Gewaltfreier Protest
Der Unterdrückung ins Gesicht lachen: Wie Humor Autoritarismus herausfordert

Als die Nacht über Tiflis in Georgien hereinbricht, strömen Tausende von Demonstrant*innen auf die Straßen. Es ist Dezember 2024, etwas mehr als einen Monat nach den georgischen Parlamentswahlen. Die Demonstrierenden fordern Transparenz bei der Wahlauswertung und prangern an, was sie als Verrat empfinden: den abrupten Abbruch der EU-Verhandlungen durch die regierende georgische Partei „Der Traum“, die ihnen zufolge nur durch Wahlbetrug an die Macht gekommen ist. Doch inmitten der angespannten Atmosphäre kommt es zu einer unerwarteten Szene: Zwei Demonstranten treten in die Mitte der Menge und beginnen, ihre Mäntel zu tauschen. Es folgen ihre Hüte, ihre Pullover, bis sie sich schließlich komplett umgezogen haben. Die Menge bricht in Gelächter aus, als jemand über ein Megafon verkündet: „Das ist der unbestreitbare Beweis für die falsche Identität der Demonstrant*innen, die unser geliebter Bürgermeister gestern Abend live im Fernsehen enthüllt hat!“
Mit der Kleidertauschaktion spielten sie auf eine Aussage des Bürgermeisters von Tiflis an, Kacha Kaladse. Dieser hatte behauptet, die Demonstrierenden würden sich verkleiden, um unerkannt an verschiedenen Kundgebungen teilnehmen zu können. So suggerierte er, dass die Menge täusche: „Es sind immer dieselben Leute, die an den Märschen teilnehmen und sich sehr schnell umziehen. Ich glaube, sie sind gut trainiert, denn es ist nicht leicht, innerhalb einer Stunde an einer, zwei oder gar drei Demonstrationen teilzunehmen!“ Die Behauptung war so offensichtlich absurd, dass sie in Georgien eine Welle des humorvollen Trotzes auslöste.
Tausende von Kilometern entfernt, in Maputo, Mosambik, sehen sich Demonstrierende weitaus mehr Gewalt ausgesetzt. Es ist Ende November 2024. Bei früheren Razzien sollen der Opposition zufolge mehr als 50 Demonstrant*innen getötet worden sein. Nun bereitet sich die Polizei darauf vor, eine Menschenmenge aufzulösen, die eine Neuauszählung der Stimmen fordert. Doch statt sich zurückzuziehen, knien die Menschen nieder und singen die Nationalhymne. Die Polizei, von einem Meer von Kameras begleitet, steht vor einem Dilemma. Entweder sie befolgt die Befehle und geht gewaltvoll gegen diese Menschen vor, die friedlich ihren Patriotismus ausdrücken, und riskiert dafür international Kritik zu ernten. Oder sie hält sich zurück. Die Polizei entschied sich für die erste Option – was die Demonstrierenden jedoch nicht davon abhielt, die Strategie bei weiteren Protesten in den folgenden Monaten zu wiederholen.
Beide Aktionen sind Beispiele für sogenannte Dilemma-Aktionen, eine effektive und kreative Form des Widerstands. Sie zwingen Regime und ihre Sicherheitskräfte in Lose-lose-Situationen, in denen sie nur verlieren können. Die Aktionen zeigen die Schwächen des Apparats auf und schaffen mehr öffentliche Unterstützung für den Protest.
Warum Dilemma-Aktionen funktionieren
Dilemma-Aktionen bringen nicht nur gute Geschichten hervor, sie zeigen auch Wirkung. Unsere Forschung zeigt, dass sie ein wichtiges Mittel gewaltfreier Bewegungen sind. Sie stellen repressive Regime vor schwierige Entscheidungen. Wie sie auch reagieren – ob zurückschlagen, Zugeständnisse machen oder nichts tun –, letztlich wird ihre Reaktion die Protestbewegung stärken. Erfolgreiche Dilemma-Aktionen wecken Sympathien und motivieren mehr Menschen, sich am Protest zu beteiligen.
Zu den wichtigsten Vorteilen von Dilemma-Aktionen gehören:
- Eine andere Sichtweise: Autoritäre Regime stellen sich meist als besonders rechtschaffen dar. Dilemma-Aktionen jedoch decken auf, dass sie oft heuchlerisch sind. Sie erleichtern es, die Widersprüche und Absurditäten autoritärer Herrschaft aufzudecken.
- Mehr Beteiligung: Alle Bewegungen leben davon, dass Menschen mitmachen. Durch Humor und symbolische Aktionen werden die Ziele oppositioneller Bewegungen für mehr Menschen anschlussfähig und attraktiv.
- Die Sicherheitskräfte entwaffnen: Die Polizei ist darauf trainiert, Aggressionen entgegenzutreten, und weiß oft nicht, wie sie auf spielerische oder patriotische Proteste reagieren soll. Sie riskiert ihre Glaubwürdigkeit, wenn sie friedliche Demonstrierende angreift.
- Weltweite Aufmerksamkeit: Kreative Taktiken sind sehr medienwirksam. Wenn die Aktionen clever gemacht sind, sind sie für die internationalen Medien meist unwiderstehlich. Die Geschichten verbreiten sich schnell und können weltweite Unterstützung für die Bewegung einbringen.
Humor als Teil des Widerstands
In Dilemma-Aktionen wird oft Humor eingesetzt, wir nennen das „laughtivism“. Obwohl es kontraintuitiv erscheinen mag, ist Humor eine wirksame Waffe im Kampf gegen Repression und Unterdrückung. Die Taktik hat sich in vielen Ländern von Serbien bis Thailand als erfolgreich erwiesen. Wenn Menschen über ein autoritäres Regime lachen, untergräbt dies dessen Autorität.
