Nothilfe
Besser als zuvor
Unter Desastern leiden die ärmsten, schlecht vorbereiteten Gegenden am meisten. Wenn die Notfallteams des Roten Kreuzes und anderer Rettungsorganisationen herbeieilen, konzentrieren sie sich darauf, den Betroffenen mit Nahrung, Wasser, Notunterkünften und simpler Gesundheitsversorgung zu helfen. Wenn später der Wiederaufbau beginnt, rücken andere Fragen in den Vordergrund. Wenn es gut läuft, wird nicht alles so wiederherstellt, wie es vorher war – sondern besser.
Eine aktuelle Studie des Londoner Overseas Development Institute (ODI) trägt den provokanten Titel „Disaster as Opportunity? Building back better in Aceh, Myanmar and Haiti“ (Desaster als Chance? Besser wiederaufbauen in Aceh, Myanmar und Haiti). Sie zeigt die Möglichkeiten auf, die Wiederaufbau in einem völlig zerstörten Land bietet, vorausgesetzt dass Schlüsselpunkte beachtet werden. Nationale Eigenverantwortung und breite Beteiligung der Bevölkerung sind wichtig.
Aceh, Indonesiens Provinz am nördlichen Ende von Sumatra, wurde vom Weihnachtstsunami 2004 schwer getroffen. Die Riesenwelle legte die Stadt Banda Aceh in Trümmer. Zuvor war Aceh Schauplatz eines jahrzehntelangen Bürgerkrieges gewesen. Rebellen des Free Aceh Movements kämpften seit 1976 für die Unabhängigkeit. Die Bilanz von drei Konfliktjahrzehnten waren mehr als 15 000 Tote und Tausende Vertriebene. Als der Tsunami die Provinz Aceh 2004 zerstörte, brachte das schiere Ausmaß der Katastrophe – mehr als 170 000 Tote, 500 000 Obdachlose und Schäden in Höhe von 4,5 Milliarden Dollar – die verfeindeten Parteien jedoch dazu, die Waffen niederzulegen.
2005 wurde ein Friedensabkommen unterzeichnet, welches Aceh größere Autonomie gewährte. Dadurch entstand eine „historische Gelegenheit“, wie das ODI schreibt, diese arme Provinz Indonesiens endlich zu entwickeln.
Das ODI betont, dass die staatliche Rehabilitation and Reconstruction Agency (BRR) die lokalen und internationalen Wiederaufbaubemühungen leitete und koordinierte. Sie achtete zudem auf die Transparenz jeglichen Regierungshandelns in der Region, und sie bezog vormals marginalisierte Bevölkerungsgruppen ein. Lilianne Fan vom ODI urteilt, die Absicht, beim Wiederaufbau die Dinge zu verbessern, habe dazu beigetragen „Machtgefüge zu verändern, Ungleichheiten anzusprechen und die Grundlagen für nachhaltige Entwicklung zu legen“.
Im Gegensatz dazu trieben in Haiti nach dem Erdbeben von 2010 hauptsächlich Hilfsorganisationen den Wiederaufbau voran. Haitis Behörden waren schwach, was aber auch bedeutete, dass heimische Akteure kaum am Wiederaufbau beteiligt wurden. Geld wurde am Staat vorbei geleitet, diente aber dennoch nicht dazu, die Selbstorganisationen der Bevölkerung zu fördern. Laut Fan fühlten sich viele Haitianer doppelt marginalisiert – von ihrem Staat und der internationalen Gemeinschaft.
Als der Zyklon Nargis 2008 die Küste von Myanmar verwüstete, starben 140 000 Menschen und 800 000 wurden obdachlos. Nur wenige internationale Hilfsorganisationen wurden aktiv, weil Myanmar politisch relativ isoliert war. Myanmars Staat und die Bevölkerung reagierten aber schnell. Die ASEAN engagierte sich zudem und richtete nach dem Vorbild der indonesischen BRR ein Emergency Rapid Assessment Team (ERAT) ein, das aus ODI-Sicht sehr erfolgreich arbeitete.
Der frühere US-Präsident Bill Clinton formulierte als UN-Sondergesandter für die Tsunami-Aufbauhilfe Thesen für das „Building back better“. Die erste war, dass „Regierungen, Geber und Hilfsagenturen“ anerkennen müssten, dass die Betroffenen selbst den Wiederaufbau vorantreiben. Das wurde in Haiti nicht beherzigt, obwohl Clinton dort wieder eine internationale Rolle übernahm. Trotz aller internationalen Hilfe geht es dem Land heute nicht besser als vor dem Erdbeben. Aus Sicht der ODI-Wissenschaftlerin Fan ist die wichtigste Voraussetzung für besseren Wiederaufbau die Veränderung der politischen Beziehungen.