SADC

Nostalgie und leere Versprechen

Im südlichen Afrika sind ehemalige Befreiungsbewegungen inzwischen dominante Parteien – und politischer Populismus ist weit verbreitet. Gern sprechen die Führer über ihre Teilnahme am Kampf gegen die imperialistischen Unterdrücker. Zugleich zeigen sie wenig Bewusstsein dafür, dass die Bevölkerung immer noch unter extremer gesellschaftlicher Ungleichheit leidet.
Alte und neue Elite: Elizabeth II. begrüßt den namibischen Präsidenten Hage Geingob und seine Frau im Buckingham-Palast. Stillwell picture-alliance/empics Alte und neue Elite: Elizabeth II. begrüßt den namibischen Präsidenten Hage Geingob und seine Frau im Buckingham-Palast.

Die Zimbabwe African National Union (ZANU-PF) ist seit 1980 an der Macht, in Namibia regiert seit 1990 die Südwestafrikanische Volksorganisation (SWAPO), und seit 1994 hat der Afrikanische Nationalkongress (ANC) jede Regierung in Südafrika gebildet. Diese Parteien bedienen sich allesamt weiterhin antiimperialistischer Rhetorik – nur dass diese inzwischen dazu dient, von politischen Misserfolgen abzulenken. Die Hoffnung der Menschen auf sozioökonomischen Wandel jedoch ist unerfüllt geblieben.  

Unter der Herrschaft der weißen Minderheit zog die Legende von der heroischen Befreiung. Die Menschen glaubten, dass die antikolonialen Bewegungen ihren politischen Einfluss dazu nutzen würden, das Leben der Menschen zu verbessern, sobald sie an der Macht wären. Man erwartete Wohlstand und soziale Gerechtigkeit.

Nach der Unabhängigkeit hielten die meisten früheren Befreiungsbewegungen den Einfluss ihrer Parteien auf Regierung und Staat nicht nur für legitim, sondern für endlos. Sam Nujoma, der von 1960 bis 2007 die SWAPO führte und von 1990 bis 2005 Staatsoberhaupt Namibias war, wurde nach seiner Präsidentschaft offiziell zum „Gründervater“ erhoben. 2010 sagte er auf dem Kongress der Jugendorganisation der SWAPO, man solle „aufmerksam sein und wachsam bleiben gegen Täuschungsversuche von Opportunisten und unpatriotischen Elementen“. Auf diese Weise, so weiter, könnte die SWAPO „die nächsten TAUSEND JAHRE“ regieren.


Traumatisiertes Simbabwe

Mehr noch als Nujoma verkörpert Simbabwes Präsident Robert Mugabe den autokratischen Herrscher, dessen Autorität im historischen Kampf wurzelt. Wer es wagt, ihn zu kritisieren, gilt als Verräter. Tatsächlich hat er mehrere heftige Machtkämpfe innerhalb der Befreiungsbewegung überlebt. Als er sich mit Joshua Nkomo überwarf, einem ehemaligen Freiheitskämpfer und dem ersten Vizepräsidenten Simbabwes, kamen bei der Operation „Gukurahundi“ an die 20 000 Menschen ums Leben. Es ist Mugabe, der festlegt, wer zum Volk gehört und wer sein Feind ist.

Während des Befreiungskampfes war es tödlich, des Verrats bezichtigt zu werden. Die Militärobersten forderten uneingeschränkte Loyalität – das gab den Bewegungen Einigkeit und hielt sie lebensfähig. Abweichende Meinungen waren inakzeptabel. Der indische Soziologe Ashis Nandy beschrieb die Verinnerlichung der Machtchiffren 1983 in seinem Buch „Der Intimfeind“. Noch heute erwarten Parteiführer im südlichen Afrika absolute Loyalität – nur geht es jetzt nicht mehr um Rebellion, sondern um den Erhalt ihrer Regimes.

Vom Terror der ZANU-PF traumatisiert, hegen viele Simbabwer heute Ressentiments gegen Mugabe. Unter den Führungspersönlichkeiten des Kontinents aber gilt er als „antiimperialistischer Panafrikaner“. In diesen Kreisen wird er bewundert wie kein anderer. Dass Simbabwe unter seiner Herrschaft unter Hyperinflation, Cholera-Ausbrüchen und anderen massiven Problemen zu leiden hatte, spielt keine Rolle. Im Gegenteil: Sobald auf Treffen der südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft (Southern African Development Community – SADC) Kritik an Mugabe geübt wurde, stimmte der 2014 verstorbene sambische Präsident Michael Sata, auch „King Cobra“ genannt, Lieder aus dem Freiheitskampf an.


