Rule of law

Corona-Missstände im Justizvollzug

In der Corona-Pandemie haben Menschenrechtsverletzungen in Gefängnissen zugenommen. Ein Bericht der Weltorganisation gegen Folter (OMCT – Organisation Mondiale contre la Torture) beschreibt Missstände im Justizsystem und erläutert juristische Gegenstrategien.
Der OMCT-Bericht erschien im Februar 2022. https://www.omct.org/site-resources/legacy/Report_Torture-and-Covid19_EN_240222.pdf Der OMCT-Bericht erschien im Februar 2022.

In Haftanstalten sind Ansteckungsgefahren groß, weil Menschen eng zusammenleben. Sie sind häufig überfüllt, und die Hygienebedingungen sind schlecht. Quarantänemöglichkeiten bestehen oft nicht. Menschen mit Vorerkrankung oder Schwangere sind besonders gefährdet.

Covid-19 hat sich in Gefängnissen entsprechend schnell ausgebreitet. Gesetzliche Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus machten es Betroffenen vor allem im ersten Pandemiejahr schwer, Schutzmechanismen wie juristische Beratungen und gerichtliche Prüfungen zu nutzen.

Anwältinnen und Anwälte fanden aber juristische Möglichkeiten, um pandemiebedingte Rechtsverstöße zu ahnden und den Corona-Schutz in Haftanstalten zu verbessern. Das OMCT-Dokument beschreibt spezifische länderübergreifende Herausforderungen von Strafanstalten und nennt Praxisbeispiele aus Asien, Afrika und Lateinamerika.

Juristische Kniffe

Weltweit haben Habeas-Corpus-Anträge geholfen, gegen die Überlastung von Gefängnissen vorzugehen. So heißen im angelsächsischen Recht Anträge, die eine gerichtliche Prüfung der Rechtmäßigkeit von Inhaftierung veranlassen. Sie können für Einzelpersonen wie Gruppen verwendet werden. Inhaftierte mit hohen Gesundheitsrisiken wurden folglich zum Beispiel in Hausarrest oder auf Kaution vorzeitig entlassen. In anderen Fällen wurden Haftbedingungen verbessert. Im Staat Espírito Santo in Brasilien führten kollektive Anträge zur Freilassung derer, die ihre Kaution nicht zahlen konnten. Wegen eines individuellen Habeas-Corpus-Antrags in Nepal wurden ausgesetzte Kautionsanhörungen wieder aufgenommen.

Es wurden außerdem Amicus-Curiae-Dokumente eingereicht. Das sind Statements Dritter, die Gerichte auf Sachverhalte hinweisen – wozu auch Missstände im Justizvollzug gehören können. Die Open Society Justice Initiative machte auf diese Weise die Afrikanische Kommission der Menschenrechte und der Rechte der Völker (ActHPR – African Court of Human and Peoples’ Rights) auf problematische Landstreichergesetze (Vagrancy laws) aufmerksam. Menschen ohne festen Wohnsitz sind durch dieses Gesetz gefährdeter, verhaftet zu werden, haben aber auch ein hohes Risiko, an Corona zu erkranken.

Gesetzliche Corona-Maßnahmen erschwerten vielerorts den Kontakt zwischen Häftlingen und juristischen Fachleuten. Rechtskanzleien und zivilgesellschaftliche Organisationen entwickelten aber Strategien, um ohne Vor-Ort-Präsenz Unterstützung bieten zu können. In manchen Ländern setzten sie durch, dass Häftlinge Zugang zu Telefon oder Internet bekamen, und nutzen diese Kommunikationswege. In argentinischen Gefängnissen wurde die zeitweise Benutzung von Handys durchgesetzt. Mit der Befragung aktueller und ehemaliger Häftlinge verbesserten Fachleute zudem ihren Kenntnisstand über die Lage in Gefängnissen.

