Multilateralismus
„Die UN müssen sich auf globale Veränderungen einstellen“
Das UNEP (UN Environment Programme – Umweltprogramm der Vereinten Nationen) feiert in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag. Die Umweltbehörde sitzt in der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Spielt das für die Region eine besondere Rolle?
Eine Organisation wie UNEP in der Nachbarschaft zu haben, kann durchaus ein Gefühl der Zugehörigkeit und Nähe schaffen. Und es mag dabei helfen, direkter in einen Austausch zu kommen, um bei der globalen Umweltagenda mitzureden. Betrachtet man die globale Rolle von UNEP, ist der Ort des Hauptsitzes aber eher zweitrangig.
Dennoch gab es durchaus konkrete Projekte: Im vergangenen Jahr hat sich das UNEP mit einigen Unternehmen zusammengetan, um in Nairobi Messwerte von Luftschadstoffen in Echtzeit auf digitale Plakatwände zu werfen. Die Aktion soll Menschen für Luftverschmutzung sensibilisieren.
Ich habe davon gehört, auch von ähnlichen Projekten. Prinzipiell sind das gute Aktionen. Aber sie gehören nicht zur Kernaufgabe des UNEP als Institution. Es sollte sich besser um wichtigere, strategischere Dinge kümmern.
Woran denken Sie?
Das UNEP sollte die globale Agenda zum Umwelt- und Klimaschutz neu ausrichten. Es sollte sich dafür einsetzen, dass weltweit mehr für die Umwelt getan wird. Allerdings nicht mit Einzelprojekten, sondern indem es auf übergeordneter Ebene koordiniert und organisiert. Die Welt verändert sich, viele Umweltprobleme haben sich verschlimmert. Da kann es kein business as usual mehr geben. Das System der UN ist aber das gleiche geblieben. Die UN muss auf globale Veränderungen reagieren.
Wie müsste sich die UN verändern?
Effektiver Umweltschutz sollte von unten nach oben geschehen, wie ich das auch schon in unserem vorherigen Gespräch gesagt habe (siehe Interview auf www.dandc.eu). Wir müssen ausgehen von dem, was auf lokaler und nationaler Ebene nötig ist, um Umweltprobleme zu lösen. Auf UN-Ebene sollten dafür die Voraussetzungen geschaffen werden. Die am wenigsten entwickelten Länder haben beispielsweise die Klimakrise nicht ausgelöst, aber sie leiden besonders darunter. Sie brauchen schnellen und wirkungsvollen Zugang zu Geld. Derzeit gibt es zu viele Institutionen und zu viele Hierarchieebenen. Wir brauchen deshalb nicht viele spezialisierte Umweltprogramme, sondern insgesamt weniger Institutionen, die dafür besser koordiniert sind. Wir brauchen eine starke Institution, nicht eine Bandbreite von Institutionen. Derzeit gibt es UNEP für die Umwelt, das Sekretariat der Klimarahmenkonvention (UNFCCC – UN Framework Convention on Climate Change) und das UN Entwicklungsprogramm (UNDP – UN Nations Development Programme) für globale Entwicklung, um nur drei UN-Einrichtungen zu nennen. Die Weltbank, die Afrikanische Entwicklungsbank und andere multilaterale Institutionen kommen dann noch hinzu.
Halten Sie manche UN-Unterorganisationen für überflüssig?
Aus meiner Arbeit in Uganda weiß ich, dass es vor Ort oft nicht einfach ist, die Arbeit des UNEP zu unterscheiden von der des UNDP. Ohnehin sollten sich diese Institutionen aber auf ihre koordinierende Funktion konzentrieren. Eine große Chance bieten die 17 SDGs (Sustainable Development Goals – UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung). Würden sich alle UN-Organisationen konsequent an ihnen ausrichten, wäre ihr Handeln vermutlich kohärenter. Die SDGs lassen sich ja auch nicht getrennt voneinander betrachten, sie sind miteinander verbunden. Aufgabe von Institutionen wie UNEP oder UNDP in diesem Sinne ist es, Regierungshandeln entsprechend zu koordinieren – und zwar ohne Dopplungen. Die UN muss sich also selbst besser koordinieren, um wiederum die globale Agenda besser koordinieren zu können.
Wo genau sehen Sie Defizite?
Beispielsweise in der Finanzierung. Laut dem Londoner International Institute for Environment and Development hat von 2003 bis 2016 nur etwa 10 Prozent der internationalen Klimafinanzierung die lokale Ebene erreicht. Nur 10 Prozent! Vom Rest fließt zu viel in zwischengeschaltete Organisationen, Beratungsfirmen und in die Fixkosten der Institutionen. Viel Geld bleibt wegen allerlei unnötigen Ebenen auf der Strecke. Das sollte aber dort landen, wo es am nötigsten gebraucht wird und am meisten bringt.
Derzeit gibt es weltweit zahlreiche Entwicklungsbanken und Fonds, die Mittel für Entwicklungsprojekte bereitstellen.
