Global Governance
Vorbild Heiligendamm
[ Von Sachin Chaturvedi ]
Der Seoul-Gipfel konzentrierte sich erneut auf makroökonomische Themen und das instabile Finanzsystem. Viel zu wenig Raum blieb, um globale Entwicklung zu diskutieren, was gerade für Entwicklungsländer von besonderem Interesse ist, ob sie nun Teil der elitären Runde sind oder nicht.
Das war bei der Gründung der G20 anders vorgesehen. Unter dem G8-Vorsitz Deutschlands wurde der Heiligendamm-Prozess 2007 angestoßen. Die G8 wollte damit China, Indien, Brasilien, Mexiko und Südafrika systematisch in Entwicklungsthemen einbinden. Der Start war vielversprechend und wurde durch das G8-Gipfeltreffen in L’Aquila 2009 bestärkt. Jetzt sollte die G20 alles daransetzen, am Heiligendamm-Prozess anzuknüpfen.
Die Gründung der G20 als ein Treffen von Staats- und Regierungschefs der 19 weltweit wichtigsten Länder und der EU wurde als Meilenstein zu einer effektiveren Global Governance gesehen. Der Erfolg hat immer viele Gründerväter. Auf Dauer wird es unwichtig sein, wer den Prozess eingeleitet hat. Entscheidend ist, dass die G20 so gesteuert wird, dass sie effektiv an globalen Aufgaben arbeitet.
Herausforderungen von Global Governance
Die dringendste Aufgabe ist, die globale Politik inklusiver und effektiver zu gestalten. Die Menschheit sollte nicht an veralteten, überformalisierten und unrepräsentativen globalen Institutionen festhalten. Die G20 ist bereits inklusiver und effektiver als die G8 und besser geeignet, eine globale Agenda des gemeinsamen Handelns aufzustellen.
Südkorea als aktueller G20-Gastgeber bemühte sich sichtlich in diese Richtung. Es schlug eine Agenda vor, die sich auf Entwicklungsthemen konzentrierte. Erstmalig landeten diese Fragen auf dem Tisch der G20. Trotzdem beschäftigte sich der Seoul-Gipfel schließlich mehr mit Themen, die auf dem Treffen der Finanzminister und Zentralbank-Gouverneure einen Monat zuvor bestimmt worden waren: Wechselkurse, globale Handelsungleichgewichte, eine institutionelle Reform des Internationalen Währungsfonds sowie Verteilungs- und Wachstumsbemühungen.
Zwei Tage vor dem Gipfel äußerte der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan seine Bedenken: „Natürlich ist es meine aufrichtige Hoffnung, dass Prinzipien der Fairness, des Gleichgewichts und des Allgemeinwohls die Diskussionen beeinflussen werden – und dass nicht nur über Themen wie unterbewertete Währungen, einseitige Handelsstatistiken oder verzerrte Nachfragemuster diskutiert wird, egal wie wichtig diese sein mögen. Leider sind die Anzeichen entschieden gemischt.“ Rückblickend waren seine Zweifel berechtigt.
Trotzdem hat Seoul einen Weg für Verbesserungen bereitet. Auf den nächsten Treffen, die in Frankreich und Mexiko stattfinden werden, sollten die wirklich wichtigen Themen angegangen werden. Ein Anhang der Gipfelerklärung – des Seouler Entwicklungskonsens – schafft Spielraum dafür.
Zukünftig müssen mehr Stimmen außerhalb der G20 gehört werden. Solche Stimmen betonen Entwicklungsfragen und andere G20-Themen, die mit Entwicklung zusammenhängen, wie beispielsweise Steueroasen. Steueroasen ermöglichen, dass große Geldmengen an den Staatshaushalten der Entwicklungsländer vorbeigeleitet werden, und das hindert deren Entwicklung – man kann es nicht oft genug betonen.
