Fehlverhalten von Durchführungsorganisationen

Dinosaurier am Werk

Weil es der Entwicklungspolitik in mehreren Jahrzehnten nicht gelungen ist, die Armut weltweit zu verdrängen, haben sich Regierungen von Geber- und Entwicklungsländern auf eine Agenda zur Steigerung der Wirksamkeit verständigt. Die Absichtserklärungen der High-Level-Foren von Rom (2003), Paris (2005) und Accra (2008) nützen allerdings nichts, wenn Regierungen und multilaterale Institutionen sich nicht an die vereinbarten Prinzipien halten. Unsere Autoren wollen mit der Schilderung negativer Erfahrungen aus Kambodscha zum Nachdenken anregen.


[ Von Hildegard Lingnau und Tuon Thavrak ]

Die Regierungen von Geber- und Entwicklungsländern haben sich auf den High-Level-Foren auf fünf Prinzipien geeinigt, um die Aid Effectiveness zu steigern. Dazu gehören die Eigenverantwortung der Entwicklungsländer („ownership“), die Harmonisierung des Geberhandelns („harmonisation“), die Ausrichtung an den Institutionen und Verfahren der Entwicklungsländer („alignment“) und die wechselseitige Verantwortung für die Ergebnisse („mutual ­responsibility“ und „managing for results“). Sechs Jahre nach Rom, vier Jahre nach Paris und ein Jahr nach Accra hat sich indessen in der Praxis, ungeachtet einiger positiver Entwicklungen wie etwa dem EU Code of Conduct, insgesamt wenig geändert.

So hieß es schon in einem Bericht des UN-General­sekretärs vor dem Gipfel in Accra: „The Paris process has not demonstrated genuine ability to change donor behaviour or to link the aid effectiveness agenda with sustainable development results.“ Zu dieser Einschätzung kamen auch die Akteure in Accra selbst: „Wir machen Fortschritte, aber noch nicht genügend“ (Accra Agenda for Action). Daran hat sich bis heute nicht viel geändert.

Wie kommt das? Es ist wohl kaum nur eine Frage der Zeit, bis die Prinzipien der Aid-Effectiveness-Agenda umgesetzt werden. In der entwicklungspolitischen Praxis entsteht immer wieder der Eindruck, dass versucht wird, die Forderungen von Rom, Paris und Accra zu verzögern, zu verwässern, wenn nicht sogar zu unterlaufen. Beispielhaft deutlich wird das im Bereich „Planning and Poverty Reduction“ in Kambodscha.

Evaluierungsergebnisse

Eine unabhängige Evaluierung der Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit in Kambodscha kam zu dem Schluss, dass Dinosaurier am Werk seien. Er warnte, diese seien vom Aussterben bedroht, wenn sie nicht bereit und in der Lage wären sich veränderten Rahmenbedingungen anzupassen (Independent Review Team, IRT 2008). Den Begriff „Dinosaurier“ bezog das Evaluierungsteam mit Experten aus Industrie- und Entwicklungsländern auf die Durchführungsorganisationen der Geber.

Dass der Befund zutrifft, bestätigte eine weitere, von Kambodschanern für das Wolfensohn Center for Development durchgeführte Studie (Ek und Sok, 2008). Im Folgenden werden die Schlussfolgerungen der beiden Studien anhand von Beispielen aus dem Bereich Planning and Poverty Reduction illustriert.

Der Kontext ist folgendermaßen: Die Regierung Kambodschas hat in den Jahren 2006 bis 2009 Ownership gezeigt und unter Einbeziehung aller Ministerien, des Parlaments, des Senats, des Königs, der Zivilgesellschaft und der Geberinstitutionen den National Strategic Development Plan (NSDP) erarbeitet. Das Dokument ist zugleich nationaler Entwicklungsplan, Poverty Reduction Strategy Paper (PRSP) und Fahrplan zur Erreichung der Millennium Development Goals (MDGs).

Nicht zuletzt auf Wunsch der Geber wurden dar­über hinaus unter anderem die folgenden Aktivitäten durchgeführt:
– Annual Progress Reports und Mid Term Review des NSDP,
– ein strategischer Plan für das für den NSDP zuständige Ministry of Planning (MOP) einschließlich jährlicher Operationspläne,
– ein Joint Learning Event (JLE) zum Thema Sector Wide Approaches (SWAp), Program Based Approaches (PBA) und Partnership Principles sowie
– ein Joint Learning Event zum Thema Monitoring, das zur Ausarbeitung neuer Monitoring-Indikatoren führte.

