungspolitische und internationale Zusammenarbeit einzubeziehen.
Der Islam ist in vielen Partnerländern der deutschen Entwicklungspolitik Staatsreligion und somit ein maßgeblicher politischer, wirtschaftlicher, rechtlicher und kultureller Faktor. Steigende Geburtenraten in islamischen Ländern stützen Prognosen, nach denen es bis 2070 weltweit mehr Muslime als Christen geben wird. Der Islam stellt für viele Gläubige den zentralen Orientierungs- und Handlungsrahmen dar, er bietet eine ethisch-moralische Richtschnur für das Leben der Muslime. Islamische Werte wie die Bewahrung der Schöpfung, die Gemeinwohlorientierung aber auch soziale Gerechtigkeit als Verpflichtung zu einer gerechten Verteilung weisen wichtige Anknüpfungspunkte zum Konzept der nachhaltigen Entwicklung auf wie sie die deutsche Entwicklungspolitik anstrebt (siehe dazu auch Beitrag von Martina Sabra zur Islamischen Wohlfahrt in E+Z/D+C 2015/09, S. 25 ff.).
Die Wertschätzung lokaler Traditionen und Werte ist ein entscheidender Faktor in der internationalen Zusammenarbeit. Sie fördert die Eigenverantwortung der Partner und ist maßgeblich für die Umsetzung entwicklungspolitischer Ziele.
Bessere Zusammenarbeit
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) beauftragt, im Rahmen des Sektorvorhabens Werte, Religion und Entwicklung, das Potenzial der Religionsgemeinschaften für nachhaltige Entwicklung zu bestimmen. Außerdem sollte die GIZ Beispiele gelungener Kooperation zusammenstellen und Strategien aufzeigen, wie religiös definierte Gemeinschaften und Organisationen vermehrt und besser mit staatlichen Organisationen zusammenarbeiten können.
Beispiele erfolgreicher Partnerschaften zwischen staatlichen Entwicklungsakteurenagencys und religiösen Organisationen (RO) sind wichtig, um eine wertebasierte Kooperationskultur zu stärken. Empirische Beispiele erhöhen auch die Kenntnisse über Religionen weltweit und damit die religious literacy, also die Kenntnis von Religionen und die Fähigkeit diese zu verstehen. Diese ist Voraussetzung, um Gemeinsamkeiten innerhalb der verschiedenen Religionen zu entdecken.
Eine erste Analyse zeigt, dass Kooperationen mit RO vor allem in den Bereichen Bildung, Frieden und Sicherheit, Gesundheit, Nothilfe sowie Energie und Umwelt stattfinden. Religiöse Akteure pflegen in der Regel eine langfristige Zusammenarbeit mit den Menschen vor Ort und sie bauen dauerhafte und vertrauensvolle Beziehungen über lokale Partnergemeinden auf. In autoritären Staaten sind RO meist die einzig effektive zivilgesellschaftliche Instanz. In einigen Ländern Subsahara-Afrikas leisten sie über 60 Prozent der medizinischen Versorgung.
Dennoch ist das Verhältnis von Religion und Entwicklung durchaus ambivalent: Bestimmte Akteure instrumentalisieren Religion nicht selten, um ihre Vorherrschaft und Ausbeutung zu legitimieren. Deshalb muss differenziert betrachtet werden, ob und warum religiöse Akteure positiv oder negativ auf Entwicklungsprozesse wirken. Religiöse Akteure tragen oftmals lange vor staatlichen Institutionen zum Fortschritt eines Landes bei. Dies wird bislang aber noch wenig erkannt. Die Öffentlichkeit nimmt den Missbrauch von Religion wesentlich deutlicher wahr als ihre Potenziale.
Bestehende erfolgreiche Kooperationen
Im Folgenden sollen drei vielfältige Beispiele gelungener Kooperation von GIZ und islamischen Autoritäten in Jordanien, Algerien und Afghanistan dargestellt werden. Die wirtschaftliche Entwicklung Algeriens sowie das starke Wachstum städtischer Ballungsräume führen zu drastischer Umweltverschmutzung, der Übernutzung von Wasserressourcen, einem hohen Müllaufkommen und steigender Abgasbelastung. Dabei ist der Respekt vor der Schöpfung im Islam – wie in allen anderen Weltreligionen auch – fest verankert.