Richtig. Es gibt den Adaptation Fund, den Green Climate Fund und viele weitere. Sie haben verschiedene Bewerbungsverfahren, verschiedene Mechanismen für die Auszahlung der Gelder, verschiedene Modelle zur Berichterstattung. Das kostet alle Beteiligten enorm viel Zeit und Ressourcen. Wer bei einem dieser Fonds Gelder beantragen möchte, benötigt Fachleute, die dabei helfen. Die ugandische Regierung hat beispielsweise allein fünf Jahre gebraucht, um für den Green Climate Fund akkreditiert zu werden. Bis sie Zugang zu Finanzmitteln hatte, vergingen zwei weitere Jahre. Ein solch umfangreicher Prozess wäre in Ordnung, wenn alles Folgende auch kohärent und koordiniert wäre. Ist es aber nicht. Es ändert sich ständig. Hat man Erfahrungen mit einer Institution gesammelt, muss man für die nächste wieder von vorn anfangen. Das geht nicht nur Uganda so, sondern auch anderen Ländern.
Inwiefern wirkt sich das auf die Projekte vor Ort aus?
Da verschiedene Geldgeber verschiedene Projekte fördern, ist die Finanzierung einzelner Projekte oft zu kurzatmig. Wenn in Dorf A ein Umweltprojekt zur Anpassung an Klimafolgen gestartet wird, finanziert auf ein Jahr, dann ist das in der Regel zu kurz. Sobald es endet, lässt man die Menschen im Stich – mit negativen Folgen für das ganze Ökosystem. Hinzu kommt, dass wichtige Lerneffekte ausbleiben. Ein paar Kilometer weiter fördert womöglich ein anderer Geldgeber ein ähnliches Projekt in Dorf B. Die Erkenntnisse aus Dorf A – was hat gut funktioniert, was schlecht – kommen dort aber nicht an. Fehler wiederholen sich. Erfolgreiche Projekte werden kaum skaliert, sondern es gibt ein Pilotprojekt nach dem anderen. Das ist sehr ineffizient. Die mangelnde Koordination auf der höheren Ebene manifestiert sich also auch auf unteren Ebenen.
Auch die Empfängerländer sprechen nicht immer mit einer Stimme. Sollten sich beispielsweise afrikanische Staaten stärker koordinieren?
Absolut. Ich finde insgesamt, Entwicklungsländer müssten mehr tun, um den Status Quo in Frage zu stellen. Einige afrikanische Regierungen tendieren allerdings dazu, eine bessere Koordinierung zu verhindern und bewusst eine gewisse Ambiguität zu erzeugen – weil sich die Interessen einiger Mächtiger so besser durchsetzen lassen. Einem korrupten System kommt es beispielsweise zugute, wenn es verschiedene Finanzierungsquellen gibt, die sich auf unterschiedlichen Wegen anzapfen lassen. Afrikanische Länder müssen sich nicht nur in punkto Koordination verbessern, sondern auch in punkto guter Regierungsführung.
Das Afrika-Büro der UNEP beherbergt ein Forum, das afrikanische Stimmen im Umweltschutz zusammenbringen soll: AMCEN (African Ministerial Conference on the Environment). Wird es seiner Rolle gerecht?
Es gibt diverse Gremien, um die Umweltpolitik afrikanischer Staaten zu koordinieren, auch auf ministerialer Ebene wie das AMCEN. Ein weiteres Beispiel ist die Nile Basin Initiative, ebenfalls ein zwischenstaatliches Forum, das Dinge wie Wassermanagement und Energieinfrastruktur verhandelt. In diesen Gremien ist es durchaus möglich, politische Entscheidungen zu verhandeln und Konflikte beizulegen. Die Hauptprobleme sind, wie oben skizziert, die praktische Umsetzung und konsistentes Handeln.
Die Diskussion über die Wirksamkeit der Entwicklungshilfe (Aid effectiveness) wird auf globaler Ebene seit Jahrzehnten geführt. Hat die Weltgemeinschaft die Forderungen der Paris Declaration on Aid Effectiveness von 2005 nicht beherzigt? Sie betonte unter anderem nationale Ownership, Geberharmonisierung und wechselseitige Verantwortung.
Ich erwarte keine Veränderung des Systems von oben nach unten. Wenn überhaupt, muss das von unten nach oben geschehen. Und hier tut sich etwas. Wenn Vertreterinnen und Vertreter von Graswurzelinitiativen oder lokalen Regierungsbehörden eingeladen sind zu einem Meeting von UNEP oder anderen global agierenden Organisationen, fragen sie immer häufiger: „Geht es hier um Meetings, um Politik – oder um konkrete Maßnahmen?“ Sie haben genug von Reden und schön klingenden Vereinbarungen. Sie möchten wissen, was genau vor Ort geschehen soll – und inwiefern sich dies am Bedarf vor Ort orientiert. Solche „lokal angeführten Revolutionen“ machen mir Hoffnung. Letztlich muss sich die Hilfe an den Bedürfnissen der Menschen orientieren, nicht umgekehrt.
David Mfitumukiza ist Senior Lecturer an der Fakultät für Geographie, Geoinformatik und Klimaforschung der Makerere-Universität in Ugandas Hauptstadt Kampala.
dmfitumukiza@gmail.com