Viele Themen sind für die gesamte Menschheit relevant. Sie zu bewältigen kann in Zukunft zwischen Krieg und Frieden entscheiden. Global Governance muss in diesen Bereichen mehr leisten als bisher. Den Zugang zu Nahrungsmitteln und Medizin zu sichern ist die dringendste globale Aufgabe, denn viele Regionen in der sich entwickelnden Welt haben damit zu kämpfen (siehe Kasten).
Wege in die Zukunft
Die entscheidende Frage ist, wie Global Governance inklusiver und effektiver gestaltet werden kann. Immer wieder wird der eingeschränkte Fokus der bestehenden Institutionen kritisiert, der es der Mehrheit der Weltbevölkerung nicht ermöglicht, zu Steuerung der globalen Entwicklungen beizutragen.
Südkoreas Präsident Lee Myung-bak schlug vor, ein permanentes G20-Sekretariat einzurichten, das die Umsetzung der Gipfelerklärung unterstützt. Frankreich als nächster Vorsitzführender befürwortet diese Idee. Aber der Gedanke sollte überdacht und ausgearbeitet werden. Es sollten keine zusätzlichen bürokratischen Apparate auf globaler Ebene mehr geschaffen werden. Stattdessen sollten die bestehenden globalen Institutionen so umgestaltet werden, dass sie weltweiten Fortschritt fördern. Einmal mehr könnte der Heiligendamm-Prozess als Vorbild dienen. Dessen Arbeitsgruppen-Ansatz ist es wert, genauer unter die Lupe genommen zu werden.
Die Möglichkeiten und Fähigkeiten der Entwicklungsländer müssen gesteigert werden. Alle Staaten sollten in die Lage versetzt werden, nicht nur auf die Globalisierung zu reagieren, sondern sie auch zu beeinflussen. Am wichtigsten ist, Institutionen und Rechtssysteme aufzubauen, die ausgeglichenes Wirtschaftswachstum fördern. Innovationen und neue Technologien verdienen globale Aufmerksamkeit.
Zudem muss eine globale Plattform für starke zivilgesellschaftliche Beteiligung geschaffen werden. Dies könnte einer der Schlüsselmechanismen sein, um weltweite Ungleichheit und Armut zu bekämpfen sowie andere Entwicklungsaufgaben anzugehen, wie Bildung, Gesundheit oder sanitäre Versorgung. Es kann nicht oft genug betont werden: Der Globalisierungsprozess wirft Fragen bezüglich Ungleichheit und ungerechter Profitverteilung auf. Diese Themen müssen die Entwicklungsländer prüfen. Sie müssen vor ihrer eigenen Haustür kehren. Zu lange haben viele Regierungen wichtige Politikbereiche vernachlässigt und überließen sie der G8 beziehungsweise der G20.
Leider ist es viel zu wenigen Entwicklungsländern gelungen, Wachstumspotenziale zu erkennen. Die wirtschaftliche Entwicklung hat durch die Globalisierung sicherlich Inseln des Wohlstands geschaffen. Aber bis heute gibt es nur eine Handvoll neuer „Nordler“ im globalen Süden. Die Regierungen der Länder, die hier hinterherhinken, müssen unzählige Themen endlich in Angriff nehmen – darunter die Verbesserung der Infrastruktur, die Förderung von alternativen Energiequellen und die Energiesicherheit.
Die Welt kann die Lösung der Klimakrise nicht der G20 überlassen. Obwohl die G20-Mitglieder die Hauptverursacher von Treibhausgasen sind, scheuten sie bei ihren Treffen bisher dieses Thema – wahrscheinlich weil die USA und andere reiche Nationen darauf bestehen, dass alle Länder den gleichen Reduzierungsauflagen unterliegen. Dagegen betonen die Schwellenländer, dass ihre Bevölkerungen weitaus ärmer sind als die der G8 und ihre Staaten in der Vergangenheit kaum zum Klimawandel beitrugen. Die G20-Mitglieder sitzen zwar am selben Tisch, sie sind aber wirklich nicht gleich.