Sicherheitspolitik
Moskau stellt sich westlichen Interessen entgegen
Wir haben dieses Telefonat vereinbart, um die Sicherheitslage in Westafrika zu besprechen, aber nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, möchte ich mit etwas anderem anfangen. Eine Supermacht mit nuklearen Waffen attackiert ohne Rücksicht auf internationale Regeln und ohne Anspruch, im Sinne des globalen Gemeinwohls zu handeln, ein souveränes Nachbarland. Mich überrascht, dass internationalen Medien nun Eurozentrismus vorgeworfen wird, weil sie diesem Krieg hohe Beachtung schenken. Wie sehen Sie das als afrikanischer Intellektueller?
Dieser Krieg verdient definitiv weltweite Aufmerksamkeit. Es fällt aber auf, dass internationale Medien nie dieselbe Art von Wut und Empörung artikuliert haben, wenn es um vom Westen geleitete Interventionen in souveräne Staaten ging. Ob Kosovo, Afghanistan, Irak oder Libyen – für die westliche Politik brachten sie immer mehr Verständnis auf. Außerdem fallen jetzt manche westliche Berichterstatter mit rassistischen Äußerungen auf – etwa, wenn sie sagen, Flüchtende aus der Ukraine sähen europäisch aus und seien Christen.
Solche Aussagen finde ich auch inakzeptabel, aber mit Blick auf die von Ihnen erwähnten Kriege, möchte ich doch sagen, dass der Kontext völlig anders war. Die Interventionen waren umstritten, aber sie wurden in jedem Fall von einer Koalition vieler Staaten getragen. Es gab auch jedes Mal irgendwie ein Mandat des UN-Sicherheitsrats, auch wenn es erst im Nachhinein erteilt wurde oder im Fall von George W. Bushs Irakkrieg von vornherein fragwürdig war. Diesmal handelt der Angreifer aber im Sinne der nationalistischen Selbstermächtigung und es gibt keinerlei Aussicht, irgendwann die Zustimmung des Sicherheitsrats zu bekommen.
Ich werde jetzt ganz bestimmt nicht zum Russland-Apologeten. Der Angriff auf die Ukraine ist widerlich. Ganz klar. Aber ich möchte doch klarstellen, dass es zwei fundamentale Probleme mit den von Ihnen genannten Sicherheitsratsbeschlüssen gab. Erstens: Ohne UN-Mandat in den Kampf zu ziehen, unterhöhlt die Autorität des Sicherheitsrats, denn laut internationalem Recht entscheidet er allein über rechtmäßigen Krieg. Zweitens: Die Mandate wurden allzu großzügig interpretiert und für weitergehende Ziele genutzt. Im Irak sollten Massenvernichtungswaffen gesucht werden, aber dann wurde das Regime gestürzt. Für Libyen wurde eine Flugverbotszone beschlossen, die aber so umgesetzt wurde, dass das Ergebnis abermals Regimewechsel war. Beide Interventionen hatten obendrein, was westliche Beobachter gern übersehen, gravierende Auswirkungen auf unsere Weltgegend. Vor allem wurde der Dschihadismus stärker. Denn erstens begannen sich perspektivlose junge Männer mit muslimischen Opfern zu identifizieren, und zweitens wurde die Region mit Waffen aus Libyen überflutet.
Der Dschihadismus ist eine Hauptkomponente der multidimensionalen Krise im Sahel. Wenn ich richtig orientiert bin, sind die anderen der Treibhauseffekt, der landwirtschaftliche Lebensgrundlagen zerstört, das schnelle Bevölkerungswachstum und der Drogenschmuggel (siehe Mabingué Ngom auf www.dandc.eu). Die Corona Pandemie hat die Probleme zusätzlich verschärft. Sehe ich das richtig?
Waffenschmuggel ist auch relevant, und mir ist es wichtig zu betonen, dass alle Krisenkomponenten den Dschihadismus weiter anfeuern. In ihrer Verzweiflung finden manche den gewalttätigen Extremismus attraktiv, und das destabilisiert in einem Teufelskreis unsere Länder weiter.
Wie passen die Militärputsche in Guinea, Mali and Burkina Faso ins Bild?
Wesentlich ist, dass sie sich von früheren Staatsstreichen unterscheiden. Westafrika erlebt jetzt systemische Militärputsche, denn Offiziere, die ihre Staaten kollabieren sehen, greifen ein, um das Schlimmste zu verhindern. In der Vergangenheit hatten wir Verschwörercoups, bei denen sich Spitzenmilitärs zusammen taten, um ihr jeweiliges Land nach Belieben auszubeuten. Die heutigen Anführer mögen es mit der Rückkehr zur Demokratie in nicht allzu ferner Zukunft durchaus ernst meinen, aber sie meinen, sie müssten die Lage vorher stabilisieren. Dass das Regime in Burkina Faso gerade einen Zivilisten zum Premierminister gemacht hat, ist ein gutes Zeichen.
Woran ist der französische Einsatz in Mali gescheitert? Jahrelang sollte er das Land stabilisieren.
