Budgethilfe

„Beitrag zu Transparenz und Demokratie“

Deutschland ist unter den Gebern in absoluten Zahlen die Nummer zwei, im Kreis der Budgethilfe-Geber aber bislang ein eher zurückhaltender Partner. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit hält das Instrument für chancenreich, wie Karin Kortmann, die Parlamentarische Staatssekretärin Hans Dembowski im Gespräch erläutert hat.


[ Interview mit Karin Kortmann ]

Budgethilfe kann – das ist Geberkonsens – nur dort geleistet werden, wo im Zielland die nötige Eigenverantwortung oder „Ownership“ gewährleistet ist. Vietnam bekommt Budgethilfe von Deutschland, ist aber keine Demokratie. Wie ist das zu verstehen?
Vietnam hat eine gute und solide Finanzarchitektur entwickelt; über das Finanzministerium, den Staatsrechnungshof, über Dezentralisierungsbemühungen bis hin zur parlamentarischen Haushaltskontrolle. Budgetfinanzierung unterstützt diesen Weg. Auch den einer weiteren Öffnung und Demokratisierung. Vietnam ist auf einem guten Weg.

Aber die demokratischen Freiheitsrechte gelten dort nicht.
Nein, aber Budgethilfe ist auch kein Instrument, um grundsätzlich eine Einparteienregierung in Frage zu stellen. Sie ist ein Instrument, um Reformen in die richtige Richtung zu unterstützen. Und Vietnam macht auf vielen Ebenen Fortschritt. Grundsätzlich müssen fünf Voraussetzungen erfüllt sein, damit Deutschland Budgethilfe leistet:
- Das Partnerland muss Armut mit nachhaltiger Politik bekämpfen.
- Fortschritte bei den Menschenrechten sind ein Kriterium.
- Demokratie und Rechtsstaatlichkeit spielen eine Rolle, wobei es Rechtssicherheit durchaus auch da geben kann, wo demokratische Freiheit noch nicht besteht.
- Der Staat muss leistungsfähig genug sein, um Budgethilfe konstruktiv zu nutzen, das bezieht sich unter anderem, aber nicht nur, auf eine stabile Finanzarchitektur und treuhänderische Risiken.
- Das Land muss sich in der internationalen Staatengemeinschaft konstruktiv verhalten.

Also honorieren Sie in Vietnam Erfolge bezüglich sozialer und wirtschaftlicher Menschenrechte, die – ähnlich wie in der Volksrepublik China – trotz mangelnder demokratischer Freiheiten unbestritten sind.
In Vietnam ist der politische Wille, die Armut zu reduzieren, ganz offensichtlich gegeben. Voriges Jahr erreichte das Land ein Wirtschaftswachstum von 7,5 Prozent, und die Bevölkerung hat davon profitiert. Soziale, ökonomische und ökologische Zielsetzungen werden stringent umgesetzt. Da wo wir Governance-Defizite erkennen, bieten uns der gemeinsame Geberdialog und die bilateralen Gespräche mit der Regierung jederzeit die Möglichkeit, das offen anzusprechen. Als ich im März dort war, habe ich den Partnern gesagt, dass eine freie Presse für Transparenz und öffentliche Kontrolle wesentlich ist und dass unabhängige Initiativen sich frei organisieren und artikulieren dürfen müssen. Die Budgethilfe bietet Gebern Gelegenheiten, so etwas zu diskutieren.

Gespräche sind wichtig, aber gibt es auch konkrete Fortschritte in Sachen Partizipation?
Ich habe miterlebt, wie eine vietnamesische Kleinstadt, die eine neue Straße bauen will, mit der Zentralregierung verhandelte. Dabei zeigte sich, wie Transparenz in Haushaltsfragen eingefordert wird. Ein Regierungsvertreter schlug der Dorfversammlung vor, die Kosten 50:50 zu teilen. Aber die Teilnehmer fragten selbstbewusst nach: Was heißt das konkret? Wo ist der Kostenplan? Wie wäre es, wenn wir unsere Arbeitsleistung einbringen, würde unser Anteil dann sinken? Für ein Land mit starker zentralstaatlicher Prägung fand ich das bemerkenswert.

Lässt sich derlei verallgemeinern?
Budgethilfe kreist um eine Grundlage der Demokratie. Es ist das klassische Recht des Parlaments, den Staatshaushalt zu verabschieden. In reichen Ländern vernachlässigen die Medien das manchmal und stellen Budgetfragen als trockene, schwerverständliche Technokratenmaterie dar. Unsere Partner in Entwicklungsländern sehen das ganz anders. Die Mitglieder der parlamentarischen Haushaltsausschüsse, die sich mit Budgethilfe befassen, freuen sich darüber, dass sie endlich einen Überblick darüber bekommen, was die internationale Gemeinschaft ihrer Regierung bereitstellt. Jetzt können sie Kabinettsmitglieder zur Rede stellen. Budgethilfe trägt also systematisch zu Transparenz und Demokratie bei.

