Weltbank
Was die Weltbank besser machen muss
US-Präsident Joe Bidens Wirtschaftspolitik ist interventionistischer als die seiner Vorgänger in den vergangenen 40 Jahren. Auch die EU und ihre Mitglieder befürworten eine stärkere Rolle des Staates. Was heißt diese Abkehr von marktorthodoxen Ideen für die internationale Zusammenarbeit?
Ich versuche, mich kurz zu fassen. Seit den 1980er-Jahren war Marktorthodoxie das internationale Paradigma. Die Vorreiter waren Ronald Reagan in Washington und Margaret Thatcher in London. Deutschland und andere EU-Mitglieder verfolgten ähnliche, aber weniger radikale Ansätze und beharrten auf stärkerer sozialer Sicherung. In Europa und Nordamerika wurde die Landwirtschaft zudem subventioniert. Es gab also nie eine völlig freie Marktwirtschaft. Aber diese Vorstellung inspirierte die Regeln für die internationale Zusammenarbeit, besonders nach dem Fall der Berliner Mauer. Mit Blick auf Weltbank und Internationalen Währungsfonds (IWF) sprachen wir vom „Washingtoner Konsens“, der sich grob so zusammenfassen lässt: Sorgt eine Regierung für makroökonomische Stabilität, liberalisiert die Wirtschaft beziehungsweise hält sich weitgehend daraus zurück, so folgten Wirtschaftswachstum und breiter Wohlstand. In den vergangenen 15 Jahren haben wir uns kaum noch auf den Washington Consensus berufen. Wir haben aber kein neues Paradigma.
Was war falsch am alten?
Die internationale Gemeinschaft muss ernste, miteinander verwobene Krisen bewältigen: Dazu gehören die globale Finanzkrise von 2008 und ihre langfristigen Folgen, zu denen aktuell hohe Zinsen, Turbulenzen im Bankensektor und die wachsende Verschuldung vieler Länder mit niedrigen und mittleren Einkommen gehören. Hinzu kommt eine noch nie dagewesene Klima- und Biodiversitätskrise. Die Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen wächst in den meisten Ländern, und die Corona-Pandemie hat viele Probleme verschärft. All das hat Folgen für die Rolle des Staats in der Wirtschaft und die Beziehungen zwischen Regierungen und Unternehmen. Marktkräfte allein bieten keine Lösungen. Wir brauchen eine neue Herangehensweise; dabei muss der Staat eng und konstruktiv mit der Privatwirtschaft zusammenarbeiten und auch möglichst die Richtung vorgeben. Der Weltbank kommt dabei eine wichtige Rolle zu.
Der Staat soll also nicht mehr freiem Unternehmertum möglichst viel Raum geben, sondern die Bedingungen für Marktwettbewerb so gestalten, dass gute Ergebnisse folgen.
So lässt sich das formulieren. Es ist aber leichter gesagt als getan. Es gibt keine Blaupause, die für jedes Land passt. Klar ist, dass Staat und Privatsektor eng kooperieren müssen, zum Beispiel bei der globalen Energiewende: Unternehmen müssen massiv in erneuerbare Energie investieren. Dafür müssen Staaten die ergänzende öffentliche Infrastruktur wie integrierte Netze mitsamt stimmigem regulatorischem Umfeld schaffen, wozu Einspeisetarife zählen. Die Weltbank muss kluge staatliche Politik bei solchen Dingen unterstützen. Deutschland hat sie gebeten, Klima-Reformprogramme für einige Schlüsselländer aufzulegen. Das geht aber zu langsam voran.
Was bremst die Weltbank?
Ein Problem ist, dass die Weltbank zu sehr in Projekten und zu wenig auf systemischen Wandel ausgerichtet ist. Außerdem kümmert sie sich zu wenig um grenzüberschreitende Probleme. Sogenannte globale öffentliche Güter müssen in ihrer Arbeit stärker berücksichtigt werden. Denken Sie zum Beispiel an die Tropenwälder. Die gesamte Menschheit ist an ihrem Schutz interessiert, aber tropische Länder haben dafür nur unzureichende Anreize. Oft scheinen vor Ort die Ausweitung der Landwirtschaft und Ausbeutung natürlicher Ressourcen attraktiver. Als Anreiz könnte die Weltbank Nationalstaaten mehr und/oder günstigere Kredite anbieten. Dafür muss sie ihr Handeln, ihre Konzepte und auch ihre Forschung ändern. Die Finanzierung von Lösungen für globale Herausforderungen muss Teil der Weltbank-DNA werden.