Hier setzte das BMZ-geförderte Projekt Integriertes Umweltmanagement 2007 in Algerien an, das das Umweltbewusstsein der algerischen Bevölkerung erhöhen sollte. Dazu wurden über 30 lokale Imame und Koranschullehrer und -lehrerinnen bei einem Capacity Development Workshop ein Jahr lang im Bereich Umweltschutz geschult. Anhand der Themen Wasser, Hygiene, Müll, Grünflächen, Artenvielfalt und Umwelterziehung wurde aufgezeigt, wie sie die Gläubigen zu umweltfreundlichem Handeln motivieren können.
Dazu erstellte die GIZ ein Lehrbuch, das die Bedeutung der Artenvielfalt für die Lebensumwelt der Menschen erklärt. Die Argumente wurden darin koranschulgerecht aufbereitet und durch religiöse Argumente untermauert. Die Teilnehmer des Workshops wurden auch in der Anwendung des Lehrbuchs und der passenden Didaktik geschult. Heute macht das Das Lehrbuch in Pakistan Karriere und wird noch heute in vielen Koranschulen der Region verwendet.
Anregung zum Wassersparen
Jordanien gehört zu den wasserärmsten Ländern weltweit. Bevölkerungswachstum, zunehmende wirtschaftliche Entwicklung sowie die wachsende Zahl von Flüchtlingen aus Syrien erhöhen den Wasserverbrauch zusätzlich. Infolge der Wasserknappheit nehmen soziale Spannungen zwischen Syrern und Jordaniern zu. Auch hier versucht die GIZ über religiöse Autoritäten für das Thema Wasserknappheit zu sensibilisieren. Imame und Religionslehrer werden etwa als Wasserbotschafter eingesetzt, Lehrmaterial wurde erstellt sowie Curricula zu Ressourcenschutz. Der Ansatzpunkt war auch hier der muslimische Glaube, dem überüber 90 Prozent der jordanischen Bevölkerung und der aufgenommenen syrischen Flüchtlinge angehören. Das Thema Wasser spielt in den Offenbarungsquellen des Islams eine bedeutende Rolle und es gibt in den Überlieferungen über das Leben des Propheten Mohammed zahlreiche Beispiele, die einen sparsamen Umgang mit Wasser aufzeigen.
Frauenrechte
Eine argumentativ große Herausforderung stellt die rechtliche und politische Gleichsetzung von Frauen in Afghanistan dar. Das Recht auf Zugang zu Bildung, Gesundheit und sozialer Sicherung existiert für die meisten Frauen nur theoretisch. Das liegt daran, dass mehrere Rechtssysteme nebeneinander existieren: das traditionelle, das islamische und das staatliche Recht. Die afghanische Verfassung bietet mit ihrer sunnitisch-hanafitischen Ausrichtung Spielraum für die Verwirklichung von Frauenrechten.
Ein Ziel des GIZ-Programms zur Förderung der Rechtsstaatlichkeit in Afghanistan ist daher, den Zugang von Frauen und Mädchen zu formalen Rechtsinstitutionen zu stärken. Mit der Ulema Shura (Rat der Gelehrten) gibt es eine staatlich berufene Versammlung von Rechtsgelehrten, die in allen Landesteilen tätig ist. Die GIZ erreichte einen Konsens bezüglich verfasster Frauenrechte bei den Mitgliedern der Ulema Shura. Seitdem fördern sie Frauenrechte aktiv durch ihre Netzwerke und in den Freitagspredigten, die direkt nur an Männer gerichtet sind. Die Ulema Shura sensibilisiert zusätzlich Dorf- und Ältestenräte sowie religiöse Autoritäten mit Aufklärungskampagnen für Frauenrechte.
Dabei hat es sich als zentral herausgestellt, Männer als Kooperationspartner zu gewinnen. Nur durch ihre Akzeptanz und ihre Hilfe ist eine Umsetzung von Frauenrechten möglich. Um die Männer zu überzeugen, werden ihnen vor allem die Chancen und Vorteile aufgezeigt, die sich durch die Durchsetzung von Frauenrechten für ihre Familien ergeben. Zivile Streitschlichter sowie Staats- und Rechtsanwälte erhalten Fortbildungen in Familien- und Erbrecht und werden somit auch für die rechtliche Vertretung von Frauen geschult.
Nabiela Farouq ist Islamwissenschaftlerin und Beraterin im Sektorvorhaben Werte, Religion und Entwicklung bei der GIZ.
nabiela.farouq@giz.de
Ulrich Nitschke ist Leiter des selben Sektorvorhabens.
ulrich.nitschke@giz.de