Entwicklung und
Zusammenarbeit

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Jugendarbeitslosigkeit

Das richtige ­wirtschaftliche Umfeld

Jugendliche in asiatischen Entwicklungsländern haben wenig Chancen auf gute Jobs. Oft ist nicht die fehlende Schulbildung das Problem, erklärt Jesus Felipe von der Asiatischen Entwicklungsbank im Interview mit Sabine Balk. Seiner ­Meinung nach braucht der Kontinent private Wirtschaftsunternehmen, die mehr Arbeitsplätze schaffen.
Um Fastfood zu verkaufen, braucht man keinen Uniabschluss: eine junge Angestellte in Manila. Hartmut Schwarzbach/argus/Lineair Um Fastfood zu verkaufen, braucht man keinen Uniabschluss: eine junge Angestellte in Manila.

Wie schätzen Sie das Problem der Jugendarbeitslosigkeit in asiatischen Entwicklungsländern ein?
Das größte Problem ist nicht die Arbeitslosigkeit, sondern die Unterbeschäftigung. Es ist erstaunlich wie niedrig die Arbeitslosenrate in Entwicklungsländern ist. Auf den Philippinen liegt sie bei sieben Prozent, was im Vergleich zu anderen Ländern sogar hoch ist. Zugleich sind aber 15 bis 20 Prozent der jungen Filipinos unterbeschäftigt und halten sich nur mit Gelegenheitsjobs über Wasser ...

... sie haben also keine sichere Existenzgrundlage.
Genau, sie leben in Armut. Millionen junger Leute verdienen nur ein paar Euro am Tag, essen schlichte Nahrungsmittel, wohnen in Slums und führen ein ganz einfaches Leben. Sie könnten sich gar nicht leisten arbeitslos zu sein, da es in den meisten Entwicklungsländern keine Arbeitslosenunterstützung oder Wohlfahrtseinrichtungen gibt, die Arme unterstützen. Also muss jeder irgendwas tun, um wenigstens ein paar Euro zu verdienen. Millionen Menschen verkaufen Früchte oder andere kleine Dinge auf der Straße. Fragt man sie, ob sie arbeitslos sind, antworten sie „nein“. Sie würden aber gern länger arbeiten oder einen besser bezahlten Job ausüben, wenn sie die Chance dazu bekämen. Die Länder, in denen das am schlimmsten ist, sind in Südasien – Indien, Nepal und Bangladesch.

Sind die jungen Leute nicht gut genug für den Arbeitsmarkt ausgebildet?
Einige nicht, aber Bildung ist meist nicht das Problem. Es ist unwahrscheinlich, dass Millionen von Leuten arbeitslos und unterbeschäftigt sind, weil sie nicht die richtige Schulbildung haben. Um die Dinge zu verstehen, ist es wichtig zu definieren, welchen Zweck Bildung hat. Um politische Systeme zu vergleichen, ein Museum anzuschauen oder ein Buch zu lesen, braucht man eine gewisse Bildung und muss viel gelesen haben. Aber die Fähigkeiten, die der Arbeitsmarkt braucht, sehen ganz anders aus. Leute müssen nicht belesen sein, sondern brauchen praktische Fertigkeiten und Lernfähigkeit. Für die meisten Arbeiter ist auch nicht relevant, was in Mathe, Physik oder Wirtschaft unterrichtet wird, auch wenn diese Fächer der Produktivität dienen sollen. Fast alle Entwicklungsländer bieten eine Basisschulausbildung, die für die meisten verfügbaren Jobs völlig reicht.  In Indien oder auf den Philippinen finden aber Universitätsabsolventen kaum Arbeit. Es gibt fast nur Jobs im Niedriglohnsektor, im Servicebereich von Hotels, Restaurants, im Laden an der Kasse oder in Callcenter. Dafür braucht man keinen Universitätsabschluss.

