Klimaschutz
Schwieriges Geschäft
Von Peter Hauff
In Europa produzieren und verkaufen die beiden Weltkonzerne Siemens und Bosch seit Jahrzehnten moderne Waschmaschinen und Geschirrspüler. Die gemeinsame Tochter BSH Hausgeräte will nun auch in Indonesien expandieren. Armen Tagelöhnern einen Vollautomaten verkaufen zu wollen, wäre natürlich Unfug. Deshalb produziert BSH seit 2007 in Jakarta den Pflanzenölkocher Protos. Der schlichte Brenner ist so groß wie ein Schuhkarton, sparsamer als gewohnte Kerosinkocher und hilft theoretisch dem Klimaschutz, weil er Biomasse verwendet.
Pro Woche verbraucht Protos zwei Liter Jatrophaöl. Zum Vergleich: Herkömmliche Geräte verheizen bis zu vier Liter Kerosin. Haushalte könnten damit also langfristig 54 Prozent ihrer Brennkosten einsparen (umgerechnet rund 100 Euro pro Jahr). Im Vergleich zum Sammeln von Brennholz gewinnen die Benutzer außerdem Zeit, die sie zum Aufbau eines kleinen Food-Shops oder einer anderen Kleinunternehmung nutzen können.
Doch der Markterfolg lässt auf sich warten. Protos ist kompliziert zu bedienen. Zuerst muss der Kocher mit Spiritus oder Kerosin auf die nötige Betriebstemperatur gebracht werden und verheizt danach Jatrophaöl, das mit einem Schlauch zugepumpt wird. Vor allem aber schrecken die hohen Anschaffungskosten: Ein Protos-Gerät kostet umgerechnet rund 50 Dollar. Das ist mehr als sich viele Indonesier leisten können. Laut Weltbank verdienen 60 Prozent der Erwerbstätigen in Indonesien weniger als zwei Dollar pro Tag. Um Protos absetzen zu können, müssten die Deutschen ihren Kocher für 20 Dollar verkaufen, also pro Gerät 30 Dollar drauflegen.
Den deutschen Ingenieuren ist bewusst, dass der betriebswirtschaftliche Erfolg ihres Projekts letztlich vom Emissionshandel im Rahmen des Clean Development Mechanism abhängt. Jatrophaöl wird aus klimafreundlicher Biomasse gewonnen, folglich ist der Verkauf von CO2-Zertifikaten grundsätzlich möglich. Entsprechend ließe sich der Verbraucherpreis für Jatrophaöl weiter senken, wodurch ihr Kocher attraktiver würde.
Mit Protos gewann die Konzerntochter BSH bisher keinen Cent; über mehrere Jahre hinweg wurden insgesamt knapp 1600 Geräte abgesetzt. Damit sich die Produktion rechnet, müsse das Unternehmen weit höhere Stückzahlen – um die 10 000 Stück pro Jahr – erreichen, sagt der BSH-Manager Asien, Dirk Hoffmann. Trotzdem hoffen Siemens und Bosch, Indonesiens Küchen damit gesünder und umweltfreundlicher zu machen. „Von 240 Millionen Bürgern kochen in Indonesien ungefähr 100 Millionen mit Kerosin oder Holz“, sagt Hoffmann. Das Potenzial sei riesig.
Geschäftskalkül
Bosch und Siemens argumentieren zwar karitativ, denken aber auch an ihre eigene Zukunft. Als Hersteller aller Protos-Komponenten wurde vor zwei Jahren der Maschinenbauer Tjokro in Jakarta beauftragt. Laut Projektmanager Samuel Shiroff waren Kosten damals wie heute Nebensache: „Viel wichtiger ist uns der Technologietransfer.“ So halfen die Deutschen ihrem Partnerbetrieb, eigene Produktionslinien aufzubauen und heimische Mitarbeiter zu schulen. Die deutschen Unternehmen wissen, dass ihre Hersteller-Marken in Indonesien bald selbst loyale Partner und Fachkräfte brauchen. Selbstverständlich wollen Siemens und Bosch ihre Chancen im Schwellenland nicht verpassen. Bislang hüten sie sich davor, bei Protos unter eigenem Namen aufzutreten. In der Vermarktung moderner Küchentechnik hilft ihnen das Image eines schlichten Ölbrenners kaum.
