Sexuelle Belästigung
„Wenn du dich weigerst, droht er damit, dein Gehalt zu kürzen“
Aisha Shabani verkauft Gemüse auf dem geschäftigen Mchikichini-Markt in Daressalam. Die 31-jährige Händlerin hat gelernt, sich in Tansanias harter informeller Wirtschaft zu behaupten. „Man muss alle erdenklichen Tricks nutzen, um Kundschaft anzulocken“, sagt sie.
Doch für Shabani und viele andere Frauen ist der Konkurrenzkampf nicht die einzige Hürde. „Männer berühren immer wieder meine Brüste oder versuchen, mich zu umarmen“, berichtet sie. „Wenn ich das Geld nicht bräuchte, hätte ich schon aufgehört.“
Ihre Geschichte spiegelt die Realität vieler Frauen in Tansania wider. Laut Weltbank haben hier 40 Prozent aller Frauen im Alter von 15 bis 49 Jahren körperliche Gewalt erfahren, 17 Prozent wurden sexuell belästigt.
Der Arbeitsplatz ist einer der Orte, an denen Frauen regelmäßig geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt sind. Die 25-jährige Yustina, die in einer Serviettenfabrik arbeitet und ihren echten Namen nicht nennen möchte, berichtet, dass die Belästigung fast immer von Vorgesetzten ausgeht. „Er benimmt sich, als wären wir sein Eigentum“, beschreibt sie ihren Chef, der sie wiederholt sexuell bedrängt hat. „Wenn man sich wehrt, droht er mit Gehaltskürzungen oder zusätzlicher Arbeit.“
Die Probleme in Tansania spiegeln ein globales Problem wider. Laut der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) erfährt fast jede dritte Frau weltweit im Laufe ihres Lebens am Arbeitsplatz Gewalt oder Belästigung. Richtlinien wie das ILO-Übereinkommen Nr. 190, das das Recht auf einen gewaltfreien Arbeitsplatz anerkennt, sind ein wichtiger Schritt, doch in der Praxis wirken sie bisher kaum.
In Tansania etwa scheitern viele Bemühungen an tief verwurzelten kulturellen Normen und der unzulänglichen Umsetzung von Maßnahmen. Vor allem in ländlichen Gebieten gibt es kaum Möglichkeiten, rechtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Viele Frauen haben die Belästigung am Arbeitsplatz jahrelang schweigend ertragen, weil ihnen die Mittel fehlen, sich zu wehren. Equality for Growth (EfG), eine lokale Frauenrechtsorganisation, erkannte dies und wurde aktiv. „Wir haben schnell gemerkt, dass viele Frauen ihre Rechte nicht kennen und nicht wissen, wie sie Missbrauch melden sollen“, sagt Jane Magigita, die Gründerin von EfG. Die Gruppe startete deshalb Programme wie gezielte Schulungen für Rechtsanwaltsgehilf*innen, organisierte Frauenverbände und führte Sensibilisierungskampagnen durch.
Besondere Herausforderungen im informellen Sektor
Während der Kampf gegen Belästigung am Arbeitsplatz Fortschritte macht, stellt der informelle Sektor eine besondere Herausforderung dar. Aufgrund des Fehlens fester Strukturen ist es hier schwierig, Maßnahmen umzusetzen.
Dennoch entstehen auch hier zunehmend innovative Ansätze. Vor zwei Jahren führte EfG ein Handbuch ein, das speziell auf Frauen im informellen Sektor zugeschnitten ist. Es geht neben dem Arbeitsrecht auch auf Lizenzierungsfragen und wirtschaftliche Grundlagen ein und vermittelt insbesondere Markthändlerinnen Wissen, das sie brauchen, um ihre Interessen zu vertreten.
Die Organisation hat auch mobile Beratungsstellen auf Märkten eingerichtet, die wöchentlich kostenlose Unterstützung anbieten. Nach eigenen Angaben haben die Beratungsstellen bereits mehr als 7000 Frauen geholfen, rechtliche Fragen für sie geklärt und ihnen Mut gemacht.
