Internationale Zusammenarbeit
Beim Wort nehmen
Das IFIT berät Länder beim Übergang von Diktatur oder Bürgerkrieg zur Demokratie. In einer aktuellen Broschüre hat es zusammengestellt, was Empfänger über Entwicklungshilfe (ODA – official development assistance) wissen sollten. Kurzfassungen gibt es auf English, Spanisch, Französisch und Arabisch. Das IFIT hat seinen Sitz in Barcelona und wird vom UNDP, mehreren Staaten (einschließlich Deutschland) und verschiedenen privaten Stiftungen gefördert.
Die Broschüre führt aus, dass die Vielfalt der Geberinstitutionen ODA-Empfänger nach Diktatur- oder Kriegsende oft überfordert. Um ODA optimal zu nutzen, müssen Empfänger die neuen Partner richtig einschätzen können. Entsprechend erläutert die Publikation relevante Unterschiede, etwa zwischen bi- und multilateralen Institutionen oder zwischen gewinnorientierten und gemeinnützigen Akteuren. Sie benennt auch Grauzonen, etwa wenn eine Durchführungsorganisation dem Staat gehört, aber privatrechtlich organisiert ist wie die GIZ. Enthalten ist auch eine Übersicht über typische ODA-Instrumente von Budgethilfe bis zu Weiterbildungskursen.
Die Autoren äußern sich zu verbreiteten Fehleinschätzungen:
- Westliche Geber irren, wenn sie moderne Informationstechnologie selbstverständlich für demokratiefördernd halten, denn sie kann auch Desinformation verbreiten.
- Auch ist die junge Generation nicht automatisch für eine offenere Gesellschaft. Traumatisierte Jugendliche können sich nämlich nach der Art von Sicherheit sehnen, die radikale Agitatoren versprechen.
- Zudem bedeuten Wahlen nicht unbedingt höhere Rechenschaftspflicht. Wenn es begründeten Manipulationsverdacht gibt, können sie auch Misstrauen verstärken und sogar Gewalt auslösen.
Der wichtigste Punkt ist indessen, dass nicht „alle guten Dinge“ automatisch zusammengehen. Dem IFIT zufolge meinten Geberregierungen in den 1990er Jahren, dass Reformen in Richtung Demokratie und Marktwirtschaft sich wechselseitig verstärken. Die Broschüre warnt nun, dass die Reihenfolge relevant ist und Fehlschläge bei Wirtschaftsreformen den demokratischen Wandel behindern.
Die IFIT-Autoren machen klare Aussagen. Viele dürften Durchführungsorganisationen kaum behagen. Besonders irritierend sind wohl die Passagen, die sich mit ihren „ständigen Versprechen, sich zu bessern“, auf die aber wenig folgt, beschäftigen. Dabei geht es etwa um „ganzheitliche Ansätze“, „lokale Eigenverantwortung“ oder „mehr Transparenz“.
Die Broschüre erläutert anschaulich die Zwänge, die die Erfüllung solcher Absichten schwer machen. Sie fordert die Empfänger auf, die Geberinstitutionen beim Wort zu nehmen. Leider geht sie nicht darauf ein, wie schwer das ist. Das Grundproblem ist, dass die Empfänger in Transitionsländern Willkürherrschaft und Gewalt gewohnt sind – und das dürfte sie in der Regel davon abhalten, ihre Geldgeber auf Doppelmoral hinzuweisen.
Mächtigen die Wahrheit zu sagen, erfordert immer Mut. Wer gerade einem Bürgerkrieg oder autoritärer Herrschaft entkommen ist, hat weder praktizierte Meinungsfreiheit noch Rechtssicherheit kennen gelernt, weiß aber allzu gut, dass schöne Rhetorik mit brutaler Gewalt einhergehen kann. Selbstverständlich denkt das Personal der Durchführungsorganisationen aus demokratischen Kulturen anders – aber es kommt eben auch auf die Lebenserfahrung der Empfänger an.
Die IFIT-Autoren erwarten von diesen die bürgerliche Zivilcourage, die in stabilen Demokratien gedeiht. Diese Zivilcourage ist aber ein Ziel der Transformation und kann nicht gleich zu Beginn vorausgesetzt werden. Die Broschüre verdient von Empfängern gelesen zu werden, aber die Durchführungsorganisationen sollten sie auch beherzigen. Sie stehen vor einer widersprüchlichen Aufgabe: Sie sollen ihre Partner ermutigen, Ungeduld mit Geberschwächen zu zeigen.
Hans Dembowski
Link
Navigating international aid in transitions:
http://www.ifit-transitions.org/publications/navigating-international-aid-in-transitions-a-guide-for-recipients