Staatsfinanzen
Unterhöhlte SDG-Agenda
Bislang haben 42 Staaten von dem Moratorium der Schuldendienste, das die Gruppe der 20 größten Volkswirtschaften (G20) beschlossen hat, Gebrauch gemacht. Wie die Financial Times Mitte September berichtete, geht die Weltbank davon aus, gemeinsam hätten sie etwa 5,3 Milliarden Dollar einbehalten, was etwa der Hälfte der erwarteten Summe entspräche.
Weltbankpräsident David Malpass äußerte sich enttäuscht darüber, dass private Geldgeber sich der G20-Initiative nur sehr langsam anschlössen. Er warnte, wenn wegen staatlicher Sparpolitik zu wenig in Bildung und Gesundheit investiert werde, drohe ein „verlorenes Jahrzehnt“.
In der Fachwelt steht dieser Begriff für die überschuldungsbedingte Stagnation vieler afrikanischer und lateinamerikanischer Volkswirtschaften in den 1980er und 1990er Jahren. Kristalina Georgiewa, die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), sieht das ähnlich. Tatsächlich warnten Beobachter schon vor dem Covid-19-Ausbruch vor erneuter Überschuldung vieler Staaten. Die Pandemie verschärft die Probleme.
Das G20-Schuldendienstmoratorium hilft, aber es vertagt Zahlungsprobleme nur. Nächstes Jahr muss wieder Geld an öffentliche Gläubiger fließen – oder vielleicht auch später, wenn das Moratorium noch mal verlängert wird, was Weltbank und IWF fordern.
Die etablierten Geberregierungen und die multilateralen Finanzinstitutionen sind in Finanzkrisen nicht mehr so stark wie früher. Das liegt an der enorm gestiegenen Kreditvergabe von Schwellenländern – insbesondere China – aber auch von privaten Gläubigern. Angesichts niedriger Zinsen in reichen Ländern suchten letztere ertragreichere Anlagemöglichkeiten in Entwicklungsländern. Zivilgesellschaftliche Organisationen weisen darauf hin, dass Schuldenprobleme Regierungen vieler Länder daran hindern, in ausreichendem Maß in die Erreichung der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDGs) zu investieren. Manche fordern ein internationales Staatsinsolvenzrecht, um Überschuldungsprobleme systematisch zu lösen (siehe Hans Dembowski im Monitor von E+Z/D+C e-Paper 2020/03). Dieser Position hat sich Anfang Oktober auch IWF-Chefin Georgiewa angeschlossen. Die große Frage ist nun, ob sie die etablierten Geber überzeugen kann – denn diese haben sich bislang immer gegen solche Vorschläge gewehrt.
Auch in anderer Hinsicht agiert der IWF derzeit unorthodox. Er hat die reichen Länder aufgefordert, niedrige Zinsen für schuldenfinanzierte Infrastrukturinvestitionen zu nutzen. Das könnte die Covid-19-Wirtschaftskrise mildern und zugleich den Übergang zur Nachhaltigkeit beschleunigen.