Dem demokratischen Recht der Haushaltskontrolle entspricht normalerweise die Steuerpflicht. Budgethilfe kommt aber von außen, enthebt also eine Regierung ein Stück weit dem Druck, eigene Mittel zu generieren.
Der Eindruck täuscht. Budethilfeprogramme betrachten immer den gesamten Haushalt. Es geht nicht nur um die Ausgaben sondern auch um die Einnahmen. Selbstverständlich gehört zu soliden Staatsfinanzen ein funktionstüchtiges Steuerwesen, und das ist auch Gegenstand der Verhandlungen und der vereinbarten Reformen. In der Hauptstadt von Ruanda, in Kigali, habe ich ein Plakat gesehen, auf dem stand: „Be proud to be a tax payer.“ Die Regierung, die zu den Beziehern von Budgethilfe gehört, klärt die Bevölkerung darüber auf, dass sie Geld für das Gemeinwesen braucht. Vorbildlich ist auch, dass Ruanda zwei Finanzbehörden eingerichtet hat: Eine für die Einnahmen- und eine für die Ausgabenseite.

Läuft Budgethilfe darauf hinaus, Kapazitäten im Finanzwesen zu Lasten anderer Staatsaufgaben zu stärken?
Da besteht doch kein Konkurrenzverhältnis. Ohne gesicherte Finanzierung kommen weder das Bildungs-, noch das Gesundheits- noch das Infrastrukturministerium voran. Wenn wir ein funktionierendes Staatswesen wollen, ist es sinnvoll, derlei mit Geberunterstützung aufzubauen. Das widerspricht nicht dem Ziel höherer Einschulungsraten und besserer Gesundheitsstatistiken. Im Gegenteil: Es ist eine Bedingung für die Erreichung der Millennium Delevopment Goals.

Es heißt gelegentlich, Budgethilfe führe dazu, dass sich die Empfängerregierung zunehmend den Gebern gegenüber rechenschaftspflichtig fühlt, sodass die Macht des Finanzministeriums gegenüber den Fachressorts wächst.
Das höre ich zum ersten Mal. Wenn das irgendwo so wäre, würde das natürlich ernste Fragen darüber aufwerfen, wie diese Regierung denn funktioniert. In Ghana gibt es die verbesserte Kommunikation und Abstimmung zwischen Finanzministerium und Sektorministerien. Das führte zu Fortschritten im Haushaltsaufstellungsprozess, zu mehr Strukturierung und zu mehr Transparenz.

Ich kenne das Argument von Journalisten aus Entwicklungsländern. Sie sagen dann etwa: „Unser Gesundheitsminister ärgert sich über Budgethilfe, weil er nicht mehr eigenständig mit den Gebern verhandelt und sie nicht mehr gegeneinander ausspielen kann.“
Genau diese Aussage belegt, wie wichtig es ist, über Budgethilfe zu einer wirkungsvolleren Geberkoordinierung zu kommen. Es geht darum, eine sinnvolle und kohärente Gesamtpolitik im Partnerland zu unterstützen. Ghana etwa hat eine nationale Armutsbekämpfungsstrategie, und die gilt für alle Ressorts – von Wirtschaft über Umwelt bis hin zur inneren Sicherheit. Wenn diese Politik Fortschritt auf vielen Ebenen verspricht, dann ist es doch richtig, Ghanas Regierung auf diesem Kurs zu unterstützen. Es hat doch keinen Sinn, dass sich 20 verschiedene Geber mit ihren diversen Durchführungsorganisationen verzetteln und die Verwaltung der Partnerländer unter permanenten Verhandlungs- und Rechenschaftszwang setzen. In Ghana und anderswo stärkt die Budgethilfe die Ownership: Die Regierung formuliert die Strategie, und die Geber unterstützen sie so wirkungsvoll wie möglich.

Das Prinzip „Whole of Government“ greift also.
Genau – und das bedeutet unter anderem auch, dass wir prüfen, wie viel Geld ein Land für sein Militär bereitstellt, und wie viel für die Armutsbekämpfung. Die Erfahrung lehrt übrigens, dass ein Land, wenn es Budgethilfe bekommt, auch mehr eigene Mittel für soziale Programme aufwendet. Relevant finde ich darüber hinaus, dass es vergleichsweise schwierig ist, Klientelgruppen aus bestimmten vom Parlament beschlossenen Haushaltstiteln zu bedienen. Mit Einzelprojekten und -programmen ist das viel leichter.

