Öffentliche Entwicklungszusammenarbeit

Warum Steuern wichtig sind

Entwicklungszusammenarbeit (EZ) soll nachhaltige Entwicklung fördern. Da sie sich gelegentlich als dysfunktional erweist, werden neue Ansätze erprobt. EZ darf sich nicht negativ auf die Qualität der Regierungsführung auswirken.
GiveDirectly ist günstig, unbürokratisch und hilft armen Menschen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Screenshot: https://www.givedirectly.org/refugees GiveDirectly ist günstig, unbürokratisch und hilft armen Menschen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.

Öffentliche Entwicklungshilfe (Official Development Assistance – ODA) umfasst aus dem Ausland finanzierte Programme, die Entwicklungsländern helfen sollen, sich zu entwickeln. Ziel ist eine „nachhaltige Entwicklung“, was bedeutet, dass die Volkswirtschaften wachsen und umfangreichen Wohlstand sichern sollen, ohne dabei die Umwelt zu zerstören.

Leider behindert EZ nachhaltige Entwicklung bisweilen. Der Grund: ODA ist in sich widersprüchlich und funktioniert nur zu einem bestimmten Grad. Was Lebenserwartung und Alphabetisierung betrifft, gab es international spektakuläre Fortschritte (siehe die Rezension von Hans Roslings Buch „Factfulness“ im Schwerpunkt des E+Z/D+C e-Papers 2018/09). Die Unterstützung armer Länder durch reichere Länder mag zwar bürokratisch sein, hat aber gewiss zu den Erfolgen beigetragen. Gleichzeitig kann sie aber auch Abhängigkeiten und falsche Anreize schaffen, die den Weg zu nachhaltigem Wohlstand behindern – und das passiert leider auch.

Der kenianische Ökonom James Shikwati kritisiert die konventionelle ODA scharf. Sie unterstütze instabile Regime, „während Korruption und Veruntreuung von Geldern gedeihen”. Berichte aus anderen Ländern stützen seine Ansicht. Shikwati mahnt, ODA finanziere nicht nur enorme Bürokratien, sondern lehre die Afrikaner zudem, „Bettler zu sein statt unabhängig“. Shikwati fordert ein Ende der EZ.

Andere Ökonomen halten die Berichte über Erfolge in der Armutsbekämpfung für übertrieben. Laut Andy Sumner vom King’s College in London herrscht die größte extreme Armut heute in Entwicklungs- und Schwellenländern, in denen das Durchschnittseinkommen schnell steigt. Viele Menschen würden dabei abgehängt, und die Durchschnittswerte spiegelten vor allem die Gewinne derer mit den höchsten Einkommen wider. Sumner zufolge lebt mindestens die Hälfte der Armen dieser Welt in Ländern, deren Regierungen in der Lage wären, ihre Bevölkerung aus extremer Armut zu befreien.

2019 wurden 109 Länder in die mittlere Einkommensklasse eingestuft – ein Rekord. In vielen dieser Länder ist Armut jedoch weiterhin weit verbreitet, und die Ungleichheit nimmt weiter zu. Nachhaltige Entwicklung ist das nicht.

Einige Länder haben tatsächlich Fortschritte gemacht – China, Ruanda und Vietnam etwa –, viele andere aber trotz starken Wirtschaftswachstums nicht.

Kenia ist dafür ein gutes Beispiel. Zwischen 2010 und 2017 wuchs die Wirtschaft mit einer robusten Jahresdurchschnittsrate von 5,9 Prozent. 2014 erhielt Kenia den Status eines Landes mit mittlerem Einkommen. Eine große Einkommensungleichheit besteht jedoch unverändert seit Kenias Unabhängigkeit im Jahr 1963. Das Land wird nicht gut regiert, und mehr als ein Drittel der Bevölkerung ist weiterhin extrem arm (siehe Kasten). Die Regierung interessiert sich zu wenig für die Grundbedürfnisse und überlässt es gerne ausländischen Entwicklungsorganisationen, sich darum zu kümmern.

ODA kann jedoch keine staatlichen Maßnahmen ersetzen und soll langfristig ohnehin überflüssig werden und durch eigene Ressourcen ersetzt werden. Daher fordern internationale Abkommen zur Entwicklungsfinanzierung, dass alle Länder mehr Steuereinnahmen erzielen sollen (siehe Interview mit Stefanie Rauscher im Schwerpunkt des E+Z/D+C-e-Papers 2018/01). Dieser Ansatz hat in den vergangenen Jahren immer verstärkt Zuspruch gefunden, aber es kann und sollte mehr getan werden (siehe Dereje Alemayehu im Schwerpunkt des E+Z/D+C-e-Papers 2018/01).

Staatliche Organisationen sind enorm wichtig, das bestätigen auch Studien der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), eines Think-and-Do-Tank wohlhabender Nationen. ODA ist dann am erfolgreichsten, wenn sich die Geber an die Prinzipien halten, die in etlichen hochrangigen Treffen zur Wirksamkeit von EZ festgelegt wurden – zuerst 2003 in Rom, und vor allem 2011 in Busan (siehe Aufsatz von Peter Lanzet in der Tribüne im E+Z-e-Paper 2017/02). Die wichtigsten sind:

  • politische Eigenverantwortung der Entwicklungsländer,
  • Transparenz und gegenseitige Rechenschaftspflicht,
  • Konzentration auf Ergebnisse und
  • inklusive Partnerschaften.
     

