Humanitäre Hilfe

Dreifacher Auftrag

Medico international ist eine Hilfsorganisation, die sich für die Verwirklichung des Menschenrechts auf Gesundheit einsetzt. Mittlerweile gibt es auch eine Stiftung gleichen Namens. Medico-Geschäftsführer Thomas Gebauer erläutert das Konzept.
Basisnahe Altenpflege in Bangladesch. dem Basisnahe Altenpflege in Bangladesch.

Wie bewerten Sie den Trend, dass der Einfluss superreicher Philanthropen weltweit wächst?
Was in der Philanthropie verlorengeht, ist der Rechtsanspruch der Menschen auf Daseinsvorsorge. Dem Schweizer Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi, einem Zeitgenossen der Französischen Revolution, verdanken wir den bemerkenswerten Satz: „Wohltätigkeit ist die Ersäufung des Rechts im Mistloch der Gnade.“ Das passt auch noch heute. Die entscheidende Frage ist immer, ob die gesellschaftlichen Umstände es zulassen, dass Menschen ihre sozialen Rechte und Rechtsansprüche verwirklichen können oder ob sie auf die Gnade anderer angewiesen sind. Letzteres ist leider heute zunehmend der Fall. Darin kommt eine Refeudalisierung der Verhältnisse zum Ausdruck, ein Zurück in die Zeit vor der Französischen Revolution.

Medico international arbeitet aber doch selbst wohltätig?
Ja, und das ist angesichts des großen Elends in der Welt auch nötig. Wir sehen uns einem dreifachen Auftrag verpflichtet:

  • wir verteidigen die nötige Hilfe,
  • wir kritisieren ihre Praxis, und
  • wir wollen Hilfe überwinden.

Unser Ziel ist die Schaffung weltweiter solidarischer Sicherungssysteme, die den Rechtsanspruch auf Daseinsvorsorge sichern und so die Abhängigkeit bedürftiger Menschen vom Goodwill anderer weitgehend minimieren. Solange das nicht erreicht ist, ist Hilfe aber notwendig – und ebenso die Kritik an den Verhältnissen, die sie notwendig machen. In meinen Augen leidet die Welt nicht an zu wenig Hilfe, sondern an Verhältnissen, die immer mehr Hilfe nötig machen.

Wer für medico spendet oder sein Kapital ihrer Stiftung stiftet, hat aber doch im Prinzip dasselbe Motiv wie reiche Philanthropen wie etwa Bill Gates, Warren Buffett oder Michael Bloomberg. Diese Menschen wollen etwas Positives bewirken.
Es gibt aber einen großen Unterschied. Unsere Spenderinnen und Spender verfolgen nicht, wie das die Personen tun, die Sie genannt haben, eigennützige Interessen. Sie nutzen ihr Geld nicht, um ein businessorientiertes Hilfsmodell durchzusetzen, wie das Bill Gates im Falle der WHO tut. Wer uns Geld gibt, unterstützt unser sozialpolitisches Anliegen. Was das Verhältnis zwischen medico und seinen Spendern trägt, ist nicht Kontrolle und Einflussnahme, sondern gemeinsame Überzeugungen und Vertrauen.

Warum hat Ihr Verein vor gut einem Jahrzehnt die Stiftung gegründet? Andere karitative Organisationen in Deutschland verfolgen ähnliche Strategien.
Wir hatten mehrere Motive: Wir wollten unsere Unabhängigkeit erhöhen und so auch die Abhängigkeit von öffentlichen Fördermitteln senken. Wir wollten sicherstellen, auch dann handlungsfähig zu bleiben, wenn es auf weniger spektakuläre Krisen zu reagieren gilt, die nicht in der Aufmerksamkeit der Medien stehen. Und wir wollten die Möglichkeit langfristiger Planungen vergrößern. Spenden, die der Verein bekommt, müssen zeitnah verwendet werden. Mit den Erträgen aus dem Stiftungskapital können wir dagegen auch Aktivitäten unterstützen, die einen langen Atem brauchen, etwa die Erarbeitung gesundheitspolitischer Konzepte oder die Förderung von globalen Kampagnen, wie damals die Kampagne gegen die Landminen. Wir wussten von einigen unserer Spenderinnen und Spender, dass sie Teile ihres Vermögens im Rahmen einer Stiftung langfristig sozialen Zwecken zukommen lassen wollten. Manche hatten beträchtliche Erbschaften gemacht, die sie gerne weitergeben wollten. Und so entstand mit der medico Stiftung ein zweites organisatorisches Standbein, das uns unabhängiger und zugleich flexibler macht.

Was ist der aktuelle Stand der Dinge?
Das Stiftungskapital beträgt mittlerweile etwas über 20 Millionen Euro. Und es wird weiter wachsen, denn immer öfter wird medico heute in Testamenten bedacht. Es gibt in Deutschland viele Menschen, die etwas zu vererben haben, und manche davon wollen damit noch langfristig sozialpolitisch etwas bewirken.