Sie glauben also nicht, dass die Entwicklungsländer Asiens ihr Schul- und Ausbildungssystem verbessern müssen?
Hier und da kann man sicher etwas verbessern. Aber wie ich bereits sagte, das Hauptproblem ist nicht die fehlende Bildung, sondern Millionen nicht vorhandener Arbeitsplätze. Mit dem bestehenden Bildungsniveau könnten Firmen die Produktivität bereits erheblich steigern. Sie müssten ihre Arbeitsabläufe effizienter gestaltet, wie dies in den Industrieländern der Fall ist. Die Vorstellung, wir bräuchten mehr Bildung als beispielsweise vor 20 Jahren, führt in die falsche Richtung. Die meisten Arbeitsplätze, die heute in Gesellschaften entstehen, sind einfache Jobs im Servicebereich. In den Entwicklungsländern herrscht aber selbst daran Mangel. Industriebetriebe gibt es kaum und folglich auch keine Arbeitsplätze dort. Auf den Philippinen arbeiten Hochschulabsolventen in Callcenter. Dafür müssen sie nur gut Englisch sprechen und am Telefon freundlich sein. Da findet eine Inflation von Bildung statt.

Erklären Sie das bitte.
Eine Hochschulbildung ist sicher für einige Berufe nötig, aber nicht für alle. Manchmal stimmen auch Angebot und Nachfrage nicht überein. Das passiert, wenn Universitäten nicht das lehren, was der Arbeitsmarkt erfordert. Oft hat eine höhere Bildung nur eine Auslesefunktion. Sie hilft, die Hierarchie am Arbeitsplatz festzulegen. Ein Universitätsabschluss beweist letztlich nur, dass jemand schlau, diszipliniert und einigermaßen organisiert ist. Die zunehmende Wertschätzung von Hochschulabschlüssen setzt junge Leute unter Druck, zur Uni zu gehen, um erst einen Bachelor-, dann einen Masterabschluss und vielleicht sogar noch einen Doktortitel zu erwerben. Diese Abschlüsse sind für ihre künftige Arbeit aber gar nicht relevant. Das ist ein inflationärer Trend.

Sie fordern also, dass die Regierungen Arbeitsplätze schaffen?
Regierungen schaffen direkt nur wenige Jobs, dennoch machen alle sie für die Arbeitsmarktsituation in ihrem Land verantwortlich. In einer Marktwirtschaft schafft der private Sektor Stellen – und zwar dann, wenn es sich ökonomisch rechnet. Das ist die Herausforderung, vor der Entwicklungsländer stehen. Hinzu kommt das hohe Bevölkerungswachstum, wodurch jedes Jahr Millionen junger Leute auf den Arbeitsmarkt drängen. Manche bekommen gute Jobs, viele aber auch nicht. Die Schaffung von Arbeitsplätzen muss oberstes Ziel sein und Gesellschaften müssen für jeden, der arbeiten kann und muss, unabhängig vom Bildungsniveau Jobs schaffen.

Dann sollte die Aus- und Weiterbildung auch in Händen privater Unternehmen liegen?
Es ist sinnvoll, die Firmen in die berufliche Ausbildung einzubinden wie dies für Deutschland typisch ist. Auf der Uni lernen junge Leute keine praktischen Fähigkeiten. Die Unternehmen können ihre Arbeitnehmer viel zielgerichteter und spezifischer aus- und weiterbilden als dies eine Schule kann. Das ist wichtig, wenn wir wollen, dass junge Leute das lernen, was sie wirklich im Betrieb brauchen. Wenn aber viel mehr junge Menschen eine Anstellung suchen, als Jobs vorhanden sind, werden mehr Hochschulabschlüsse nur zu härterem Wettbewerb um vorhandene Arbeitsplätze führen. Es wird eine „Reise nach Jerusalem“. Berufseinsteiger werden nur die Jobs derjenigen kriegen, denen gekündigt wird. Aus- und Weiterbildung sind wichtig, aber wir brauchen auch die entsprechenden Arbeitsplätze.