Darüber hinaus wird an Reformen gearbeitet, um Haushaltsplanung, Politikimplementation, öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) und dergleichen besser in Einklang zu bringen.

Man sollte meinen, damit wären die Anforderungen der Paris Declaration on Aid Effectiveness und der Accra Agenda for Action erfüllt. Eigentlich müss­te auf der Basis dieser Vorleistungen partnerschaftliche Zusammenarbeit gelingen. Leider ist das nicht der Fall, wie unsere Beispiele zeigen. Wir haben die Aussagen anonymisiert, weil wir ein Problem beschreiben, nicht aber Schuld zuweisen wollen.
– Geber und multilaterale Organisationen erstellen weiterhin Studien und Berichte ohne Einbeziehung der Regierung. So gibt es jährlich mehrere Entwicklungs- und Armutsberichte (vor allem von multilateralen Banken und UN-Organisationen), die den Anforderungen der jeweiligen Entwicklungsorganisationen entsprechen, nicht aber denen der kambo­dschanischen Regierung. Die zuständigen kambodschanischen Regierungsstellen erhalten Kopien der fertigen Berichte in der Regel erst kurz vor der Veröffentlichung – damit sie ein Vorwort einfügen und eine Rede für das Launching des jeweiligen Berichtes vorbereiten können. Intern ist dann von „nominal owner­ship“ die Rede.
– 2007 vergab eine UN-Organisation den Auftrag zur Erarbeitung neuer Indikatoren und eines neuen Monitoring Frameworks, ohne die Verantwortlichen im Planungsministerium auch nur zu informieren (geschweige denn zu involvieren). Die Parallelarbeit fiel erst auf, als das MoP die Aufgabe selbst anging, die UN-Organisation zu einem entsprechenden Workshop einlud und sich dann mit einem fertigen Produkt konfrontiert sah.
– Ein Trust Fund nutzt vor allem der beauftragten Entwicklungsbank, weniger der Regierung. So verzögerte ein Institut, dem ein bilateraler Geber einen Trust Fund anvertraut hatte, die Ausschüttung dieser Mittel an die Regierung, während die von der Bank exekutierten Mittel seit einiger Zeit fließen. Als Gründe nannte ein internes Papier mehrere Punkte. Das Ministerium habe auf Vorstellungen der Geber nicht gut reagiert. Unterschiedliche Vorstellungen des Ministeriums und der Geber über das Monitoring hätten den Dialog zusätzlich erschwert. Es sei nicht abzusehen gewesen, welche Folgen regulär anstehende Wahlen für die Politik haben würden. Nachdem die Regierung dann im Amt bestätigt worden war und ihre Arbeit im Wesentlichen unverändert weiterführte, sei das Poverty Team der Bank mit anderen Dingen beschäftigt gewesen. Mit Blick auf die Zukunft wird in dem Papier dann darüber nachgedacht, wie die Erträge für die Bank gesteigert werden können und wie das landesspezifische Programm der Bank (nicht aber das Land Kambodscha) voranzubringen sei.
– Zwei multilaterale Entwicklungsorganisationen behindern seit 2007 die Entwicklung eines SWAps/PBAs. Sie missachten dabei Empfehlungen unabhängiger Experten, die das multilaterale Geberprogramm train4dev, das die Implementierung der Aid-Effectiveness-Agenda unterstützen soll, bereitgestellt hatte. Als Vorbedingung für den SWAp/PBA wurde unter anderem ein „institutional capacity assessment“ im Planungsministerium verlangt, wobei das gesamte Personal, seine Qualifikation sowie die komplette Ausstattung mit Rechnern, Fahrzeugen und Möbelstücken erfasst werden sollte. Als deutlich wurde, dass das von einem unabhängigen Gutachter durchgeführte Assessment vor allem zu kritischen Ergebnissen über die Leistungen von Gebern und Durchführungsorganisationen und weniger des MoP kommen würde, wurde der Einsatz von der finanzierenden Entwick­lungsorganisation ohne Angabe von Gründen beendet.
– Einige Entwicklungsorganisationen agieren auch in der Öffentlichkeitsarbeit nicht sehr partnerschaftlich: Anlässlich der Einführung der neuen internationalen Armutsdefinition (1,25 Dollar statt zuvor 1,00 Dollar pro Kopf und Tag) gingen 2008 Vertreter von Entwicklungsbanken in Kambodscha an die Presse, ohne vorab mit den zuständigen Regierungsstellen zu sprechen. Sie erklärten den perplexen Journalisten, dass nun 42 Prozent der kambodschanischen Bevölkerung (so die eine Bank) beziehungsweise 37 Prozent (so die andere Bank) und nicht 31 Prozent (so die bisherigen Regierungszahlen) in extremer Armut lebten. Das für die Armutsdaten zuständige Planungsministerium, zu dem auch das Statistikinstitut gehört, wunderte sich. Ein Beamter fragte sarkas­tisch, ob er künftig die Zeitung lesen müsse, um zu erfahren, was die Geberinstitutionen bezüglich der Armutsmessung in seinem Land täten. Ein anderer klagte, dass Partnerschaft für die Geber und Entwicklungsorganisationen offenbar eine Einbahnstraße sei.