Wie ist das Stiftungskapital angelegt?
Grundlage sind ethisch-nachhaltige Kriterien sowie die langfristige Sicherung des Stiftungsvermögens. Aufgrund der Turbulenzen an den Kapitalmärkten haben wir uns entschlossen, einen Teil des Vermögens in einer Immobilie anzulegen, die wir selbst nutzen wollten. Der Bau des medico-Hauses im Frankfurter Osthafenviertel begann Mitte letzten Jahres. Vor ein paar Wochen sind wir nun gemeinsam mit gleichgesinnten Organisationen eingezogen.

Wie nutzen Sie das Haus?
Mit von der Partie sind andere Initiativen, die wie medico sozialpolitische Ziele verfolgen. Dazu gehören etwa die Evangelische Wohnraumhilfe oder eine psychotherapeutische Beratungsstelle für traumatisierte Flüchtlinge. Wir fühlen uns in diesem Umfeld wohl, und es ermöglicht zugleich, gemeinsam auf die Frankfurter Stadtgesellschaft einzuwirken. Zu diesem Zweck entstand im Erdgeschoss ein größerer Veranstaltungsbereich, den wir nun für Podiumsdiskussionen, Ausstellungen, lokale und überregionale Vernetzungstreffen et cetera nutzen werden. Aber noch etwas ist mit dem Haus verbunden. Wir sind nun von den höchst bedenklichen Entwicklungen, die gerade den Frankfurter Immobilienmarkt in Atem halten, unabhängig. Die Mieten, die der Verein und unsere Nachbarn an die Stiftung zahlen, fließen nicht an irgendeinen Investor, sondern zurück in die Arbeit von medico.

Medico unterstützt Partnerorganisationen in Entwicklungsländern und Krisenregionen, die sich auf der Graswurzelebene für medizinische Basisversorgung und gesündere Lebensverhältnisse einsetzen. Beobachten Sie, dass kleine dezentrale Initiativen wegen des wachsenden Einflusses einiger megareicher Individualspender weniger Geld bekommen?
Was ich beobachte, ist eine Art Kapitalisierung der Hilfe, auch der staatlichen Entwicklungspolitik und dies nicht nur in Deutschland. Immer häufiger ist heute von Sozial-Anleihen die Rede, die privates Kapital für soziale Zwecke mobilisieren sollen. Gerade erst hat das Internationale Komitee vom Roten Kreuz den weltweit ersten „Humanitarian-Impact-Bond“ auflegt, der Anlegern, die beispielsweise Geld für Rehabilitationszentren in Syrien bereitstellen, sieben Prozent Rendite verspricht. Die müssen dann, zusätzlich zur Rückzahlung der Einlagen, aus Steuermitteln aufgebracht werden. Ein anderes Beispiel: Wenn heute über gesundheitspolitische Maßnahmen beraten wird, sind die Pharmaindustrie, die medizintechnischen Gerätehersteller und Institutionen wie die Gates-Stiftung immer ganz vorne dabei. Nicht dabei aber sind Basisinitiativen, die die krankmachenden Lebensumstände dauerhaft verändern wollen und folglich weniger Interesse an Hightech-Lösungen und schnell vorzeigbaren Ergebnissen haben. So unterwirft sich die Entwicklungspolitik mehr und mehr einer ökonomischen Logik.

Widerspricht das nicht dem Geist der Nachhaltigkeits-Entwicklungszielen (Sustainable Development Goals – SDGs), die weltweit Sozialpolitik eigentlich stärken?
Leider trifft das auch auf die SDGs zu. Nicht über die Umverteilung des bestehenden Reichtums sollen sie verwirklicht werde, sondern über ökonomisches Wachstum, wie es im Kleingedruckten der SDG-Agenda, den means of implementation steht. Als ich vor fast 40 Jahren mit internationaler Solidaritätsarbeit anfing, waren viele von uns, auch die Mitarbeiterinnen in den Institutionen der staatlichen Entwicklungspolitik, von den Ideen der „Pädagogik der Befreiung“ – von Autoren wie Paulo Freire – inspiriert. Heute sind es pragmatische Anpassungsprogramme, die dominieren. Die Pädagogik der Befreiung wurde abgelöst von albern klingenden „financial literacy“-Konzepten, die in Menschen nicht mehr mündige und sozial engagierte Citoyens sehen, sondern nur noch kleine Unternehmer, die miteinander um die Sicherung ihrer Lebensumstände konkurrieren müssen.


Thomas Gebauer ist Geschäftsführer sowohl des Vereins medico international e.V sowie ehrenamtlich der stiftung medico international. Er war Anfang der 1990er Jahre Mitinitiator der internationalen Kampagne zum Verbot der Landminen (ICBL), die 1997 für ihren Beitrag zum Zustandekommen der Ottowa-Konvention zum Verbot der Antipersonenminen mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde.
info@medico.de
http://www.medico.de