Aber Sie können die Regierungen doch nicht komplett aus der Verantwortung nehmen, wenn es um die Schaffung von Arbeitsplätzen geht.
Das stimmt. Regierungen haben zum einen die Pflicht, dafür zu sorgen dass alle Jugendlichen eine solide Basisschulbildung bekommen. Und sie müssen zum anderen die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass große und kleine Unternehmen entstehen, die Leute einstellen. Das sind extrem schwierige Aufgaben, denn selbst Wirtschaftswachstum bietet keine Garantie dafür, dass neue Arbeitsplätze entstehen. Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung prägen viele Volkswirtschaften. Tatsächlich ist Vollbeschäftigung eher selten. Einige Länder haben Lösungen gefunden und der Schaffung von Arbeitsplätzen hohe Bedeutung eingeräumt – zum Beispiel Südkorea oder Singapur. Andere Länder hinken hinterher.

Was machen Südkorea und Singapur besser als andere Länder?
Die beiden Staaten sind in den 1960er bis 1980er Jahren industrialisiert worden und haben eine Menge Jobs im verarbeitenden Gewerbe geschaffen. Das gelingt Entwicklungsländern heute kaum noch. Ein Grund ist, dass die Industrie durch neue Technologien heute weniger Arbeitskräfte benötigt. Wenn jemand zum Beispiel eine Autofabrik baut, braucht er dort nur wenige Arbeiter, da vieles automatisch abläuft. Im Dienstleitungsgewerbe entwickeln sich neue Jobs, die aber meist nur einfache Tätigkeiten erfordern. Nicht zu vergessen ist, dass heute China ein starker industrieller Wettbewerber ist, was die Lage für andere schwieriger macht.

Eine hohe Beschäftigungsrate ist aber von großer politischer und sozialer Bedeutung für ein Land ...
Ja, es gibt einige Punkte, die jede Regierung mit Blick auf die Beschäftigungspolitik bedenken sollte:

  • Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung bedeuten Ressourcenverschwendung.
  • In Ländern mit geringer Arbeitslosigkeit haben die Bürger normalerweise eine hohe Kaufkraft, weshalb Märkte und Unternehmen wachsen und Investitionen getätigt werden.
  • Bei hoher Arbeitslosigkeit entgehen dem Staat Einnahmen. Wer nicht arbeitet, zahlt keine Steuern.
  • Sehr interessant ist, dass es laut UN-Charta ein Recht auf Arbeit gibt und dass es zu den UN-Millenniumsentwicklungszielen gehört, die Armut durch die Schaffung von Arbeitsplätzen zu bekämpfen. Nur wenige Zentralbanken haben das doppelte Mandat, sowohl Inflation als auch Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.  
  • Wenn möglichst viele Leute eine geregelte Arbeit haben, führt dies zu politischer Stabilität.


Also sollten die Regierungen von Entwicklungsländern dafür sorgen, dass möglichst viele Menschen Arbeit finden?
Ja, natürlich, und ich habe das Gefühl, dass einige Länder das nun erkennen und langsam ein Umdenken stattfindet. Nicht nur Wachstum ist für Entwicklung wichtig, sondern besonders die Schaffung von Jobs und die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung.

Hat es eine besondere Dimension, wenn junge Leute keine geregelte Arbeit finden?
Ja, natürlich. Wenn man die berufliche Karriere schon unter falschen Vorzeichen beginnt, also ohne richtige Ausbildung oder ohne richtigen Job, ist es sehr schwer, diese Richtung wieder zu ändern. Das setzt sich in der Regel im gesamten Berufsleben fort. Es wird fast unmöglich, jemals einen geregelten Job zu bekommen. Massen von unzufriedenen jungen Leuten sind tickende Zeitbomben für Regierungen und diese täten gut daran, das Problem zu lösen. Und ich betone noch mal, dass das keine Frage von mehr Schulbildung ist. Entscheidend ist, dass der Privatsektor Jobs schafft. Das zu erreichen ist eine schwere Aufgabe und es gibt kein Standardrezept dafür.

 

Jesus Felipe arbeitet in der Wirtschafts- und Forschungsabteilung der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB) in Manila.
jfelipe@adb.org