In Serbien machten sich Aktivist*innen über Diktator Slobodan Milošević lustig, indem sie ein Benzinfass mit seinem Gesicht bemalten, auf einem öffentlichen Platz aufstellten, einen Baseballschläger dazu legten und Passant*innen aufforderten, auf das Fass einzuschlagen. Die Polizei stand vor der Wahl, das Fass zu beschlagnahmen und sich damit lächerlich zu machen, oder es stehen und die öffentliche Empörung eskalieren zu lassen.
In Deutschland wurde ein Neonazi-Aufmarsch in eine „unfreiwillige Spendenaktion“ umgewandelt. Für jeden Meter, den der Nazimarsch zurücklegte, verpflichteten sich lokale Unternehmen, an EXIT Deutschland zu spenden – eine Organisation, die Neonazis beim Ausstieg hilft. Die Anwohner*innen standen am Straßenrand, jubelten dem Aufmarsch zu und trugen Plakate mit der Aufschrift „Wenn das der Führer wüsste“.
In Russland umgingen Aktivist*innen ein Demonstrationsverbot, indem sie Spielzeugfiguren mit Anti-Putin-Schildern aufstellten. Die Behörden fühlten sich bedroht und verboten den Spielzeugprotest mit der Begründung: „Spielzeuge sind keine russischen Bürger“. Das harte Durchgreifen brachte ihnen nur Spott und internationale Medienaufmerksamkeit ein.
Diese Beispiele zeigen: Humor kann Ängste abbauen und die Unsicherheiten autoritärer Regime aufdecken. Vor allem aber gibt er gewaltfreien Protestbewegungen Auftrieb.
Welche Dilemma-Aktionen wirksam sind
Häufig entstehen Dilemma-Aktionen spontan. Wie in Kasachstan, als jemand ein leeres Protestschild hochhielt, um gegen das Demonstrationsverbot zu protestieren. Dies löste eine Reihe von Nachahmungsaktionen aus. Die erfolgreichsten Dilemma-Aktionen sind jedoch sorgfältig geplant.
Wir haben 400 Dilemma-Aktionen weltweit ausgewertet, auf unserer Website „Tactics4Change“ dokumentiert und untersucht, wann Aktionen erfolgreich sind. Dazu gehört:
- Das richtige Thema setzen: Erfolgreiche Aktionen bauen auf einer weit verbreiteten Überzeugung auf, der man nur schwer widersprechen kann. Der oben beschriebene Protest in Mosambik war zum Beispiel auch deshalb so erfolgreich, weil man dort davon ausgeht, dass Menschen, die friedlich die Nationalhymne singen, keine Staatsfeinde sein können.
- Ein gutes Ziel auswählen: Erfolgreiche Aktionen decken Widersprüche in der Argumentation des Regimes auf, ohne potenzielle Unterstützer*innen zu verprellen.
- Eine spielerische Strategie entwickeln: Humor, Kreativität und symbolische Aktionen müssen im Einklang mit dem kulturellen und sozialen Kontext stehen. Man sollte über Machtmissbrauch auf eine Weise lachen, die andere lustig und intelligent finden.
- Verstärkung der Aktion: Medien können die Botschaft verbreiten. Laughtivism-Aktionen sind häufig als Memes oder Videos in den sozialen Medien viral gegangen. Einer guten Kampagne geht eine sorgfältig geplante Medienstrategie voraus.
- Die Reaktion des Regimes vorhersehen: Aktivist*innen sollten sich auf mögliche Reaktionen vorbereiten, um die Kontrolle über die Geschichte zu behalten.
Dilemma-Aktionen kommen oft einfach und spielerisch daher, sind aber in der Regel strategisch vorbereitet. In der Türkei zum Beispiel inszenierten Aktivist*innen einen „Kiss-in“ in U-Bahn-Stationen, um gegen sogenannte Sittengesetze zu protestieren. Die Behörden standen vor einem peinlichen Dilemma: Sollten sie wirklich Menschen wegen Küssens verhaften? Letztlich gelang es der „Kiss-in“-Bewegung, die Absurdität der neuen Gesetze aufzuzeigen und breite Unterstützung zu finden.
Die jüngsten Ereignisse in Georgien und Mosambik zeigen erneut: Widerstand muss nicht wütend oder aggressiv sein, um zu wirken. Es ist zwar sinnvoll, auf Machtmissbrauch wütend zu sein, es kann aber weitaus destabilisierender sein, sich darüber lustig zu machen. Spott untergräbt die Glaubwürdigkeit eines Regimes. Ob beim Manteltausch in Tiflis oder beim Singen der Nationalhymne in Maputo – gewaltfreier Widerstand kann Humor, Patriotismus und Kreativität nutzen, um Autoritarismus auf unerwartete Weise herauszufordern.
Links
Tactics4Change:
www.tactics4change.org
McClennen, S., Popovic, S., Wright, J., 2023:
How to Sharpen a Nonviolent Movement. Journal of Democracy.
https://www.journalofdemocracy.org/articles/how-to-sharpen-a-nonviolent-movement/
Popovic, S., 2015: Blueprint for revolution: How to use rice pudding, Lego men, and other nonviolent techniques to galvanize communities, overthrow dictators, or simply change the world.
Sophia McClennen ist Professorin für Internationale Angelegenheiten und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Penn
State University und Gründungsdirektorin des Center for Global Studies.
sophia.mcclennen@gmail.com
Srdja Popovic ist Gründer des Center for Applied Nonviolent Action and Strategies (CANVAS) sowie Dozent am Colorado College und an der University of Virginia.
X: @SrdjaPopovic