Evaluation
Geberkriterien sind einseitig
[ Interview mit Demba Moussa Dembélé ]
Was sollte offizielle Entwicklungshilfe (ODA) leisten?
Entwicklungshilfe hatte eigentlich die Aufgabe, die Kluft zwischen armen und reichen Ländern zu verringern – durch die Verbesserung des Lebensstandards und von Gesundheit, Bildung und Beschäftigung. Tatsächlich ist es aber so, dass die Schere zwischen Nord und Süd noch weiter auseinander gegangen ist, und die Zahl der Armen wächst. Die entwickelten Länder haben daraus geschlossen, dass ihre Gelder verschleudert werden – durch die Korruption und Ineffizienz der Empfängerländer.
Daher der Ruf nach Wirksamkeit in der Entwicklungshilfe.
Ja. Die Geberregierungen wollen angesichts der Kritik zu Hause und von internationalen Nichtregierungsorganisationen (NROs) zeigen, dass die ODA etwas bewirkt. Dazu veröffentlichen sie Statistiken. Etwa darüber, wie viele Kinder gegen Masern geimpft wurden oder wie viele Menschen an Malaria gestorben sind. Andere Statistiken gibt es zu Bildung und Infrastruktur. Sie sollen den Menschen zeigen, dass die ODA Leben rettet, Mädchen Bildung ermöglicht, und so weiter. Der Haken ist, dass den Empfängerländern die Schuld für die Misserfolge zugeschrieben wird. Dabei wird ignoriert, dass auch das globale Umfeld potentielle Erfolge oft zunichte macht. Die Debatte über „Entwicklungswirksamkeit“ verbleibt innerhalb des dominanten neoliberalen Modells, das jetzt eine Finanzkrise von historischem Ausmaß ausgelöst hat.
Heißt das, Sie halten nichts davon, die Ergebnisse überhaupt zu messen?
Mir gefällt nicht, dass die Frage nach „Ergebnissen“ inzwischen wie ein Damoklesschwert über den Empfängerländern hängt. Ihre Politik allein entscheidet nicht über Erfolg oder Misserfolg von Hilfe. Wichtig ist auch, zu welchen Bedingungen Hilfe gewährt wird – z. B. die Geschwindigkeit der Auszahlungen usw. Außerdem spielen die internationalen Beziehungen eine Rolle. Sehen Sie sich nur die Welthandelsordnung an, den Klimawandel oder die Sicherheitsprobleme. Es ist ungerecht, den Empfängerländern allein die Schuld für „schlechte“ Ergebnisse in die Schuhe zu schieben. Das verschärft die Heuchelei zwischen Nord und Süd.
Wie definieren Sie „Entwicklung“?
Als strukturelle ökonomische, soziale und politische Veränderungen zum Wohle der Menschen. Entwicklung ist grundsätzlich politisch und sozial. Sie kann nicht in technischen Details gemessen werden. Leider neigt das neoliberale Modell dazu, „Entwicklung“ mit Wirtschaftswachstum gleichzusetzen. In Afrika gingen aber in den letzten Jahren hohe Wachstumsraten mit einer schlechteren Gesundheit, Bildung und Ernährung der Menschen einher.
Die Pariser Erklärung und die Accra Agenda betonen das Prinzip des „ergebnisorientierten Managements“. Wie misst man Ergebnisse?
Geberagenturen veröffentlichen Statistiken zur Zahl der Gesundheitszentren, Schulen, Lehrer, Ärzte, Krankenschwestern usw. Natürlich ermöglicht eine höhere Quantität prinzipiell auch eine bessere Betreuung. Aber was sagt das darüber aus, wie sich zusätzliche Schulen, Krankenhäuser und Fachkräfte auf das Wohlergehen der Menschen vor Ort auswirken? Wie zufrieden ist die Gemeinschaft? Das sind doch die Leute, um die es geht. Ökonomen nehmen einfach an, dass es der Community besser geht, wenn mehr Menschen Zugang zu Sozialdiensten haben. Aber wie steht es mit der Qualität der Betreuung? Zahlen an sich bedeuten noch nicht eine Verbesserung der Lebensbedingungen. Die Menschen in Afrika fragen sich, ob ihr Schicksal den Gebern wirklich wichtig ist – oder ob sie einfach nur Gelder verteilen, um der Kritik zu entgehen.
