Friedensmissionen
Frauen als Friedensstifterinnen
[ Von Rita Schäfer ]
Prävention, Schutz und Partizipation – das sind die drei Säulen der UN-Resolution 1325. Sie soll sexualisierte Gewalt reduzieren und die Rolle von Frauen bei allen friedensbildenden und -konsolidierenden Maßnahmen stärken. Frauen und Frauenorganisationen sollen sowohl bei Konfliktdeeskalationen durch politische Vereinbarungen und Friedensverhandlungen als auch bei Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration auf allen Entscheidungsebenen mitwirken. Gleichzeitig wollen die Vereinten Nationen selbst als Vorbild auftreten, indem sie Geschlechterperspektiven institutionell integrieren und mehr Frauen bei UN-Friedensmissionen einsetzen, auch als Leiterinnen ziviler und militärischer Kontingente. Mehr weibliches Personal bei der Polizei, im Militär und in der Justiz soll die strafrechtliche Verfolgung der geschlechtsspezifischen Gewalt in Nachkriegsländern verbessern. Folglich sind alle Regierungen ebenso wie die Vereinten Nationen gefordert, diese Resolution umzusetzen.
Die UN-Resolution ist das Ergebnis beharrlicher politischer Lobbyarbeit internationaler Friedensaktivistinnen. In den 1990er Jahren rüttelten die Massenvergewaltigungen auf dem Balkan und in Ruanda auch die internationale Staatengemeinschaft auf. Nun war unübersehbar, dass sexualisierte Kriegsgewalt und die massive geschlechtsspezifische Gewalt in Nachkriegsgesellschaften Frieden und Sicherheit bedrohen. Die Nichtregierungsorganisation Working Group on Women Peace and Security, der auch Amnesty International und die Women’s International League for Peace and Freedom angehören, setzte sich damals dafür ein, dass der UN-Sicherheitsrat diese Resolution verabschiedete. Sie baut auf frühere internationale Abkommen zur Stärkung von Frauen, zur Umsetzung ihrer Rechte und zum Schutz vor Gewalt. So knüpft sie auch an die Aktionsplattform der Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 und die Weltfrauendekade 1975 bis 1985 an.
Die einstimmige Verabschiedung der Resolution 1325 bot Impulse für weitere Resolutionen des UN-Sicherheitsrats. Beispiele sind die Resolution 1820 aus dem Jahr 2000, die sexualisierte Gewalt als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt, oder die Resolutionen 1888 und 1889 vom Herbst 2009. Erstere will der sexualisierten Kriegsgewalt durch eine Spezialberichterstatterin Einhalt gebieten. Letztere fordert, Frauen stärker in alle Friedensprozesse zu integrieren und das Gender-Mainstreaming zu verbessern.
Blauhelmsoldaten als Täter
Wie schwierig es ist, die Ziele der Resolution 1325 zu erreichen, zeigt sich bereits innerhalb der UN. Die Bilanz der letzten zehn Jahre ist gemischt. Es wurden Gender-Desks und Gender-Trainings für Blauhelmsoldaten eingeführt. Seit März 2010 wird die UN-Polizei von Anne-Marie Orler geleitet, und seit 2007 ist eine rein weibliche Polizeitruppe in Liberia im Einsatz. Sie hat Vorbildfunktion für das westafrikanische Land und die UN.
Zwar übernehmen Frauen somit allmählich Führungsfunktionen bei UN-Einsätzen, dennoch bleibt der Sicherheitssektor eine Männerdomäne. Im Juni 2010 waren unter den Blauhelmsoldaten nur rund zwei Prozent Frauen, unter den Polizisten immerhin acht Prozent. Eine im August letzten Jahres begonnene Kampagne soll bis 2014 den Frauenanteil bei UN-Friedensmissionen auf zehn Prozent in militärischen und 20 Prozent in zivilen Einheiten erhöhen.