Aufmerksamkeit generieren

Damit Menschenrechte in Krisen auch in Gefängnissen eingehalten werden, ist öffentliche Aufmerksamkeit nötig. Vielerorts wurden Kampagnen gestartet, um Bewusstsein für die Risiken der Inhaftierten zu schaffen. Nicht nur ihr gesundheitlicher Schutz, auch die psychologischen Folgen wurden dabei in den Fokus gerückt. Da sie keinen Familienbesuch empfangen durften und meist Telefon und Internet nicht nutzen konnten, sind Inhaftierte von Isolation besonders betroffen. Zivilgesellschaftliche Organisationen in Tunesien produzierten ein zehnminütiges Video, um auf die psychologischen Auswirkungen der Inhaftierten und Wärterinnen und Wärter aufmerksam zu machen.

Druck auf Behörden macht indessen vielfach auch Zusammenarbeit mit ihnen möglich. Entsprechend gingen die Menschenrechtsschützerinnen und -schützer auf Justizverwaltungen zu, sammelten Daten und kooperierten mit ihnen in der Bearbeitung von Einzelfällen. Internationaler Austausch zwischen zivilgesellschaftlichen Fachleuten half, von Erfahrungen in anderen Ländern zu profitieren. Beständige Kommunikation trug dazu bei, Strategien zu entwickeln, zu erproben und zu verbessern. Auf dieser Basis entwickelte das Jus­tice Project Pakistan eine Karte von Corona-Fällen in Gefängnissen weltweit sowie ein Instrument zur Gefährdungseinstufung von Gefangenen.

Zivilgesellschaftliche Öffentlichkeitsarbeit machte derweil auch auf eine weitere menschenrechtliche Problematik aufmerksam – nämlich die Verletzung von Menschenrechten bei der Durchsetzung der Corona-Maßnahmen außerhalb von Gefängnissen (siehe Ronald Ssegujja Ssekandi auf www.dandc.eu). Auch darauf geht der OMCT-Bericht ein. Wegen der Kriminalisierung von Aktivistinnen und Aktivisten kam es zum Beispiel zu unrechtmäßigen Verhaftungen, zum Beispiel in Indonesien und Südkorea. Zudem wurden Maßnahmen etwa mit unverhältnismäßiger Gewalt oder zur Durchsetzung anderer Ziele umgesetzt. In El Salvador kam es zu willkürlichen Inhaftierungen wegen angeblicher Verstöße gegen Quarantäne-Maßnahmen. Ihnen wurde mit Habeas-Corpus-Anträgen entgegen gewirkt.

Kampagnen und Bündnisse

Angesichts solcher Herausforderungen erwiesen sich zivilgesellschaftliche Kampagnen und Bündnisse als hilfreich. Zu den Aktionsmöglichkeiten gehören Menschenrechtsbeschwerden sowie die Dokumentation von Missständen. Menschenrechtliche Arbeit stützte sich zudem häufig auf neue Kommunikationsstrategien, die öffentliche Statements, soziale Medien oder Schulungen von Interessierten nutzen. Soziale Medien wurden in Kenia genutzt, um neu entwickelte Tools zur Meldung von Vergehen zu bewerben. In Tunesien haben sich gemeinnützige Organisationen mit staatlichen Institutionen zusammengetan. Gemeinsam forderten sie immer wieder, die Insassen in den Gefängnissen zu reduzieren. Ihre öffentlichkeitswirksamen Statements führten zur Entlassung von 5 000 Gefangenen.

Das OMCT ist eine internationale Allianz von nicht staatlichen Organisationen. Die Fallbeispiele wurden im Zuge von Litigation Labs genannten Workshops im November und Dezember 2020 gesammelt, an denen 130 Akteurinnen und Akteure teilnahmen. Der aktuelle Report wurde unter anderem von den Open Society Foundations von George Soros unterstützt.


Link
OMCT – Organisation Mondial Contre la Torture, 2022: Challenging detention and torture in times of Covid-19.
https://www.omct.org/site-resources/legacy/Report_Torture-and-Covid19_EN_240222.pdf


Jane Escher ist Volontärin in der Öffentlichkeitsarbeit von Engagement Global. Sie schrieb diesen Beitrag während einer Stage in der Redaktion von E+Z/D+C.
jane.escher@engagement-global.de