Editorial

Noch viel mehr Hilfe

Laut FAO ist die Zahl der Menschen, die nicht genug zu essen bekommen, in diesem Jahr über eine Milliarde gestiegen. Bislang hatte sie seit Ende der 60er Jahre unter 900 Millionen stagniert. Zu den Ursachen der neuen Not gehören die Weltwirtschaftskrise, die gerade die Kaufkraft der Schwächsten reduziert, der höhere Rohstoffverbrauch wegen der Produktion von Biotreibstoffen sowie der aufwendiger gewordene Lebensstil aufstrebender Volkswirtschaften. Je mehr Menschen nach dem Modell westlicher Konsumgesellschaften leben, desto weniger bleibt für die Ärmsten übrig.

Trotz des alarmierenden Trends stimmt das vor allem auf der politischen Linken verbreitete Lamento nicht, dass es immer mehr Menschen immer schlechter gehe. Vor 40 Jahren litt rund ein Drittel der Weltbevölkerung Not. Heute ist es knapp ein Sechstel. In vielen Ländern sind Lebenserwartung, Alphabetisierungsquote, Pro-Kopf-Einkommen und andere Entwicklungsindikatoren gestiegen. Die größten Erfolge gab es in Asien, wo der Systemwettbewerb von Kapitalismus und Kommunismus vielfach dazu führte, dass Regierungen ihre Länder modernisierten. Der heutige Kurs von China oder Vietnam ähnelt in vielem dem, der zuvor Südkorea oder Singapur aus der Armut führte. Dort verstanden es die Regierungen, mit Hilfe anderer Nationen eigene Fähigkeiten aufzubauen – und damit die Industrialisierung staatlich zu koordinieren. Die Entwicklung einfach dem Markt zu überlassen, hat nicht funktioniert, wie die Weltbank im Zuge ihrer gescheiterten Strukturanpassungen gelernt hat.

Heute fehlt es vor allem südlich der Sahara an Erfolgen. Frustrierend ist auch der ökonomische und soziopolitische Stillstand im Mittleren und Nahen Osten. Diese Weltregionen entfalten ihre positiven Potenziale nicht. Gut gemeinte Entwicklungshilfe führt aber nicht weiter, denn ohne gesellschaftlich verankerten Modernisierungswillen ist Erfolg unmöglich.

Entwicklungspolitik gibt es seit rund 50 Jahren. Weil inzwischen klar ist, dass es für solide Amts- und Regierungsführung keinen Ersatz gibt, versuchen die Geber seit anderthalb Jahrzehnten Anreize für „good governance“ zu schaffen. Sie stecken dabei in dem Dilemma, dass sie in fremden Ländern etwas bewirken wollen, was deren Gesellschaften selbst veranlassen müssen. Dieser Grundwiderspruch ist besonders dort deutlich, wo Konflikte arme Länder so sehr schwächen, dass es keinen stabilen Staat mehr gibt und Geberinstitutionen keine handlungsfähige Regierung als Partner vorfinden – sei sie nun integer oder korrupt.

Das Grunddilemma lässt sich nicht einfach lösen. Es bietet aber auch keine Entschuldigung dafür, immer wieder mit wohlklingender Rhetorik Verstöße gegen die eigenen Prinzipien zu übertünchen – oder gar durch Entscheidungen in anderen Politikfeldern die eigene Entwicklungspolitik zu konterkarieren. Klar ist nämlich auch, dass in der immer enger verflochtenen Weltgesellschaft nationale Entwicklung stets auch vom globalen Kontext abhängt. Ernährungssicherheit entzieht sich heute der Souveränität des Einzelstaats. Das gilt ähnlich auch für andere wichtige Dinge wie Klimawandel, Finanzstabilität oder Terrorbekämpfung, um nur drei zu nennen.

Dadurch wird die Entwicklungspolitik noch komplizierter und noch wichtiger. Die Reduktion der Treibhausgase und die Anpassung (auch der Landwirtschaft) an den mittlerweile unvermeidlich gewordenen Klimawandel erfordern, dass die Geber künftig noch mehr helfen – und zwar wirksam.