Der sexuelle Missbrauch durch Blauhelmsoldaten ist trotz der klaren Verhaltensvorschriften weiterhin ein großes Problem. Sie schaden dabei nicht nur den weiblichen Opfern. Auch demobilisierte Soldaten und perspektivlose frühere Guerillakämpfer fühlen sich durch das besitzergreifende Sexualverhalten der Blauhelmsoldaten in ihrer Männlichkeit angegriffen. Etliche reagieren gewaltsam – keineswegs nur gegen die Partnerinnen der Blauhelmsoldaten. Wenn sexueller Missbrauch publik wird, werden die Täter zur strafrechtlichen Verfolgung in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt. Für die Opfer und die lokale Bevölkerung bleibt das weitere Vorgehen deshalb meist unklar.
Ungerechte Justiz
Allerdings trägt auch die nationale Justiz vielerorts nicht zu Gerechtigkeit bei. Im Osten der Demokratischen Republik Kongo etwa prangern Frauen- und Menschenrechtsorganisationen an, dass die korrupte Justiz bekannte Vergewaltiger freispricht, weil sie ranghohe Posten in der Armee besetzen. Die Kritikerinnen solcher Missstände müssen um ihr Leben fürchten und ihre Familienangehörigen werden bedroht. Zwar stimmte die kongolesische Regierung im April 2009 einem umfassenden Aktionsplan gegen sexualisierte Gewalt zu, der in Kooperation zwischen staatlichen Stellen und UN-Organisationen erarbeitet worden war. Die Implementierung geht jedoch schleppend voran. Auch in Osttimor haben Vergewaltigungen durch indonesische Soldaten und deren unzureichende juristische Aufarbeitung zu einem rasanten Anstieg von sexueller und häuslicher Gewalt geführt.
Der UN-Sicherheitsrat kritisiert, dass die mangelnde strafrechtliche Verfolgung von Sexualverbrechen den Wiederaufbau von Rechtsstaatlichkeit behindert, da sie das Vertrauen der Bevölkerung in staatliche Institutionen beeinträchtigt. Er bemängelt zudem Personenstandsgesetze in Afghanistan und Somalia, die nur partikularen Machtinteressen der Regierenden dienen und Frauendiskriminierung legitimieren. Die Resolution 1325 schlägt vor, nationale Aktionspläne zu erstellen. Deren Bedeutung und Erfolge sind jedoch umstritten.
Schwierigkeiten in der EU
Wie schwer es ist, nationale Aktionspläne zu verabschieden, zeigt sich in der Europäischen Union (EU). Erst neun Mitgliedstaaten verfügen über einen nationalen Aktionsplan. Zur Umsetzung der UN-Resolution 1325 haben das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union zahlreiche eigene Resolutionen und Abkommen verabschiedet und Leitlinien sowie Grundsatzpapiere erarbeitet. Diese beschränken sich keineswegs auf Sicherheitsfragen, sondern nehmen auf Menschenrechte und Entwicklungsziele Bezug.
Anfang Dezember 2008 wurde ein umfassender Ansatz verabschiedet, der Erfahrungen aus EU-Friedensmissionen und einige Forderungen von Frauenorganisationen berücksichtigte. Ein Operationsplan sowie Checklisten und Toolkits sollen die Umsetzung erleichtern. Das European Peacebuilding Liaison Office (EPLO), das Frauen- und Friedensorganisationen aus unterschiedlichen europäischen Ländern eint, bemängelt jedoch die unzureichenden Absprachen innerhalb der EU sowie Interessenkonflikte zwischen der EU und einzelnen Mitglieds- oder Partnerländern.
In Deutschland gibt es zwar keinen nationalen Aktionsplan, aber zahlreiche Aktivitäten zur Umsetzung der UN-Resolution 1325. Mit Blick auf die EU sind Gender-Seminare und die Erstellung EU-interner Studien sowie des Handbuchs zu Gender-Mainstreaming in der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu nennen. Auch auf nationaler Ebene wurden Gender-Themen in die Ausbildung von internationalen Friedenseinsatzkräften integriert.
