Kollektive Traumata
Der Mann hinter den Frankfurter Auschwitz-Prozessen
Fritz Bauer initiierte maßgeblich die Frankfurter Auschwitzprozesse zu Nazi-Verbrechen im Konzentrationslager Auschwitz. Er starb 1968 in Frankfurt am Main, doch seine Popularität wuchs vor allem in den 1990er-Jahren, als die Tragweite seiner Arbeit deutlicher erkannt wurde als zu seinen Lebzeiten. 1995 wurde das Fritz Bauer Institut in Frankfurt gegründet, das die Geschichte des Holocaust und seiner Nachwirkungen erforscht.
Fritz Bauer wurde 1903 geboren und machte seinen Jura-Abschluss an der Universität Heidelberg. Er stammte aus einer jüdischen Familie, war SPD-Mitglied und Richter am Amtsgericht in Stuttgart. Die Nazis verhafteten ihn 1933 und hielten ihn in den Konzentrationslagern Heuberg und Oberer Kuhberg gefangen.
Nach seiner Freilassung emigrierte Bauer nach Dänemark. Nach dem Krieg kehrte er nach Deutschland zurück und bekleidete hohe juristische Ämter in der jungen Bundesrepublik. „Es war ihm wichtig, an der Demokratisierung Deutschlands mitzuwirken“, sagt Katharina Rauschenberger, Forscherin am Fritz Bauer Institut.
Am 20. Dezember 1963 begann die Hauptverhandlung im ersten Frankfurter Auschwitzprozess. Fritz Bauer hatte sich dafür eingesetzt, dass in Frankfurt die Ermittlungen zu Auschwitz zusammenliefen. Er regte ein Großverfahren an, das es ermöglichen sollte, das System des industrialisierten Massenmordes in Auschwitz auszubreiten. Die Nazis ermordeten dort mehr als eine Million Menschen, vor allem Juden.
Fritz Bauer sah sich bald Kritik ausgesetzt. Viele stellten die Notwendigkeit der Prozesse infrage, auch vor dem Hintergrund, dass zuvor bereits in den Nürnberger Prozessen – durchgeführt von den Alliierten – die Verbrechen hochrangiger Nazi-Funktionäre verhandelt worden waren. „Für die Verbrechen in Osteuropa fühlte sich die deutsche Justiz jedoch lange Jahre nicht zuständig“, erklärt Katharina Rauschenberger. Erst der Ulmer Einsatzgruppen-Prozess 1958 verdeutlichte, dass in der Bundesrepublik noch viele ehemalige NS-Täter frei herumliefen, über deren Beteiligung an Verbrechen man noch nicht viel wusste.
Viele Bürgerinnen und Bürger sahen durch die Frankfurter Auschwitzprozesse den Ruf Deutschlands verunglimpft. Ihrer Meinung nach sollte das Land nach vorne blicken statt zurück. Das Leben normalisierte sich gerade – zumindest wünschten sich das viele. Einige argwöhnten, dass sich mit Fritz Bauer ein Jude an Deutschland rächen wolle. Er erhielt Briefe voller Hass und Todesdrohungen.
Das Nazi-System verstehen
Statt zu resignieren, begann Bauer, die Öffentlichkeit über die Prozesse zu informieren. Ihm ging es darum, das System des industrialisierten Tötens zu verstehen: Wie hatte es so effizient funktionieren können? Inwiefern wussten Durchschnittsbürgerinnen und -bürger über die systematischen Massenmorde Bescheid, und wie hätte all das verhindert werden können?
Während der Nürnberger Prozesse hatten die Alliierten – unter Berufung auf das Völkerrecht – die Nazi-Gräueltaten als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft. Die Hauptangeklagten wurden für schuldig befunden, weil sie die Befehle gegeben hatten. Die anderen hatten diese Befehle „nur“ ausgeführt. Bei den Auschwitzprozessen wurde dagegen deutsches Recht angewandt. Im ersten Prozess wurde gegen mehr als 200 Personen ermittelt. Zu Prozessbeginn waren 22 Männer angeklagt, 17 von ihnen wurden 1965 zu unterschiedlichen Strafen verurteilt. Anders als beim Eichmann-Prozess in Israel durfte das Fernsehen die Verhandlungen nicht übertragen.
Politischer Einfluss
Die Auschwitzprozesse, insbesondere der erste Prozess von 1963 bis 1965, beeinflussten die politische Debatte, sowohl in Deutschland als auch im Ausland. In der DDR behauptete man, die Prozesse sollten zwar beweisen, dass Deutschland sich gewandelt habe, doch sei man im Westen an einer echten Strafverfolgung nicht interessiert. Zwei Argumente waren, dass die Urteile angesichts der begangenen Verbrechen recht milde ausfielen und dass bekannte NS-Funktionäre weiterhin hohe Ämter in der Bundesrepublik bekleideten.
In der DDR wurden Nazi-Verbrechen teils sogar mit der Todesstrafe bestraft. Einer der größten DDR-Prozesse im Hinblick auf Auschwitz war der gegen den SS-Arzt Horst Fischer, der 1966 per Guillotine hingerichtet wurde. Er hatte als Arzt im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau an der Ermordung von mehr als 70 000 Gefangenen mitgewirkt.
Wie Katharina Rauschenberger vom Fritz Bauer Institut betont, waren die Nazi-Prozesse weder in Ost- noch in Westdeutschland willkommen, weil sie die Komplizenschaft der breiten deutschen Gesellschaft mit den Nazis beleuchteten, ohne die jene Verbrechen nicht in dieser Weise hätten verübt werden können. Erst Jahrzehnte später ordnete die deutsche Gesellschaft die Bedeutung dieser Prozesse für die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit besser ein – und damit auch die Rolle von Fritz Bauer.
Weitere Beiträge zum Thema kollektive Traumata finden Sie in unserer Digitalen Monatsausgabe Januar 2023.
Suparna Banerjee ist Politikwissenschaftlerin aus Frankfurt. Sie dankt Katharina Rauschenberger vom Fritz Bauer Institut für ihren Beitrag zu diesem Text.
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