Tatsächlich half die SADC Mugabe an der Macht zu bleiben. Als die ZANU-PF in mehreren Runden der Parlaments- und Präsidentenwahlen 2008 verlor, antwortete Mugabe darauf mit Gewalt. Um das Blutvergießen zu beenden, verzichtete Morgan Tsvangirai auf seine aussichtsreiche Präsidentschaftskandidatur. Die SADC billigte Mugabes Verhalten und vermittelte eine „Regierung nationaler Einheit“, in der Tsvangirai Mugabes Ministerpräsident wurde. Die schiefe Neuordnung hielt nicht lange. Tsvangirai wirkte schwach – bei der nächsten Wahlrunde fünf Jahre später verlor seine Partei.

Trotz seiner unseligen Erfolgsgeschichte wurde Mugabe 2015 zum Präsidenten der Afrikanischen Union ernannt. Damals war durchaus bekannt, dass er vor Gewalt und Mord nicht zurückschreckt. Trotzdem lobte ihn Hage Geingob, der kurz zuvor sein Amt als Namibias dritter Präsident angetreten hatte, als Vorbild.

Es ist nicht neu, dass die Legende vom Befreiungskampf dazu dient, die Menschen von den gegenwärtigen Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten abzulenken. In seinem bahnbrechenden Manifest „Die Verdammten dieser Erde“ beschrieb Frantz Fanon bereits Anfang der 1960er Jahre die „Missgeschicke des nationalen Bewusstseins“. Er warnte, dass auf die Unabhängigkeit folgenden Regimes anfällig seien für Misshandlung, Belästigung und Einschüchterung der Menschen. Die Partei, die an der Macht ist, „kontrolliert die Massen ... um sie ständig daran zu erinnern, dass die Regierung Gehorsam und Disziplin erwartet“, diagnostizierte er.

Nationale Souveränität ging Hand in Hand mit dem Versprechen einer besseren Zukunft. Allerdings bedeutete sozialer Wandel meist schlicht, dass eine neue Elite die politische Macht übernahm und sich der Honigtöpfe bediente. Zwischen der großen Mehrheit der Bevölkerung des südlichen Afrikas und den wenigen Privilegierten besteht nach wie vor eine riesige Kluft. Propagiert wird aber, dass alles Unrecht aus der kolonialen Vergangenheit stamme und das neue Regime alles tue, um den Menschen ein besseres Leben zu ermöglichen.

Es gibt Stimmen, die sagen, aus dem Slogan „a luta continua“ – Portugiesisch für „der Kampf geht weiter“– sei „die Plünderungen gehen weiter“ geworden („the looting continues“). Der südafrikanische Aktivist Mphutlane wa Bovelo beschuldigt die neue politische und wirtschaftliche Elite der „Neigung zur Kleptomanie“ und der „massiven Entpolitisierung“. „Sie wollen uns weismachen, dass der Kampf vorbei ist, dass alles, worauf wir wütend sind, nur Überreste der alten Ordnung sind.“ Angriffe auf die Pressefreiheit runden das Gesamtbild ab.

In Südafrika zog Jacob Zuma erfolgreich die populistische Karte gegen seinen intellektuellen Rivalen und Vorgänger Thabo Mbeki. Er gab vor, gegen das Establishment zu rebellieren und die Versprechen der Befreiungsbewegung zu erfüllen. Zuma personifiziert eine „Zulu-Kriegskultur“ und sang bei politischen Kundgebungen oft das Lied „Bring mir mein Maschinengewehr“.

Es zeichnet sich jedoch zunehmend ab, dass diese populistischen Tricks ihm nicht mehr lange helfen werden. Nach siebenjähriger Amtszeit sprechen seine mageren Leistungen deutlichere Worte als seine Rhetorik. Die Südafrikaner haben keinen Nerv mehr für das, was als Geiselnahme des Staates („state capture“) bezeichnet wird und mit krummen Geschäften zu tun hat, an denen Zuma, sein engerer Kreis von Günstlingen und die Gupta-Brüder aus Indien beteiligt sind. Es wird Zuma nicht helfen, dass er inzwischen die ANC-Herrschaft mit der Wiederkehr von Gottes Sohn und sich selbst mit Jesus vergleicht.