Besteht aber nicht die Gefahr, dass eine Regierung ihre Bevölkerung sozusagen zur Geisel nimmt? Wenn Sie wissen, dass Budgethilfe in soziale Sektoren fließt, wird es doch schwer, die Zuweisungen zu kürzen, auszusetzen oder sogar zu streichen, wenn die Grundbedingungen nicht mehr erfüllt sind. Ich denke zum Beispiel an Nikaragua.
Nikaragua ist ein klarer Fall. Zum Zeitpunkt der Verhandlungen war das Land auf einem dynamischen Reformkurs. Inzwischen wurde aber bei der Zulassung von Parteien oder bei Kommunalwahlen gegen rechtsstaatliche und demokratische Prinzipien verstoßen. Deutschland hat bereits 2007 mitgeteilt, aus der Budgethilfe auszusteigen, die Europäische Kommission hat das im Januar getan.

Aber das bedeutet doch auch, dass die Geber die Bevölkerung im Stich lassen.
Nein, wir bleiben ja mit der Regierung im Gespräch. Wir schauen weiterhin, wo wir mit Projekten und Programmen für die Menschen etwas erreichen können. In Nikaragua arbeitet Präsident Daniel Ortega heute offensichtlich auf ein autoritäres Präsidialsystem hin. Das können wir nicht unterstützen. Andererseits gibt es, was etwa Gesundheit oder Bildung angeht, durchaus Ziele, für die wir uns mit ihm gemeinsam engagieren können. Budgethilfe ist aber unter den heutigen Bedingungen kontraproduktiv. Sie soll Reformprogramme stärken, nicht den Staat an sich.

Geberregierungen betonen seit Jahrzehnten die Bedeutung stabilitätsorientierter makroökonomischer Politik. Mittlerweile erschüttert aber eine Finanzkrise, die von den reichen Ländern ausging, die Weltwirtschaft. Jetzt kommt es auf die Handlungsfähigkeit von Staaten an – und zwar nicht nur der reichen. Folgt daraus, dass die Industrieländer ihre Budgethilfe steigern müssen?
Wo wir können, sollten wir das tun. Überall gehen die Wachstumsraten zurück und manche Volkswirtschaften schrumpfen sogar. Steuereinnahmen brechen ein, Tourismuserlöse fallen aus, Kredite werden im Privatsektor kaum noch vergeben – und wenn doch, dann nur zu strengen Konditionen. Der Internationale Währungsfonds prognostiziert für Vietnam, um nur ein Beispiel zu nennen, in diesem Jahr Nullwachstum – nach dem bereits erwähnten Plus von 7,5 Prozent im vorigen Jahr. Der Rückschlag ist dramatisch; und wir dürfen nicht vergessen, dass es in Notlagen für viele Menschen in armen Ländern gleich ums nackte Überleben geht.

Spielt die Weltwirtschaftskrise in Verhandlungen über Budgethilfe denn eine Rolle?
Wir sprechen mit allen Budgethilfempfängern über die weltwirtschaftliche Lage. Zu jeder stimmigen Armutsbekämpfungsstrategie gehört ein Konzept, um von den Chancen des Weltmarkts zu profitieren. Dafür interessieren sich selbstverständlich auch die regionalen Entwicklungsbanken. Als Gouverneurin dieser multilateralen Institute erfahre ich das unmittelbar. Bei der Asiatischen Entwicklungsbank diskutieren wir zur Zeit über eine Kapitalaufstockung, die Interamerikanische und die Afrikanische Entwicklungsbank fordern solch einen Schritt.

Sind denn die Öffentlichkeit und Parlamente der reichen Nationen bereit, mehr Geld in die staatliche Entwicklungshilfe (ODA) zu stecken?
Unser Konjunkturpaket hat 100 Millionen Euro vorgemerkt, damit die Weltbank zusätzlich Infrastrukturprogramme in Entwicklungsländern unterstützen kann. Der Bundestag und die Bundesregierung wissen, dass die globale Krise globale Antworten erfordert. Es reicht nicht, Schutzschirme in der reichen Welt aufzuspannen. Aber wir können nicht einfach Geld zusagen, ohne zu prüfen, was damit unter welchen Rahmenbedingungen geschieht.

