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Braindrain

Warum die klügsten Köpfe Bangladeschs abwandern

Frustriert von der Chancenlosigkeit in der Heimat suchen viele hochqualifizierte Bangladescher*innen Arbeit im Ausland. Das Geld, das sie nach Hause schicken, stärkt dort die Wirtschaft, aber dem Land entgeht wertvolles Fachwissen.
Bangladescher bei einer Einbürgerungszeremonie 2018 in Oklahoma. picture-alliance/AP Images/Matt Barnard Bangladescher bei einer Einbürgerungszeremonie 2018 in Oklahoma.

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Migration aus Bangladesch verändert. Während Bangladescher*innen früher vor allem in den Nahen Osten oder andere reiche asiatische Länder auswanderten, zieht es sie heute auch in den Westen. Meist sind sie ungelernt oder kaum qualifiziert, aber auch immer mehr Fachkräfte verlassen das Land.

Die erste Welle von Braindrain begann 1982, nach dem zweiten Militärputsch in Bangladesch seit der Unabhängigkeit 1971. Mit dem Verlust politischer und akademischer Freiheit wanderten Qualifizierte und Hochschulabsolvent*innen ab. Dieser Trend ist zurück, auch aufgrund der politischen Instabilität seit 2014.

Auch andere Faktoren tragen zur Abwanderung von Akademiker*innen und Fachkräften aus Bangladesch bei, etwa die hohe Arbeitslosigkeit von Hochschulabsolvent*innen, die 2022 bei 12 Prozent lag – im Vergleich zur landesweiten Arbeitslosenquote von 4,7 Prozent –, und die allgemeine Chancenlosigkeit hochqualifizierter Arbeitnehmer*innen.

Schlecht bezahlte Jobs für Uni-Abgänger*innen

In der Not treten viele Uni-Abgänger*innen schlecht bezahlte Stellen im öffentlichen Dienst an, wo sie sich unterbewertet fühlen. Aktuelle Studien belegen gleichwohl, dass der öffentliche Dienst in Bangladesch die lukrativsten und sichersten Jobs bietet. Dort werden jedes Jahr tausende Bewerber*innen eingestellt, allerdings erst nach schwierigen Aufnahmeprüfungen.

Dem Privatsektor dagegen fehlt es an strenger Überwachung und Regulierung. Die Beschäftigungsdauer, Rentenbezüge und andere Leistungen für Arbeitnehmer*innen sind dort nicht sicher. Auch dies ist ein Grund, weshalb hochqualifizierte Hochschulabsolvent*innen das Land verlassen. Viele erhalten im Ausland eine exzellente Ausbildung in der Forschung und entsprechende Abschlüsse. Deshalb – und wegen mangelnder Chancen in der Heimat – lassen sich viele dauerhaft dort nieder.

Zu weiteren Gründen für Auswanderung zählen:

  • Ein unzureichendes soziales Sicherheitsnetz inklusive Sozialversicherungsleistungen: Bis vor Kurzem konnten Beschäftigte in der Privatwirtschaft beispielsweise nicht mit einer Rente rechnen. Viele Hochqualifizierte können anderswo zu besseren Bedingungen arbeiten.
  • Ein drastischer Verfall der Demokratie: Politische Instabilität, Demokratieverlust und Angriffe auf die Meinungsfreiheit haben in den vergangenen Jahrzehnten zugenommen. Zwischen 2013 und 2015 wurden progressive Jugendliche und freiheitlich Gesonnene von religiösen Extremist*innen verfolgt und ermordet. Da der Staat dabei versagt hat, Gerechtigkeit walten zu lassen, stieg die Zahl derer, die in liberale Demokratien auswanderten.
  • Genderspezifische Gewalt: Belästigung im öffentlichen Raum und sexueller Missbrauch von Frauen nehmen zu. Auch religiös-gesellschaftliche Abwertung inklusive Sittenpolizei ist weit verbreitet. Da immer mehr Frauen hohe Bildungsabschlüsse haben und finanziell unabhängig sind, wandern viele aus – mit ihren Familien, aber auch ohne sie.
  • Umweltverschmutzung: Jobs gibt es fast nur in den übervölkerten Städten Dhaka und Chattogram. Infrastrukturausbau, Kraftstoffe aus dem Verkehr, schwere Industrieabfälle und schlechtes Umweltmanagement tragen zu Luft-, Wasser- und Lärmbelastung ebenso bei wie zum Verlust von Biodiversität. Das beeinträchtigt das Leben der Menschen in den Städten massiv.