Bei Wahlen hat die wichtigste Oppositionspartei – die Demokratische Allianz (DA) – an Boden gewonnen. Ein Sieg bei nationalen Wahlen ist zwar in absehbarer Zeit noch unwahrscheinlich. Aber die bislang ungefährdete Mehrheit des ANC schrumpft. Der Druck auf Zuma, abzutreten, wächst – langsam, aber stetig.

Grund zur Sorge ist, dass nun ein anderer versucht, dessen einst rebellische Rolle zu übernehmen. Julius Malema ist ein ehemaliger Zuma-Verbündeter, der früher die ANC-Jugendliga anführte. Nachdem er sich mit dem Staatsoberhaupt überworfen hatte, gründete er die Economic Freedom Fighters (EFF). Als echter Populist instrumentalisiert Malema reale Sorgen und Nöte der Menschen für politische Zwecke, ohne wirkliche Lösungsansätze zu nennen. Beobachter warnen, dass er noch zerstörerischer sein könnte als Zuma.


Kaputtes System

In Namibia und Simbabwe sind Demagogen dieses Kalibers nicht in Sicht, die eines Tages die Führung übernehmen könnten. SWAPO und ZANU-PF haben noch immer beziehungsweise erneut volle Kontrolle. Sie sind das System – und dieses wird zunehmend als kaputt beschrieben. Die Menschen wissen, dass sich die Führer, die gern vom Unabhängigkeitskampf reden, mit Luxusautos und Präsidentenjets durch die Welt bewegen und sich gern zu opulenten Banketts mit anderen Staatschefs treffen.

Bei Fidel Castros Beerdigung in Kuba lobte Namibias Präsident Geingob dessen Haltung: „Die Befreiung der Unterdrückten sollte niemals dem wirtschaftlichen Gewinn, sondern allein besserem Gewissen dienen.“ Die Namibier reagierten darauf mit Sarkasmus. Ein Leitartikel der Tageszeitung The Namibian hielt Geingob vor, „links zu reden und rechts zu gehen“.

Heute sind die dominierenden politischen Parteien in Angola, Mosambik, Namibia, Simbabwe, Südafrika und Tansania ehemalige Befreiungsbewegungen. Ihre Legitimität und Glaubwürdigkeit wird durch schlechte Regierungsführung, verbrecherische Netzwerke und leere Versprechen ausgehöhlt. Was sie stärkt, ist das gegenseitige Versprechen, einander im Notfall zu helfen. Dass dieses Netzwerk sehr effektiv sein kann, musste Simbabwes Oppositionsführer Tsvangirai erfahren. Die mächtigen Männer lieben Verschwörungstheorien und bezichtigen gern jeden, der sie zu kritisieren wagt, als Erfüllungsgehilfen des westlichen Imperialismus.

Zur Rechenschaft wollen sie nicht gezogen werden – weder von den Wählern noch von der Justiz. Vor wenigen Jahren wurde das SADC-Tribunal auf Eis gelegt, weil die Richter Mut zur Rechtsprechung gegen staatliche Willkür gezeigt hatten. Es ist ein gutes Zeichen, dass Südafrikas Öffentlichkeit wenig begeistert ist von Zumas Entscheidung, die südafrikanische Mitgliedschaft im Internationalen Strafgerichtshof zu beenden.

Das „Big Men“-Syndrom ist integraler Bestandteil des Populismus im südlichen Afrika. Indem die Führer ihresgleichen bejubeln, applaudieren sie vor allem sich selbst. Dass Südafrikas erster schwarzer Präsident Nelson Mandela den gleichen Respekt verdient wie sie, finden die Männer vom Schlag eines Mugabe oder Nujoma übrigens nicht. Denn während sie den bewaffneten Kampf anführten, war er jahrzehntelang auf Robben Island inhaftiert.

Aber die Menschen sehen das anders. Die meisten Afrikaner bewunderten Mandela. Er war in seinem Land populärer als Nujoma oder Mugabe in ihren Ländern, und sein Ziel war Versöhnung und die Schaffung einer Nation.


Henning Melber ist Direktor emeritus der Dag Hammarskjöld Stiftung in Uppsala und Extraordinary Professor der Universitäten in Pretoria und Bloemfontein. Der Sohn deutscher Einwanderer ist seit 1974 Mitglied der SWAPO.
henning.melber@nai.uu.se

 

Quellen:

Wa Bofelo, M., 2010: “’Shoot the Boers!’ Deflecting attention from new songs of protest.
http://www.pambazuka.org/governance/%E2%80%98shoot-boers%E2%80%99-deflecting-attention-new-songs-protest

Nandy, A., 1982: The intimate enemy. Delhi: Oxford University Press