Editorial

Übernahme von Verantwortung

In den reichen Ländern empören sich viele darüber, dass laut UN-Daten 800 Millionen Menschen Hunger leiden. Manche schließen daraus, Jahrzehnte der staatlichen Entwicklungshilfe (official development assistance – ODA) hätten nichts gebracht. Und einige von ihnen würden egoistischerweise auch gern weniger Steuergeld für ODA verwendet sehen.
Sturmschutzbau in Bangladesch. Jörg Böthling/Photography Sturmschutzbau in Bangladesch.

800 Millionen Hungernde sind wirklich viel zu viele. Bemerkenswert ist aber, dass diese Zahl seit den frühen 1970er-Jahren zwischen 800 Millionen bis 1 Milliarde recht stabil ist. Die Weltbevölkerung ist aber gewachsen und mittlerweile mehr als doppelt so groß. Es hat also Fortschritte gegeben. Es wäre Unfug, sie nur der ODA zuzurechnen, aber ebenso absurd, dieser gar keine positive Wirkung zuzuschreiben. Dass der Erfolg übersehen wird, führt zu Zynismus. In manchen Fällen – wie China – ist er bekannt, in anderen – etwa Bangladesch – nimmt die Welt ihn kaum zur Kenntnis. Die Analyse der Erfolgsgeschichten ergibt jedoch kein Rezept, das überall passen würde. Jedes Land ist anders. Zwei Dinge sind aber klar:

  • Erfolg hängt von dem Ehrgeiz ab, nicht nur kleine Eliten zu bedienen, sondern das Leben möglichst breiter Massen zu verbessern.
  • Verantwortung muss in den Entwicklungsländern übernommen werden. Ausländische Kräfte können Fortschritt nicht verursachen.  

Nationale Verantwortung kann auf recht unterschiedliche Weise wahrgenommen werden. In China hat ein autoritäres Regime mit beachtlichem Erfolg, aber deprimierender Menschenrechtsgeschichte die ökonomischen und sozialen Verhältnisse vorangebracht. Die Zivilgesellschaft war kaum relevant. In Bangladesch dagegen füllen regierungsunabhängige Organisationen immer größere Lücken, die wegen schlechter Amtsführung aufklaffen. Der Verwaltung gelingt es, in Kooperation mit der Zivilgesellschaft Infrastruktur und andere Dinge sinnvoll zu planen, aber die Spitzenpolitiker agieren seit Jahrzehnten unverantwortlich.

Die europäische Fachwelt ist sich weitgehend einig, dass breiter Wohlstand und stabile Demokratie die Ziele von Entwicklung sind. Was kurzfristig Priorität sein soll, bleibt aber zu klären. Wer sich die Erfolge anschaut, erkennt, dass diese Frage von den betroffenen Ländern und ihren Gesellschaften entschieden werden muss.

Geberinstitutionen achten zu Recht auf Menschenrechte, denn die langfris­tigen Ziele sind wichtig. Allerdings dürfen reiche Länder ihre Standards anderen nicht aufzwingen. Sie haben nämlich auch das Problem, dass Demokratie in Europa und Nordamerika derzeit immer wieder dysfunktional wirkt. Das ist so, wenn in den USA bei schwacher Wahlbeteiligung Leugner des Klimawandels den Kongress übernehmen. Das ist so, wenn die größte britische Regierungspartei obsessiv mehr Unabhängigkeit von der EU fordert, aber nicht klar formulieren kann, welche Kompetenzverteilung ihr denn vorschwebt. Das ist so, wenn die EU in Zeiten hoher Staatsverschuldung ausgerechnet Jean-Claude Juncker zum Kommissionspräsidenten macht, dessen Heimat Luxemburg zuvor unter ihm als Premier- und Finanzminister zur der Oase wurde, die multinationalen Konzernen hilft, ihre Steuerlast in anderen EU-Ländern zu minimieren.

Doch, Juncker ist entwicklungspolitisch relevant. Nationaler Egoismus verschärft internationale Probleme nur. Zudem predigen europäische Politiker seit Jahren ihren afrikanischen Kollegen, sie müssten ausreichend Steuern eintreiben. Ihre Glaubwürdigkeit leidet, wenn sie das selbst in Europa vernachlässigen.

 

Hans Dembowski ist Chefredakteur von E+Z Entwick­­lung und Zusammenarbeit / D+C Development and Cooperation.
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