Lobenswert sind die praxisorientierten Publikationen der GTZ, beispielsweise zu „Sicherheitssektorreform und Gender“ oder „Gender und Konflikte“. In Kambodscha fördert die GTZ die staatliche Anti-Gewalt- und Frauenrechtsarbeit, in Kolumbien will sie den Schutz und die rechtliche Interessenvertretung landesintern vertriebener Frauen verbessern. Innovativ ist auch der Ansatz der in Berlin ansässigen zivilgesellschaftlichen Organisation „OWEN – mobile Akademie für Geschlechterdemokratie und Friedensförderung“. Im Kaukasus stärkt OWEN zum Beispiel die Vernetzung von Frauen-Friedensinitiativen, Journalistinnen und Lehrerinnen.
Den Rahmen für staatliche und nicht-staatliche Programme bildet der aktuelle entwicklungspolitische Gender-Aktionsplan des Ministeriums (BMZ). Dieser unterstreicht, wie wichtig Programme zur Geschlechtergleichheit und zur gezielten Förderung von Frauen in politischen Entscheidungsgremien sind. Sie fördern den Aufbau demokratischer Gesellschaftsordnungen und wirken Gewalt entgegen. Es wird auch betont, dass alternative Männlichkeitsvorstellungen gefördert werden müssen, um die kriegsbedingten Gewaltpotentiale von Männern zu reduzieren. Dies ist wichtig zum Schutz der Frauen vor geschlechtsspezifischer Gewalt, insbesondere in fragilen Staaten (siehe Box).
Noch immer ist bei einigen Entwicklungsorganisationen und Friedensforschungsinstituten die Vorstellung verbreitet, man müsse erst einen vermeintlich neutralen Staatsaufbau in Nachkriegsländern voranbringen und ethnische Konflikte lösen, bevor man sich den Frauen widmen könne. Das zehnjährige Jubiläum der UN-Resolution 1325 bietet einen Anlass, solche kurzsichtigen Einstellungen endlich zu ändern und der Geschlechtergerechtigkeit den Stellenwert einzuräumen, der ihr gebührt.
In vielen Ländern destabilisiert sexualisierte Gewalt ganze Gesellschaften und lähmt jegliche Entwicklung. Oft sind Vergewaltigungen die Ursache für die rasante Verbreitung von HIV-Infektionen. In jedem Fall verhindern sie die Verwirklichung grundlegender Frauen- und Menschenrechte.
Forscherinnen dokumentieren seit Jahren, dass keineswegs nur Frauen und Mädchen von der Gewalt betroffen sind, sondern Vergewaltiger auch deren Ehemänner, Brüder und Väter demütigen wollen. Männer, die machtlos den öffentlichen (Massen-) Vergewaltigungen ihrer weiblichen Familienangehörigen zuschauen müssen, reagieren im Nachhinein oft selbst gewaltsam. Häusliche Gewalt und Gewalteskalationen zwischen Männern – teilweise in Form sexueller Misshandlungen – sind die Folgen. Dadurch wird der vielerorts labile Friede in Nachkriegssituationen gefährdet und die Sicherheit im privaten und öffentlichen Leben bedroht.
Diese Folgen sind zwar durch viele Studien belegt, internationale Entscheidungsträger nehmen sie bislang aber erst ansatzweise wahr. Trotz aller Bekenntnisse zu einem umfassenden Gender-Verständnis scheint es etlichen schwerzufallen, kriegsgeprägte Maskulinität und Gewalt als politische Probleme wahrzunehmen. Immerhin hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass umfassende Präventions- und Sanktionsmaßnahmen notwendig sind. Deshalb nahm der UN-Sicherheitsrat die Resolution 1325 einstimmig an. Die Beteiligung von Frauen in Entscheidungsgremien und Friedensprozessen soll präventiv und de-eskalierend wirken. (rs)