Was meinen Sie mit veränderter Forschung?
Weltbankentscheidungen beruhen auf wissenschaftlichen Einsichten. Wackelt das Fundament, sind auch die Entscheidungen nicht solide. Ich denke, die Forschungsabteilung der Bank kann mehr leisten. Wir drängen sie seit Jahren, Klimarisiken in ihren volkswirtschaftlichen Bewertungen zu berücksichtigen. Das geschieht aber kaum. Auch auf die drastisch wachsende Ungleichheit in den meisten Entwicklungsländern und deren Folgen für sozialen Zusammenhalt und politische Stabilität reagiert sie nicht angemessen. Solange die Forschungsabteilung der Weltbank die Realität nicht wahrnimmt, können die Politikempfehlungen nicht überzeugen.
Ihre Kritik an der Forschung der Weltbank ähnelt dem, was mir der indonesische Wirtschaftsprofessor Iwan J. Azis kürzlich über die Forschung des IWF sagte.
Der IWF ist allerdings eine monolithischere Institution, die in entscheidenden Fragen eine einheitliche Position vertritt. Die Weltbank lässt tausend (Forschungs-)Blumen blühen, wobei die Forschungsabteilung eine orthodoxe wirtschaftspolitische Vorstellung vertritt. Diese Vielfalt und dieses Nebeneinander ist nicht immer hilfreich, weil häufig eine klare und konsistente Linie nötig ist.
Soll die Weltbank eine Klimabank werden?
Das halte ich nicht für zentral. Die Weltbank sollte eine Entwicklungsbank bleiben, dabei aber die neuen Realitäten – globale Erwärmung, Biodiversitätskrise und soziale Ausgrenzung etwa – voll berücksichtigen und das dann mit ihrer Ausrichtung auf Armut und integrativen Wohlstand in Einklang bringen.
Wie hängen Entwicklungshilfe (ODA – official development assistance) und Klimafinanzierung zusammen? Hocheinkommensländer halten sich nicht an ihre jahrzehntealten ODA-Versprechen, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens auszugeben. Auch Zusagen in der Klimafinanzierung erfüllen sie nicht.
Dies ist ein schwieriges Thema. Ich halte Silodenken für wenig hilfreich. Getrennte Töpfe für Entwicklung und Klimaschutz sind unsinnig; so dient etwa saubere Energieinfrastruktur beidem. Für die nachhaltige Umgestaltung der Landwirtschaft gilt das ebenfalls. Diese Liste ließe sich fortsetzen. Es gibt große Überschneidungen – wir sprechen deshalb von „Co-Benefits“.
Klimafinanzierung soll zusätzlich zur ODA fließen. Wäre es sinnvoll, die ODA-Zusage auf 1,2 Prozent oder so zu erhöhen?
Grundsätzlich ja, aber ob das realistisch ist, weiß ich nicht. Die deutsche Öffentlichkeit würde vielleicht mitmachen, wenn wir sagten, mit dem zusätzlichen Geld werde der Planet klimasicher gemacht. Deutschland erfüllt das 0,7-Prozent-Versprechen. Viele wohlhabende Nationen tun das aber nicht, und sie wollen vermutlich keine neuen Verpflichtungen eingehen. Es geht auch nicht nur um ODA. Reiche Länder könnten ärmeren Partnern helfen, indem sie ihre Wirtschafts- und Finanzpolitik anpassen und beispielsweise Importen aus Entwicklungsländern leichteren Marktzugang gewähren.
Wie sehen Sie die eskalierenden Staatsschuldenkrisen in Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen?