Agatha Mmasi, eine weitere Verkäuferin auf dem Mchikichini-Markt, beschreibt, wie sich die Lage nach den die EfG-Schulungen verbessert hat. „Früher weigerten sich Männer, für Essen und Getränke zu zahlen. Jetzt drohen wir damit, sie zu melden. Das hat durchaus ihr Verhalten geändert.“
Unter dem Slogan „Mpe riziki, si matusi“ („Gebt uns Chancen, nicht Beleidigungen“) hat EfG Kampagnen gestartet, die spürbar Normen verändert haben. Marktkomitees verhängen jetzt etwa Geldstrafen bereits für verbale Belästigung – und machen Märkte somit sicherer für Frauen.
Said Wamba, Generalsekretär des Gewerkschaftskongresses von Tansania (TUCTA), fordert mehr Initiativen wie EfG sowie mehr politische Bestrebungen, den Schutz von Frauen und schutzbedürftigen Arbeitnehmer*innen voranzutreiben. „Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz sind eine versteckte Krise. Viele Frauen leiden still, weil sie Angst vor Stigmatisierung oder dem Verlust ihres Arbeitsplatzes haben“, sagt er. „Wir müssen deshalb sichere Meldekanäle schaffen und Täter zur Rechenschaft ziehen.“
Außerdem müssten Arbeitgeber*innen stärker entsprechende Richtlinien und Schulungsprogramme umsetzen. „Frauen sollten mit Würde arbeiten können. Vorgesetzte müssen ihrer Verantwortung nachkommen und ein Umfeld frei von Belästigung und Einschüchterung schaffen“, fordert Wamba.
Er begrüßt die in jüngster Zeit unternommenen Schritte, darunter Sensibilisierungskampagnen und die Umsetzung des Beschäftigungs- und Arbeitsbeziehungsgesetzes. Es ist bereits 2006 in Kraft getreten und wurde mehrmals angepasst, um grundlegende Rechte für Arbeitnehmer*innen zu garantieren, höhere Arbeitsstandards festzulegen und die Prävention und Beilegung von Streitfällen zu regeln. „Diese Initiativen schärfen das Bewusstsein und stellen sicher, dass Aufsichtsbehörden Missbrauchsfälle am Arbeitsplatz verfolgen“, sagt er. „Aber die Durchsetzung von Vorschriften bleibt eine Herausforderung. Wir müssen dafür sorgen, dass den Opfern schnell Gerechtigkeit widerfährt und die Täter härter bestraft werden.“
Die Klimakrise erhöht die Gefährdung
Derzeit untersucht TUCTA, wie sich auch informelle Arbeiter*innen organisieren und Interessenvertretungen gründen können. „In Tansania destabilisiert der Klimawandel zunehmend die Einkommen. Für Frauen bedeutet das häufig, dass sie keine andere Wahl haben, als weiterhin informell zu arbeiten, womöglich länger und öfter als zuvor. Sie brauchen ein Sicherheitsnetz – das ist nicht nur eine Frage des Überlebens, sondern auch der Würde“, sagt Wamba.
Organisationen wie die Tanzanian Women Lawyers Association (TAWLA) und die Association of Tanzanian Employers (ATE) setzen sich ebenfalls für Veränderungen ein. Suzanne Ndomba-Doran, Geschäftsführerin von ATE und Mitglied von TAWLA, betont, wie wichtig gute Meldeverfahren und rechtlicher Schutz sind. „Wir ermutigen Frauen, sich zu melden, sind uns aber auch der Risiken bewusst, die sie dabei eingehen“, sagt sie.
Laut Ndomba-Doran hat die ATE Kampagnen gestartet, um Arbeitgeber*innen über geschlechtsspezifische Gewalt und ihre Verpflichtungen aufzuklären. „Veränderung beginnt mit Bewusstsein, aber dann müssen auch Taten folgen“, sagt sie.
Kizito Makoye ist Umweltjournalist aus Tansania.
kizmakoye@gmail.com