Menschenrechte
„Wie Schuldknechtschaft“
Weshalb ist Migration für Bangladesch ein wichtiges Thema?
Arbeitsmigration aus Bangladesch begann offiziell 1976 mit Saudi-Arabien und anderen Nahost-Staaten als Zielländern – und inoffiziell sicherlich schon früher. Die Zahl schwoll schnell an, und die Migranten sind mittlerweile nach Landwirtschaft und Textilindustrie die dritte Säule der Volkswirtschaft. 2015 überwiesen Migranten 15 Milliarden Dollar in die Heimat. Das war 13-mal mehr, als an ausländischen Investitionen ins Land kam. In den vergangenen 40 Jahren sind rund 10 Millionen Bangladeschis in 160 Länder gezogen – als Fachkräfte, an- und ungelernte Arbeitnehmer. Einige sind auch akademisch gebildet. Etwa 80 Prozent sind in arabische Länder gegangen, 15 Prozent nach Südost- und Ostasien und fünf Prozent in die EU, Nordamerika und andere Weltgegenden. Das besagt zumindest die offizielle Statistik. Sie zeigt die Trends an, obwohl die Realität wegen Dunkelziffern etwas anders aussehen kann.
Sind es Männer oder Frauen, die ins Ausland gehen?
Den offiziellen Daten zufolge betrug der Frauenanteil bis 2004 nur ein Prozent, aber das hat sich geändert. 2015 waren 20 Prozent der Migranten Frauen. Sie arbeiten vor allem als Haushaltshilfen. Manche arbeiten aber auch als Krankenschwestern oder in der Textilindustrie.
Was treibt die Migration an?
Es gibt Push- und Pull-Faktoren. Armut und Arbeitslosigkeit treiben die Leute ins Ausland. Bangladesch ist ein Land mit 160 Millionen Menschen. Die Wirtschaft ist in den vergangenen Jahren im Schnitt um sechs Prozent gewachsen. Wir kommen also definitiv voran – aber nicht schnell genug. Das Land ist immer noch sehr arm. Nach dem Befreiungskrieg von 1971 war es so arm, dass Politiker in Washington es herablassend als „hoffnungslosen Fall“ bezeichneten. Das sagt dort niemand mehr. Für junge Bangladeschis ist es aber oft schwer, Arbeit zu finden, und zwar besonders, wenn sie gut gebildet sind. Viele möchten aus Verzweiflung unbedingt im Ausland arbeiten – und zu den Pull-Faktoren gehört dann, dass es dort tatsächlich Jobchancen gibt. In reicheren Ländern stützen sich diverse Wirtschaftszweige auf Migranten. Relevant ist auch, dass manche Bangladeschis tatsächlich im Ausland zu Wohlstand kommen, und diese Leute werden dann zu Vorbildern. Manchmal schicken auch bessergestellte Familien ihre jungen Leute wegen der Bildung ins Ausland oder damit sie sich nicht in Kriminalität oder destruktiven politischen Radikalismus verstricken. Generell treiben aber derzeit religiöse und politische Motive die Migration aus Bangladesch nicht an.
Was für Erfahrungen machen Bangladeschis denn im Ausland?
Oft sind es keine glücklichen Erfahrungen – und das gilt besonders im Nahen Osten. Dort sind den Berichten zufolge Ausbeutung und Unrecht schlimmer als in anderen Weltgegenden. Das hat damit zu tun, dass arabische Länder zumeist autoritäre Regierungen haben, die Rechtsstaatlichkeit missachten. Arbeitsmigranten sind dort de facto rechtlos.
Was bedeutet das?
Es ist leicht, Missbrauch mit ihnen zu betreiben. Sie wollen ins Ausland, aber sie haben keine gut ausgehandelten Verträge. Manchmal bekommen sie keine Arbeit in den Branchen, die ihnen in Aussicht gestellt werden – oder sie werden schlechter bezahlt, als anfangs vereinbart wurde. In manchen arabischen Ländern herrscht das Kafala-System. Das bedeutet, dass die Migranten ganz von ihrem Arbeitgeber abhängen und den Arbeitsplatz nicht wechseln können. Sie bekommen auch ohne die Unterstützung des Arbeitgebers die Dokumente für die Einreise nicht. Kafala läuft auf so etwas Ähnliches wie Schuldknechtschaft hinaus. Haushaltshilfen aus Bangladesch leiden besonders, weil sie meist im Haus des Arbeitgebers wohnen, keine Freizeit haben und manchmal auch sexuell missbraucht werden. In den meisten Zielländern schützt das Arbeitsrecht die Menschenrechte der Migranten nicht und die Behörden kümmern sich auch nicht auf angemessene Weise um diese Dinge.
In welchem Maß ist Migration aus Bangladesch illegal?
Die Migration ist ganz überwiegend legal, aber ich möchte gleich sagen, dass ich lieber von „irregulärer“ als von „illegaler“ Migration spreche. Ich finde, Menschen dürfen nicht kriminalisiert werden, wenn sie nichts weiter falsch machen, als nicht alle Formalitäten korrekt zu erfüllen. Leider geschieht das aber in Bangladesch und vielen anderen Ländern.
Irreguläre Migration ist also kein Problem?
Nein, das wollte ich damit nicht sagen. Viele Bangladeschis sind Migranten ohne Papiere, also irregulär, obwohl es formale Wege der Migration gibt, die auch kontrolliert werden. Ich finde drei Formen von Migration aus Bangladesch wichtig, die nicht mit den Gesetzen übereinstimmen.
- Einige von den Schleppern, die Arbeitnehmern Jobs im Ausland versprechen, arbeiten mit betrügerischen Methoden, sodass viele Menschen im Nahen Osten mannigfaltige Ausbeutung erleiden, wie ich eben schon erläutert habe.
- Die Gegenden entlang der indischen Grenze sind sehr arm, und Menschen dort überqueren in der Hoffnung auf saisonale Arbeit in Indien gesetzwidrig die Grenze. Die indischen Behörden dramatisieren die Angelegenheit oft auf übertriebene Weise, und in Bangladesch wird sie dagegen zu wenig ernst genommen.
- Das wichtigste Thema ist aber der gefährliche Trend der gesetzwidrigen Ausreise. Eine große Zahl von Migranten versucht auf dem Seeweg nach Malaysia zu kommen, um dort Arbeit zu finden. Viele sind im Meer umgekommen, und die anderen werden als Sklaven missbraucht oder landen in den Gefängnissen von Malaysia, Indonesien oder Thailand. Das Schlepperwesen ist ein kriminelles und ausbeuterisches System. Diese Art von Menschenhandel und Sklaverei ist völlig inakzeptabel. Rohingya-Flüchtlinge aus Myanmar sind davon auch betroffen. Sie sind Moslems und sprechen eine ähnliche Sprache wie Bengali, und viele kommen aus Myanmar zunächst nach Bangladesch. Wie ich neulich schon im E+Z/D+C e-Paper ausgeführt habe, müssen asiatische Länder kooperieren, um dieses Problem zu lösen. (siehe E+Z/D+C e-Paper 2016/04, S. 43).
Dass ich den Begriff „illegale“ Migration meide, liegt daran, dass die Migranten meist die Opfer von Verbrechen und Gewalt sind, aber nicht die Täter. Es ist sicherlich nicht hilfreich, Formulierungen zu verwenden, die ihre Schuld nahelegen.
Ridwanul Hoque ist Juraprofessor an der Universität Dhaka und derzeit visiting scholar an der La-Trobe-Universität in Melbourne.
ridwandulaw@gmail.com