Politischer Islam
Schiiten und Sunniten im politischen Islam
Die religiös begründete Ablehnung der Schiiten verbindet sich mit den konkurrierenden Hegemonialansprüchen des sunnitischen Saudi-Arabiens und des schiitischen Irans in der Region. Vor diesem Hintergrund nehmen die Konflikte in den Nachbarstaaten dieser beiden Mächte, die gleichzeitig einen Führungsanspruch innerhalb ihrer jeweiligen konfessionellen Gemeinschaft beanspruchen, mitunter den Charakter von Stellvertreterkriegen an. Neben dem Wahhabismus oder Salafismus auf sunnitischer Seite gibt es das Konzept der „Herrschaft der Rechtsgelehrten“ auf schiitischer Seite. Es beschreibt die oberste Entscheidungshoheit der religiösen Rechtsgelehrten auch über alle politischen Fragen, wurde von Ayatollah Ruhollah Chomeini begründet und nach der Revolution im Iran im Jahr 1979 zur Grundlage der staatlichen Ordnung.
Der Teufelskreis von interner Radikalisierung und externer Verfolgung des politischen Islams wird durch die Konfessionalisierung weiter angeheizt. Feindbilder sunnitischer Extremisten sind nicht nur die neu erstandenen autoritären Regime ihrer Länder, sondern zunehmend auch schiitische Abweichler. Dazu passt die Wahrnehmung, der Westen unterstütze oder bevorteile die schiitische Seite. Das Abkommen zum Nuklearprogramm des Irans ist dafür das jüngste Beispiel. Auch wird die politische Dominanz der schiitischen Mehrheit im Irak als Konsequenz des amerikanischen Eingreifens und der anschließenden Demokratisierungspolitik gesehen. Westliche Aktivitäten zum Schutz anderer religiöser Minderheiten in der Region werden in diesem Kontext als Verschwörung gegen den sunnitischen Mehrheitsislam interpretiert. (tb)