Die Liste ließe sich verlängern. Es gibt einige Evidenz dafür, dass Entwicklungsorganisationen die Umsetzung der Paris Declaration und der Accra Agenda for Action behindern. Dass es sich dabei nicht um unglück­liche Einzelfälle handelt, bestätigten die bereits oben erwähnten Evaluierungen aus dem Jahr 2008 (siehe Kasten).

Wie weiter?

Moderne EZ, wie sie in der Paris Declaration und Accra Agenda for Action vereinbart wurde, wird sich nicht von alleine durchsetzen. Sie muss von den Regierungen beider Seiten aktiv betrieben werden. Handlungsbedarf haben alle Beteiligten.

Entwicklungsorganisationen haben diverse Gründe (etwa Geschäftsinteressen), warum sie sich nicht an die Aid-Effectiveness-Agenda halten. Andererseits sehen die Regierungen der Entwicklungsländer vor dem Hintergrund ihrer vielfach bitteren Erfahrungen aber nicht ein, warum sie ihre Politik offenlegen und alle Details mit den Gebern abstimmen sollen. Angesichts der Übermacht der Geber und multilateraler Organisationen geben sie es auf, selbst initiativ zu werden und Verantwortung zu übernehmen. Wechselseitige Schuldzuweisungen führen aber nicht weiter. Um das Blame Game zu beenden, sollten die Geber und ihre Institutionen sich und anderen klarmachen, ob sie die Ownership eines Partners akzeptieren oder nicht.

Sie sollten sich entweder zu einer wirklichen Partnerschaft durchringen oder die Kooperation einstellen. Zusammenarbeit, die immer nur in eine Richtung – und zwar zu Gunsten der Geberinstitutionen – läuft, ist in Wirklichkeit keine Partnerschaft, sondern Gängelei. Wer in einer sich rasant verändernden, multipolaren Welt mit gewichtigen neuen globalen Akteuren – insbesondere in Asien – im Gespräch bleiben sowie die Ausgrenzung von Modernisierungsverlierern verhindern und deren destruktive Potenziale eindämmen will, muss anders handeln.

Um Begriffe von David Ellermann (2006: 248) zu verwenden, geht es nun darum, vom „social engineering“ der „would-be helpers“ zu einem Ansatz zu wechseln, der die „ownership“ der „doers of development“ wirklich respektiert. Im Rahmen echter Partnerschaft sollten statt der gewohnten unilateralen Konditionalität gemeinsame Monitoringindikatoren vereinbart und Mechanismen gegenseitiger Rechenschaft eingeführt werden, wie das auch von der Accra Agenda verlangt wird.

Was konkret zu tun ist, ist eigentlich klar – und in der Paris Declaration und der Accra Agenda auch längst benannt. Nötig sind nachfrage- statt angebotsorientierte EZ, koordinierte Unterstützungsprogramme der Geber, SWAps/PBAs und so weiter. Die Regierungen der Entwicklungsländer sollen dabei nicht nur mitbestimmen, sondern die Führung übernehmen: „DC governments will lead in determining the optimal role for donors in supporting their development efforts at (all) levels“ (AAA:17a).

Damit es nun endlich wirklich vorangeht, sollte eine „Period of Compliance“ vereinbart werden, eine Frist, während der die entsprechenden Änderungen zu erfolgen haben. Danach müssten dann alle Beteiligten für Fälle von Non-compliance detailliert Rechenschaft ablegen.

Beide Autoren bringen hier ihre persönliche Meinung zum Ausdruck. Sie maßen sich kein umfassendes oder abschließendes Urteil über die Umsetzung von Paris Declaration und Accra Agenda for Action in Kambodscha oder gar darüber hinaus an, sondern wollen zum Nachdenken anregen.

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