Arbeitskräfte aus Indien

Trotz solcher Probleme ist die Wirtschaft Bangladeschs enorm gewachsen – sogar während der Corona-Pandemie, was auch externe Beobachter*innen beeindruckt. Das BIP des Landes stieg im letzten Quartal 2022 um 7,25 Prozent.

Die imposanten Zahlen Bangladeschs in diversen Entwicklungsindizes spiegeln aber nicht die sozialen, kulturellen und politischen Ungleichheiten und Unsicherheiten wider. Das laufende Entwicklungsprogramm ist oberflächlich und schafft es nicht, qualifizierte Arbeitskräfte zu halten. Die Regierung scheint nicht willens oder nicht fähig zu sein, Talente im Land zu halten. Stattdessen werden oft internationale Berater*innen für große Entwicklungsprojekte eingestellt – die sehr gut verdienen. Während gebildete Bangladescher*innen emigrieren, kommen qualifizierte Arbeitskräfte, insbesondere aus Indien, nach Bangladesch, um dort zu arbeiten.

Abhängigkeit von Geldtransfers

Verschiedene Regierungen haben den Braindrain nicht ernst genommen. Offenbar genügte es, dass die Ausgewanderten Geld in ihre Heimat schicken. Weltbankprognosen zufolge wird Bangladesch 2023 das weltweit siebtgrößte Empfängerland von Transferzahlungen gewesen sein, mit einem Anteil von 5,2 Prozent am BIP. Die Überweisungen sind somit eine wichtige Stütze der Wirtschaft – auch wenn die Arbeitnehmer*innen im Ausland dafür oft ausgebeutet werden.

Früher kamen die Überweisungen meist aus arabischen Ländern, in denen Millionen bangladeschischer Arbeitsmigrant*innen leben. Im Finanzjahr 2022/2023 aber lagen die Migrant*innen in den USA vorn. Ein Teil dieser Gelder könnte von Geschäftsleuten, Bürokrat*innen und Politiker*innen in den USA gewaschen worden sein, so die Sorge. Zudem verzeichnete Bangladesch 2023 ein noch nie da gewesenes Defizit an Devisenreserven, weshalb die Regierung Bargeldanreize für Auslandsüberweisungen erhöhte. Womöglich kamen auch deshalb mehr Überweisungen aus den USA.

Fakt ist, dass gebildete Migrant*innen aus Bangladesch erhebliche Summen überweisen. Möglicherweise hemmt dies die Bemühungen im Land, kluge Köpfe zu halten.Je mehr Humankapital ins Ausland geht, desto mehr fehlt es im Inland. Angesichts von Globalisierung, Ungleichheit und Unsicherheit ist das Abwandern von Fachkräften aus Bangladesch nicht zu verhindern. Gleichwohl: Für nachhaltige Entwicklung und einen dauerhaft verbesserten Lebensstandard braucht die Regierung ein klares Konzept, wie möglichst viele qualifizierte Menschen im Land gehalten werden können.

Ridwanul Hoque war Jura-Professor an der Universität Dhaka.
ridwandulaw@gmail.com

Sharowat Shamin ist Assistenzprofessorin für Recht an der Universität Dhaka und Doktorandin an der SOAS University of London.
sharowat@du.ac.bd

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