Die Lage ist sehr ernst und vielschichtig. Die von China und in kleinerem Umfang auch von anderen Schwellenländern gewährten Kredite machen heute einen erheblichen Teil der Schulden aus. Auch private Gläubiger sind sehr wichtig geworden. Die große Herausforderung ist, alle Parteien mit ins Boot zu holen. Wir haben das gemeinsame Rahmenwerk der G20 für den Umgang mit Schulden und damit eine Grundlage dafür, wie wir reagieren sollen. Das ist gut. Leider bleiben aber überzeugende Ergebnisse bislang aus. IWF und Weltbank haben sehr gute Vorschläge für die effizientere Ausgestaltung des Common Framework gemacht.
China wirkt sehr zögerlich bei Umschuldungen. Zugleich verweisen seine Diplomaten ausgesprochen geschickt auf westliche Schwachpunkte hin. Was sagen Sie dazu?
China hat den Common Framework akzeptiert. Nun muss es ihn konsequent und effizient umsetzen – und für mehr Schuldentransparenz sorgen. Alle öffentlichen Kreditgeber müssen sich zudem um die Einbeziehung privater Gläubiger kümmern. Das BMZ hat eine Studie in Auftrag gegeben, um aufzuzeigen, wie sich verhindern lässt, dass einzelne private Gläubiger Umschuldungen blockieren.
Westliche Medien kritisieren China gern, aber ich halte manche Darlehen zum Aufbau der Infrastruktur in Entwicklungsländern doch für nützlich. Ich verstehe, warum China nicht die Hauptlast des Schuldenerlasses tragen will.
Die Last muss gerecht verteilt werden. Ich stimme zu, dass China bereits einen Teil der Last trägt, etwa im Rahmen der Aussetzung von Schuldendiensten von Ländern mit niedrigen Einkommen während der Corona-Pandemie. Angesichts der drastischen Lage in vielen Ländern ist aber vielfach echter Schuldenerlass nötig. Wir haben keine Zeit für langwierige Verfahren. Sie würden Entwicklungserfolge weiter gefährden, soziale und politische Instabilität provozieren und kämen uns am Ende damit sehr viel teurer zu stehen.
Wäre es hilfreich, China mitzuteilen, dass die Asiatische Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB) – die in Peking ansässige multilaterale Institution – wie die Weltbank behandelt wird und somit keine Schulden erlassen soll?
Wir sehen beide als vergleichbare Institutionen. Manche Fachleute finden, beide sollten Schulden erlassen. Ich stimme ihnen nicht zu. Die multilateralen Entwicklungsbanken (MEBs) haben aus gutem Grund bevorzugten Gläubigerstatus. Das schützt ihre AAA-Ratings, die ihnen auf den internationalen Kapitalmärkten relativ günstige Refinanzierung ermöglichen. Würde dieser Status gefährdet, hätten die Entwicklungsländer zu leiden – besonders in Krisenzeiten, wenn MEB-Geld für antizyklische Investitionen nötig ist. Die MEBs wären gezwungen, weniger Kredite zu vergeben und ihre Darlehen teurer zu machen. Das Gegenteil ist aber nötig: Die MEBs müssen mehr Kredite vergeben, um die Erreichung der SDGs und die globale Transformation zur Nachhaltigkeit zu finanzieren.
Und im Fall der Weltbank bedeutet das auch, mehr Privatkapital für die nachhaltige Entwicklung zu mobilisieren?
Ja, denn sie muss Partnerländern helfen, private Investoren zu gewinnen. Der Aufbau von Solar- oder Windkraftanlagen ist der Job der Privatwirtschaft, zumal die Erzeugungskosten inzwischen sehr niedrig sind und weiter sinken. Die Privatwirtschaft braucht aber entsprechende Vorgaben hinsichtlich Standards sowie vernünftige Einspeisetarife, Rechtssicherheit, qualifiziertes Personal für das Netzmanagement und komplementäre öffentliche Infrastruktur, wie Stromnetze.
Jürgen Zattler ist Abteilungsleiter im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und war zuvor deutscher Exekutivdirektor bei der Weltbank.
www.bmz.de