Entwicklung von Kapazitäten

Diese Grundsätze dienen dazu, inländische Kapazitäten in Entwicklungsländern zu entwickeln – leider berücksichtigen Entwicklungsorganisationen sie oft nicht genug. Regierungen in Entwicklungsländern fehlt somit oft der Anreiz, die Steuern zu erhöhen. Wenn es keinen politischen Willen gibt, eigene Probleme mit eigenen Ressourcen zu lösen, ist Fortschritt unwahrscheinlich.

Der Ökonom und Nobelpreisträger Angus Deaton erklärt, warum: „Wirtschaftliche Entwicklung kann es ohne eine Art Vertrag zwischen denen, die regieren, und denen, die regiert werden, nicht geben.“ Steuern stärken diese Bindung, was Ökonomen wie Mick Moore von der Universität Sussex und Odd-Helge Fjeldstadt von der Universität Bergen seit mehr als zehn Jahren predigen (siehe Fjeldstad in der Printausgabe von E+Z/D+C 2007/05, S. 202).

Bürger, die Steuern zahlen, wollen wissen, was die Regierung mit ihrem Geld macht. Sie fordern Rechenschaftspflicht, und so gewinnt das politische System an Legitimität – zumindest sofern die Regierungen nachweisen, dass sie die Einnahmen gut nutzen, etwa zum Aufbau von Infrastruktur oder für öffentliche Dienstleistungen.

Ökonomen wie Daron Acemoglu vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) und James Robinson von der Harvard-­Universität argumentieren, Entwicklung habe mehr mit der Leistungsfähigkeit politischer Institutionen und sozialer Systeme eines Landes zu tun als mit ODA (siehe Rezension von Rebecca Renz im Schwerpunkt von E+Z/D+C e-Paper 2018/08). Um Armut zu verringern, ist gute Regierungsführung wichtiger als Geld. Im schlimmsten Fall kann ODA Good Governance sogar untergraben.

Es gibt einige Beispiele für innovative ODA-Ansätze, die zu besseren Ergebnissen führen können, zum Beispiel:

  • Das „ergebnisorientierte Programm“ (Programme for Results, P4R) der Weltbank, das ODA-Zahlungen an Ergebnisse knüpft – inter alia in Kenia, wo das Programm darauf zielt, „to create a stable source of government income through taxation and making efficient use thereof“.
  • Multilaterale Organisationen erwägen Direktfinanzierung globaler öffentlicher Güter. Bisher floss das Geld für solche Zwecke durch nationale Regierungen. Studien legen jedoch nahe, dass multilaterale Initiativen weniger politisiert und stärker nachfrageorientiert sind und eher die gewünschten Ergebnisse erzielen. Multilaterale Organisationen könnten beispielsweise Forschung und Entwicklung unterstützen, um Krankheiten wie Malaria zu bekämpfen, von denen vor allem Entwicklungsländer betroffen sind.
  • Giving Directly: Die Ökonomen Armando Barrientos und David Hulmes schlagen eine einfache, aber wirksame Lösung zur Armutsbekämpfung vor, nämlich: Geld direkt an Arme zu geben und sie selbst entscheiden zu lassen, was ihnen hilft, statt auf eine teure und komplexe „Hilfsindustrie“ zu vertrauen. Aus dieser Idee heraus entstand 2011 GiveDirectly, eine gemeinnützige Organisation, die mithilfe von digitaler Technologie Geld an die Ärmsten der Welt vergibt. GiveDirectly ist inzwischen in mehreren ostafrikanischen Ländern aktiv. Geldtransfers erfolgen per Handy und steigern die Kaufkraft armer Familien unmittelbar (siehe auch Bericht zur PEGNet-Konferenz im Monitor des E+Z/D+C-e-Papers 2019/12). Ein GiveDirectly-Transfer kostet weniger als fünf Cent pro Dollar. Das ist ein Bruchteil dessen, was EZ-Agenturen an Transaktionskosten ausgeben. Und durch Umgehung von staatlichen und anderen Zwischenstrukturen trägt GiveDirectly auch nicht zur Korruption bei.

Die Kritiker der traditionellen Entwicklungshilfe haben ganz offensichtlich ein paar gute Argumente. Statt sie zu beenden, sollte es aber darum gehen, die Entwicklungszusammenarbeit zu verbessern.


Hildegard Lingnau ist BMZ-Beamtin und Privatdozentin für Internationale Beziehungen an der Universität Siegen. Von 2016 bis 2019 war sie als WZ-Referentin in Kenia tätig. Derzeit arbeitet sie als Deputy Country Director für das World Food Programme in Palästina. Dieser Beitrag gibt ihre persönliche Meinung wieder.
hildegard.lingnau@wfp.org

Julia Schnatz arbeitet für das Center for Public Impact, eine von der Boston Consulting Group gegründete gemeinnützige Organisation.
julia.schnatz@geh.ox.ac.uk