Den Ökokocher Protos benutzen bisher vor allem indonesische Bauern, die sich der niederländischen Agrarkooperative Waterland angeschlossen haben. Waterland schenkt ihnen den Ökokocher und spendiert im ersten Jahr sogar das Jatrophaöl. Die Genossenschaft propagiert umweltverträgliche Landwirtschaft. Ihre niederländischen Manager wollen im großen Stil in die Jatrophaproduktion einsteigen. Kleine Pflanzungen für den Handel mit Emissionszertifikaten registrieren zu lassen, würde sich nicht lohnen.
Wer mit den Bauern spricht, erfährt indessen schnell, dass diese nur mit Protos kochen, weil sie sich dazu verpflichtet fühlen. Als Teil von Waterlands Intercroping-Projekt sitzen sie buchstäblich selbst an der Ölquelle. Die ganzjährig Früchte tragenden, nicht endemischen Jathrophabäume wachsen auf ihren Plantagen neben Teakbäumen, Mais und anderen Feldfrüchten. Deren pflaumengroße Nuss enthält zwar viel Energie, ist aber ungenießbar.
Airlines fliegen auf Jatropha
Friedhelm Göltenboth von NatureLife warnt vor überzogenen Hoffnungen auf Jatropha. Die tropische Staude werde in jüngerer Zeit als „eine Art Wunderpflanze“ gesehen, entwickle sich nun aber zu einer „Syndrompflanze mit allerlei Problemen“. Mit sehr gemischten Gefühlen betrachtet der Experte für Biodiversität, dass die Staude nördlich von Sumatra auf Böden wächst, die eigentlich zur Wiederaufforstung vorgesehen waren. Echte Walderhaltung sehe anders aus, kritisiert Göltenboth. Er warnt davor, dass unerwünschter Wettbewerb zwischen der Herstellung von Biosprit oder Nahrung losbricht, sobald die Nachfrage nach Jatrophaöl steigt.
Da europäische Airlines auch Pflanzenöl aus Jatropha ins Kerosin mischen, droht gutes Ackerland wirklich zu verknappen: Seit Juli 2011 testet die Lufthansa den neuen Brennstoff, achtmal täglich hebt der Flieger zwischen Hamburg und Frankfurt ab. Etwa 6,5 Millionen Euro kostet das sechsmonatige Forschungsprojekt. Das Unternehmen will in dieser Zeit den Ausstoß von Kohlendioxid um 1500 Tonnen senken.
Auch Jatrophaöl von Waterland in Indonesien wird bei diesem ersten Langzeittest mit Biosprit im kommerziellen Betrieb verwendet. Die Luftfahrtbranche steht unter Druck: Ab 2012 müssen Fluggesellschaften in der Europäischen Union Zertifikate kaufen, sobald sie mehr Schadstoff produzieren als vereinbart. Für Lufthansa ist der Biosprit somit eine „Investition in die Zukunft“.
Umweltverbände und zivilgesellschaftliche Entwicklungsakteure lehnen diese Strategie ab. Denn der massenhafte Einsatz des Jatrophaöls kann gefährliche Konkurrenz eröffnen – erstens gegenüber der menschlichen Nahrungsmittelproduktion, zweitens gegenüber schutzwürdigem Wald. Im ersten Fall provozieren Energieplantagen Hunger, im zweiten bedrohen sie biologische Vielfalt. Probleme, die Siemens und Bosch bei der Vermarktung von Protos haben, sind im Vergleich eine Kleinigkeit.