Kriegsverbrechen und Völkermord
Weltgericht startet ersten Prozess
Mit Thomas Lubanga steht seit Februar der erste Angeklagte vor dem einzigen ständigen Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Dem Kongolesen wird vorgeworfen, zwischen September 2002 und August 2003 Kinder unter 15 Jahren als Soldaten rekrutiert und zum Kämpfen gezwungen zu haben. Von 2000 bis 2003 gab es in der nordöstlichen kongolesischen Region Ituri zwischen Angehörigen der ethnischen Gruppen der Hema und der Lendu immer wieder Konflikte um Land und Bodenschätze. Bei gewaltsamen Auseinandersetzungen und Massakern kamen dort in dieser Zeit insgesamt fast 100 000 Menschen ums Leben.
Lubanga war damals Präsident der Union des Patriotes Congolais (UPC), einer bewaffneten Miliz in Ituri, deren Mitglieder überwiegend der Ethnie der Hema angehören. „Der Angeklagte hat seinen Opfern die Kindheit gestohlen. Sie wurden gezwungen, zu morden und zu vergewaltigen”, sagte der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs, Luis Moreno-Ocampo, in der Eröffnungsrede zum Prozess. Lubanga erklärte sich jedoch für nicht schuldig.
Der Fall Lubanga ist in verschiedener Hinsicht von Bedeutung. Zum einen ist es für den Kongo wichtig, dass Lubanga Rechenschaft über seine Taten ablegen muss. Außerdem ist dies einer der ersten Prozessen, deren zentrales Thema die Rekrutierung von Kindersoldaten ist. Vor allem aber ist dieser Prozess der erste des ständigen Internationalen Strafgerichtshofs (ICC).
1998 mit dem Rom-Statut beschlossen, nahm der ICC 2002 seine Arbeit auf. Bisher haben sich über 100 Länder seiner Gerichtsbarkeit unterworfen, die USA und Israel beispielsweise lehnen das bislang aber ab. Zuständig ist das Weltstrafgericht für drei Straftatbestände: Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, die seit 2002 begangen wurden.
Bisher ist der Kongo das größte Arbeitsfeld des ICC. Neben Lubanga sind auch weitere kongolesische Kriegsfürsten angeklagt. Seit Januar beschäftigt sich das Gericht damit, ob ein Prozess gegen den ehemaligen Vizepräsidenten und Oppositionspolitiker Jean-Pierre Bemba zulässig ist. Auf den Beginn ihrer Prozesse warten zudem Germain Katanga und Mathieu Ngudjolo Chui, die beide zur obersten Führungsriege der Force de Résistance Patriotique d’Ituri (FRPI) gehören. Alle drei wurden bereits nach Den Haag überstellt.
Noch auf freiem Fuß hingegen ist der Angeklagte Bosco Ntaganda. Er führt seit der Festnahme von Laurent Nkunda die Rebellengrupe Congrès National pour la Défense du Peuple (CNDP) der ruandischstämmigen Tutsi. Insgesamt hat der Internationale Strafgerichtshof bisher zwölf Haftbefehle erlassen, vier Verdächtige sitzen in Den Haag in Untersuchungshaft.
Die Idee, eine internationale Gerichtbarkeit zu schaffen, ist alt. Erstmals erfolgreich in die Tat umgesetzt wurde sie nach dem Zweiten Weltkrieg mit den beiden Kriegsverbrechertribunalen in Nürnberg und Tokio. Während des Kalten Krieges jedoch kam die Entwicklung eines Weltgerichts nicht voran, erst in den 1990er Jahren lebte die Debatte wieder auf.
Zunächst entstanden Sondertribunale: 1993 setzten die Vereinten Nationen ein Tribunal für die Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien ein, später entstanden ähnliche Institutionen für Ruanda, Sierra Leone, Timor Leste und Kambodscha.
In einem ersten Urteil zu serbischen Kriegsverbrechen im Kosovo wurden Ende Februar fünf Urteile gefällt: der ehemalige stellvertretende jugoslawische Regierungschef Nikola Sainovic sowie die Generäle Dragoljub Ojdanic, Nebojsa Pavkovic und Vladimir Lazarevic wurden für Massenvertreibungen, Mord und Vergewaltigungen zu Haftstrafen zwischen 15 und 22 Jahren verurteilt. Der ehemalige serbische Präsident Milan Milutinovi hingegen wurde aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Mit ihnen angeklagt war auch der ehemalige jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic gewesen, der allerdings noch während des Prozesses 2006 verstorben war.
Vor dem Sondergericht für die Verbrechen in Sierra Leone wurden kürzlich Augustine Gbao, Morris Kallon und Issa Sesay wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. Alle drei waren Kommandanten der Revolutionary United Front, die von 1991 bis 2002 im Bürgerkrieg in Sierra Leone gegen die Regierung kämpfte.
Vor demselben Gericht wird Ende des Jahres ein Urteil im Prozess gegen den ehemaligen liberianischen Diktator Charles Taylor erwartet. Ihm wird vorgeworfen, für Massenmorde, systematische Verstümmelungen und Kriegsverbrechen während des Bürgerkriegs in Sierra Leone verantwortlich zu sein. Taylor ist in Den Haag inhaftiert.
Taylors gleichnamiger Sohn, der amerikanischer Staatsbürger ist, wurde kürzlich von einem US-Gericht in Miami zu 97 Jahren Haft wegen Beteiligung an Folter und Massenhinrichtungen verurteilt. Dies war das erste Urteil eines amerikanisches Gericht über ein Verbrechen, das im Ausland begangen wurde.
Anders als die Kriege auf dem Balkan und in Westafrika, liegen die Gräueltaten der Roten Khmer in Kambodscha schon drei Jahrzehnte zurück. Die Aufarbeitung geht aber nur schleppend voran. Seit Februar muss sich als erster Angeklagter Kaing Guek vor dem Sondergericht zur Ahndung der Verbrechen der Roten Khmer verantworten. Er leitete das Sicherheitszentrum 21, eines der schlimmsten Folter- und Mordzentren der Roten Khmer. Mehr als 12 300 Häftlinge sollen laut Anklage dort exekutiert worden sein. Kaing Guek, der auch „Duch“ genannt wird, hat seine Taten gestanden.
In der von 1975 bis 1979 andauernden Schreckensherrschaft verlor jeder vierte Kambodschaner sein Leben. Diktator Pol Pot, der einen Agrarkommunismus durchsetzen wollte, ließ vor allem Lehrer, Ärzte und Intellektuelle hinrichten. Viele Menschen starben an Hunger und nicht behandelten Krankheiten. Bis heute sind die Verbrechen ungesühnt. Die Einrichtung des Sondergerichts hat sich so lange hingezogen, dass Pol Pot in Untersuchungshaft starb. Kritiker befürchten, dass könne sich bei anderen Verantwortlichen aus der ersten Reihe wiederholen.
Insgesamt sind bisher fünf Anführer der Roten Khmer verhaftet worden – viel zu wenige, findet die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Die Prozesse sollen jedoch frühestens Ende des Jahres beginnen. Kritische Stimmen – etwa Human Rights Watch – werfen der heutigen kambodschanischen Regierung unter Premierminister Hun Sen vor, die Arbeit des Sondergerichts zu blockieren und die Aufarbeitung der Verbrechen zu behindern. Anders als bei anderen Sondertribunalen, die in der Regel bei den UN angesiedelt sind, ist das Khmer Rouge Tribunal eine Sonderkammer der kambodschanischen Justiz. Nationale und internationale Staatsanwälte und Richter arbeiten zusammen.
Claudia Isabel Rittel