Welche Rolle spielt Deutschland im Kreis der Budgethilfe-Geber?
Wir sind unter den Gebern in absoluten Zahlen nach den USA zwar die Nummer zwei, aber was Budgethilfe angeht, kein großer Geber. Die Briten, die Skandinavier, aber auch die Europäische Kommission oder die Weltbank engagieren sich auf diesem Feld schon länger und mit größeren Summen. Mosambik bezog beispielsweise 2006 Budgethilfe im Gesamtvolumen von 300 Millionen Euro. Die Briten haben 20 Prozent beigesteuert, die Weltbank 15 Prozent und Deutschland vier Prozent. Wir sind besonders vorsichtig, sehen aber die Chancen des Instruments durchaus.

Wo hat Deutschland eine Rolle als Lead Donor übernommen?
Deutschland engagiert sich im Rahmen von Budgethilfeprogrammen vor allem als Lead Donor in Schwerpunktsektoren der bilateralen Zusammenarbeit, zum Beispiel bei der Leitung des Programms zur koordinierten Geberunterstützung des nationalen Bildungsplans in Mosambik. Darüber hinaus hat Deutschland in Ghana gemeinsam mit der Weltbank die Führungsrolle bei der Koordinierung der Budgethilfegeber übernommen. In dieser Zeit hat Deutschland eine besonders einflussreiche Rolle im entwicklungspolitischen Dialog mit der ghanaischen Regierung ausgefüllt.

Konservative Kritiker bemängeln, das System der Budgethilfe verwische Verantwortlichkeiten, weil niemand allein für die ausgehandelte Politik gerade stehen müsse – weder die nationale Regierung des Empfängerlandes noch die einzelnen Geber.
Die gängige Praxis ist die, dass ein Geber die Leitrolle übernimmt und die Verhandlungen mit der Partnerregierung im Alltag führt. Auch in den einzelnen Sektoren wirkt jeweils ein Geber als Lead Donor. So wird eine gemeinsame Politik vereinbart und der Regierung im Empfängerland gegenüber mit einer Stimme gesprochen. Das ist nicht nur für die Partner effektiver sondern trägt auch dazu bei, dass wir Geber das Instrument immer besser verstehen und nutzen können.

Aber wer zieht wen zur Rechenschaft?
Die High-Level Foren in Accra und Paris über die Wirksamkeit der Entwicklungshilfe haben aus gutem Grund die wechselseitige Verantwortung betont. Anfangs wurde Budgethilfe vielleicht zu sehr als inter-gouvernamentale Angelegenheit praktiziert. Aber das Schlussdokument von Accra betont ausdrücklich, dass Ownership nicht einfach von einer Zentralregierung ausgeübt wird, sondern breite Partizipation erfordert, die Parlamente, Kommunalpolitik, Zivilgesellschaft und Medien einschließt. Und in dieser Hinsicht sind die Erfahrungen mit der Budgethilfe in vielen Ländern positiv. Das Verständnis für Haushaltsfragen wächst – und die öffentliche Auseinandersetzung darüber nimmt zu. Selbst gelegentliche Berichte über Korruptionsfälle dürfen nicht falsch verstanden werden. Öffentliche Skandale beweisen unter anderem, dass die Verantwortlichen nicht mehr mit jedem Schurkenstück durchkommen.

Findet die Abstimmung über die Budgethilfe zwischen den Hauptstädten der Geber statt, oder in den Hauptstädten der Zielländer?
Vor Ort: in Hanoi, in Kigali, in Accra. Vietnam ist anders als Ruanda, Ruanda ist anders als Ghana. In jedem Land muss die Budgethilfe länderspezifischen Herausforderungen gerecht werden. Und sie wird auch anders gestaltet. Burkina Faso bekommt als besonders armes Land unsere Budgethilfe als Zuschuss. Ghana erhält dagegen Kredite zu den besonders günstigen IDA-Konditionen und Namibia normale Kredite der Finanziellen Zusammenarbeit. Darüber hinaus gibt es noch jede Menge anderer Unterschiede, und das müssen die Fachleute aus den Durchführungsorganisationen in den Entwicklungsländern aushandeln.

Ist Budgethilfe das Hauptinstrument um die Wirksamkeit der Entwicklungshilfe zu steigern, wie das beispielsweise die Europäische Kommission manchmal anklingen lässt?
Aus unserer Sicht ist Budgethilfe eine wichtige Ergänzung des bestehenden Instrumentariums, aber keine Konkurrenz zu den bewährten Mitteln. Es geht ja darum, Schwächen zu überwinden – und dafür ist an bestimmten Stellen immer wieder auch technischer Rat nötig oder ein einschlägiges Projekt.

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