Die Glaubwürdigkeit von Regierungen ist – milde formuliert – sowohl in Geber- als auch in Entwicklungsländern angekratzt. Regierungen armer Länder werden regelmäßig für eine „schlechte Regierungsführung“ verantwortlich gemacht; der Ruf der reichen Ländern leidet unter ihrer ungerechten Handelspolitik, uneingelösten Hilfsversprechen und der Geschichte des Kolonialismus. Wer kann Ergebnisse überhaupt objektiv bewerten?
Geberländer denken trotz der kolonialen Vergangenheit und ihrer destruktiven Politik – etwa bei landwirtschaftlichen Subventionen –, dass sie das moralische Recht haben, andere zu bewerten. Begriffe wie „schlechte Regierungsführung“ und „Korruption“ beziehen sich immer auf die Entwicklungsländer. Geberländer bewerten Entwicklungshilfe nach ihren eigenen voreingenommenen Kriterien. Und ebenso definieren sie anschließend die „Ergebnisse“. In den meisten Fällen haben die Empfängerländer bei der Bewertung nichts zu sagen.
Aber Geber betonen die Politikverantwortung der Geberländer.
Theoretisch ja, praktisch kaum. Die Haltung der Geber hat sich trotz des miserablen Abschneidens der Strukturanpassungsprogramme nicht besonders geändert. Meiner Meinung nach sollten zivilgesellschaftliche Organisationen und UN-Agenturen die Wirksamkeit der ODA messen. Sie können das am objektivsten tun und dann Empfehlungen sowohl an Geberagenturen als auch Entwicklungsländer abgeben.
Aber NGOs sind demokratisch nicht legitimiert.
Sie sind vielleicht nicht durch Wahlen legitimiert, aber sie werden als Fürsprecher benachteiligter Gruppen anerkannt. Deshalb sind sie zu wichtigen Akteuren geworden. Sie waren die ersten, die kritische Fragen zur Quantität und Qualität der Entwicklungshilfe aufgeworfen haben. Aufschlussreich ist auch, dass sie sowohl Geber- als auch Empfängerländer für Erfolge und Misserfolge der ODA verantwortlich machen wollen. Außerdem spielen ihre Analysen eine Schlüsselrolle. Denken Sie nur an die Berichte von Oxfam International, Action Aid, Social Watch, dem Reality of Aid-Netzwerk und anderen. Oxfam International zum Beispiel hat schon 2005 deutlich gemacht, dass die G8-Führer ihre Verpflichtungen, die Entwicklungshilfe für Afrika bis 2010 zu verdoppeln, nicht einhalten werden – obwohl das G8-Statement von einem großen Medienrummel begleitet wurde.
Welche Rolle können und sollten Stipendien und wissenschaftliche Forschung spielen?
Studien zur Wirksamkeit der ODA in Entwicklungsländern können sehr nützlich sein. Unabhängige Wissenschaftler analysieren politische Maßnahmen und ihre Auswirkungen kritischer und fördern damit das Verständnis für die Empfänger-Regierungen. Außerdem kann Forschung alternative Wege aufzeigen, um der Abhängigkeit von Hilfe zu entkommen. In der Vergangenheit waren Stipendien wichtig dafür, die Mängel des immer noch dominanten neoliberalen Modells bewusst zu machen. Sie haben den Strukturanpassungsansatz widerlegt und die internationalen Finanzinstitutionen in die Defensive gezwungen.
Geberagenturen besitzen eine lange Geschichte der Evaluation von Projekten und Programmen. Was denken Sie darüber?
Die Institutionen des herrschenden Modells nutzen wie gesagt gern quantitative Daten, um die Ergebnisse ihrer Politik zu veranschaulichen. Prinzipiell kann man das natürlich machen. Aber bei der Erfassung von Daten wird immer ein Stück weit manipuliert – und zwar oft so, dass es der Geberagentur ideologisch dient. Der Internationale Währungsfond (IWF) und die Weltbank haben sogar falsche Zahlen benutzt, die belegen sollten, dass eine Liberalisierung des Handels und der Geldinstitutionen zu größerem Wirtschaftswachstum führen. Wie sich gezeigt hat, war diese Ideologie falsch – und teuer für die Länder in Afrika. Auf jeden Fall ist die gegenwärtige Wirtschafts- und Finanzkrise ein schwerer Schlag für den IWF, die Weltbank und ihre Politik.