Die französische Führung hat drei grundlegende Fehler gemacht:
- Am schlimmsten war, dass die Franzosen sich wie Kolonialherren verhielten. Sie gaben den örtlichen Stellen Befehle, das galt selbst für die nationale Regierung.
- Sie haben auch nicht verstanden, dass afrikanische Staaten sich von europäischen unterscheiden. In gewisser Weise gibt es in unseren ländlichen Gegenden gar keinen Staat, und das gilt besonders für die Sahara in Nord-Mali. Afrikanische Regierungen haben nicht überall in ihren Ländern unmittelbaren Einfluss, was mehr an mangelnder Infrastruktur als an demokratischen Legitimitätsproblemen liegt.
- Die Franzosen haben auch nichts dafür getan, die Menschen für sich zu gewinnen. Sie haben traditionelle und geistliche Führungspersönlichkeiten, die in staatsfernen ländlichen Regionen großen Einfluss haben, nicht respektiert.
Das erinnert alles an Afghanistan (siehe Paul D. Miller auf www.dandc.eu).
Ja, denn es wurden im Prinzip dieselben Fehler gemacht. Erschwerend kommt hinzu, dass Menschen in allen frankophonen Ländern Westafrikas die frühere Kolonialmacht ähnlich einschätzen. Paris verhält sich arrogant, hat viel zu oft korrupte Spitzenpolitiker unterstützt und genießt in der Bevölkerung kein Vertrauen. Andererseits war Frankreich eindeutig die Führungsmacht bei allen internationalen Unterstützungsmissionen, sodass sein schlechter Ruf nun auch die UN und die EU belastet.
Sehen Sie die Demokratie in ganz Westafrika bedroht?
Sie müssen das differenziert betrachten. Wahlen stoppen Gewalt nicht. Zum großen Teil war, was westliche Regierungen unterstützt haben, lediglich ereignisbasierte Demokratie. Es gibt Wahlen, eine neue Regierung tritt an, und die Probleme bestehen fort. Nötig wäre stattdessen eine Verfahrensdemokratie, die Probleme löst. Solange unsere politischen System nur auf demokratischen Ereignisse beruhen, werden sie schwach bleiben. Gute Regierungsführung beruht auf Problemlösungen. Westliche Regierungen haben zu sehr auf Zeremonien und zu wenig auf die demokratische Substanz geachtet. Wahlen können gekauft werden, und werden das auch oft. Nationale Probleme zu lösen, ist viel schwieriger.
Die Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten (ECOWAS – Economic Community of West African States) besteht auf Demokratie und hat Sanktionen gegen das Militärregime in Mali beschlossen (siehe Karim Okanla auf www.dandc.eu). Wird das etwas bewirken?
Nein, nicht wirklich, denn die ECOWAS-Regeln taugen in der aktuellen Situation nicht viel. Sie berücksichtigen zum Beispiel nicht, dass Mali zur Währungsunion frankophoner westafrikanischer Länder gehört, die gemeinsam den CFA-Franc verwenden. Die Sanktionen betreffen verschiedene Wirtschaftszweige über nationale Grenzen hinweg. Sie tragen nicht zur Lösung unserer multidimensionalen Krise bei, verschärfen jedoch die Probleme, sodass systemische Coups wahrscheinlicher werden. Es gibt Anzeichen dafür, dass Niger als nächstes betroffen sein könnte. Die ECOWAS-Statuten wurden dagegen für den Umgang mit der Sorte von kleptokratischen Potentaten konzipiert, welche die Bürgerkriege in Liberia und Sierra Leone am Ende des 20. Jahrhunderts verursachten.
Wie schätzen Sie russische Interessen und russisches Engagement in Afrika ein?
Moskau will im Grunde, wo immer es kann, westlichen Interessen entgegentreten. Wo die russische Regierung Schwächen sieht, versucht sie einzugreifen. Regeln sind ihr egal, und sie hat auch keine großen Erwartungen an afrikanische Regierungen. Gemäß dem Vorbild des privaten US-Militär-Dienstleisters Blackwater, das mittlerweile Academi heißt, hat der Kreml die Wagner-Gruppe geschaffen. Ihre Söldner erledigen schmutzige Aufgaben und agieren noch tödlicher als die französischen Soldaten. Die Russen wollen allerdings bezahlt werden, und zeigen entsprechend großes Interesse an afrikanischen Goldminen.
Welche Art multilateraler Unterstützung braucht Westafrika?
Wir stehen unter dem Druck globaler Trends – Dschihadismus, Klimakrise, Drogen- und Waffenschmuggel. Wir haben das alles nicht verursacht und werden es auch nicht allein in den Griff bekommen. Konventionelle Entwicklungshilfe (ODA – official development assistance) wird das auch nicht tun. Unsere Länder mit niedrigen und mittleren Durchschnittseinkommen werden in hohem Maße mit globalen Problemen alleingelassen.
Vladimir Antwi-Danso ist Dekan und akademischer Direktor des Ghana Armed Forces Command & Staff College (GAFCSC) in Accra.
vladanso@yahoo.com
Hans Dembowski ist Chefredakteur von E+Z/D+C.
euz.editor@dandc.eu