Angriff auf die Demokratie

Rechtsextreme Proteste in Brasilien

Aus Protest gegen korrekte Wahlergebnisse verwüsteten Rechtsextremisten Regierungsgebäude in Brasília. Staatliche Institutionen reagierten schnell, aber wichtige Fragen bleiben offen.
Fotos vom 8. Januar 23 in Brasília ähneln denen vom 6. Januar 2021 in Washington. picture-alliance/REUTERS/Adriano Machado Fotos vom 8. Januar 23 in Brasília ähneln denen vom 6. Januar 2021 in Washington.

Gewaltaktionen von rechtsgerichteten Unterstützern des abgewählten Präsidenten Jair Bolsonaro wurden nach der Stichwahl vom 30. Oktober 2022 befürchtet und sogar erwartet. Tatsächlich gab es im ganzen Land Demonstrationen, Straßenblockaden und Protestcamps. Dennoch verlief die Amtseinführung von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva am 1. Januar störungsfrei. Viele dachten, nun drohten keine weiteren antidemokratischen Aktionen.

Das war ein Irrtum. Am 8. Januar, einem Sonntag, stürmten wütende Bolsonaro-Anhänger den Präsidentenpalast, das Parlament und den Obersten Gerichtshof. Gekleidet in den Farben der brasilianischen Fahne verwüsteten rund 10 000 Extremisten die zentralen Gebäude der drei Staatsgewalten. Sie zerbrachen Glasfenster und -türen. Zerstört wurden Möbel und Kunstgegenstände von hohem kulturellen, historischen und finanziellen Wert.

Erst nach stundenlangen Krawallen gewannen die Sicherheitskräfte frisch verstärkt die Oberhand. Bis Montagabend gab es 1500 Festnahmen. Manche Täter wurden in flagranti erwischt, aber die Ermittler nutzten auch Fotos und Videos, um Verdächtige zu identifizieren. Manche hatten selbst das Beweismaterial online gestellt.

Dennoch beunruhigt, dass der Angriff nicht verhindert wurde. Trotz mehrerer Warnungen des Geheimdiensts begleitete die Militärpolizei des Bundesdistrikts Brasília den Mob freundlich ins Regierungsviertel. Fotos zeigen Beamte, die den Demonstranten ihr Wohlwollen zeigen. Bolsonaro hat sich stets sehr um die Sicherheitskräfte bemüht. Ibaneis Rocha, der Gouverneur des Bundesdistrikts, ist sein Verbündeter und gilt nun als Komplize der Extremisten.

Offensichtlich war der Sturm auf Brasília sorgfältig geplant. Teilnehmende kamen mit Bussen aus dem ganzen Land. Die Transport- und Versorgungskosten trugen Unternehmer – vor allem aus dem Agrarsektor, der von Bolsonaros Missachtung der Umwelt profitierte. Die Koordination lief über soziale Medien, vor allem Twitter und Telegram.

Was in Brasília geschah – und von vielen als Terrorismus bezeichnet wird –, ähnelte offensichtlich dem Sturm auf das US-Kapitol am 6. Januar 2021. Die internationale Vernetzung der Rechtsextremisten ist belegt. Unterstützer des früheren US-Präsidenten Donald Trump gaben Bolsonaros innerem Zirkel Rat. Bolsonaro selbst war zum Zeitpunkt des Krawalls in Florida im Krankenhaus, was wie ein gut geplantes Alibi aussieht.

Die Institutionen Brasiliens haben konsequent durchgegriffen. Lula kündigte Konsequenzen für die Sicherheitskräfte in Brasília an, und der Kongress bestätigte das schnell. Der Präsident entließ dutzendfach Offiziere. Das Oberste Gericht suspendierte Rocha für 90 Tage von der Regionalregierung und sperrte Telegram mit der Auflage, alle relevanten Botschaften müssten der Bundespolizei übergeben werden. Anderson Torres, Bolsonaros ehemaliger Justizminister, der für die Sicherheit in Brasília Verantwortung trug, wurde ebenso verhaftet wie der Chef der örtlichen Militärpolizei.

Aus Sicht vieler Beobachter sind Brasiliens Demokratie, Institutionen und Regierung nun gestärkt. Die Extremisten wollten einen Militärputsch auslösen, was ihnen misslang. Allerdings bleiben wichtige Fragen offen:

  • Warum wurde das Militär nicht zu Hilfe gerufen? Manche meinen, die Lula-Regierung habe das Risiko gescheut, dass Generäle sich verweigert hätten. Lula sagt, er habe dem Militär keine Machtfrage überlassen wollen. Der Chef der Militärpolizei von Brasília behauptet, die Armee habe ihn ein Protestlager in der Nähe ihrer Kasernen nicht räumen lassen.
  • Was ist in der Regierung des Bundesdistrikts falsch gelaufen? Wusste Rocha, was los war, oder wurde er selbst hinters Licht geführt?
  • Welche Firmen haben die Proteste finanziell unterstützt?
  • Welche Rolle spielten Ausländer und deren Organisationen? Besonders interessant ist, wie soziale Medien international genutzt wurden.

In diesem Szenario ist es ermutigend, dass ausländische Spitzenpolitiker schnell ihre Solidarität mit Lula aussprachen.

André de Mello e Souza arbeitet als Ökonom für das brasilianische Bundesinstitut  Ipea (Instituto de Pesquisa Econômica Aplicada).  
Twitter: @A_MelloeSouza

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