Geschichte der Entwicklungspolitik

„Da hätte die Sternstunde begonnen“

Der linke Sozialdemokrat Erhard Eppler leitete von 1968 bis 1974 das Bundes­ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ). Eppler blickte im Interview mit Hans Dembowski auf seine Amtszeit zurück.

Was war Ihr Ziel als Entwicklungsminister?
Anfang der 70er Jahre herrschte in der westlichen Welt eine Entschlossenheit, aber auch eine Zuversicht, wie es sie nie vorher und auch später nie wieder gab. Wir waren sicher, bis zum Jahr 2000 den Hunger in der Welt besiegen zu können. So habe nicht nur ich gedacht, sondern auch meine Kollegen in anderen reichen Ländern oder auch Robert Mc­Namara, der damalige Weltbankpräsident. Wir haben uns auf regelmäßigen Konferenzen ausgetauscht und verstanden uns gut. Wir hatten dasselbe Ziel, und wir rangen zu Hause mit ähnlichen Widerständen.

Wie sollte die Armut besiegt werden – mit sozialpolitischen Mitteln?
Nein, das hätte ja eine Einmischung in die Innenpolitik der damals noch jungen, aber durchaus stolzen Staaten bedeutet. Die Begriffe „fragile ­state“, „failing state“ oder gar „failed state“ gab es noch gar nicht – während heute schwache Staatlichkeit vermutlich das größte Problem ist. Damals stützten sich die Regierungen der Entwicklungsländer meist auf die alten Kolonialverwaltungen, die auch noch recht ordentlich funktionierten. Der Internationale Währungsfonds hatte ihnen ja auch noch keine Strukturanpassungen auferlegt, die zu schlanken Staaten führen sollten, aber schwindsüchtige Staaten schufen. Nein, über Sozialpolitik oder andere innere Angelegenheiten haben die Regierungen der Entwicklungsländer mit uns nicht gesprochen. Was uns strategisch wichtig erschien, war zum Beispiel die landwirtschaftliche Entwicklung samt entsprechender Re­gionalplanung. Das wollten wir unterstützen – mit Aus- und Fortbildung, Aufbau der Infrastruktur und so weiter.

Und welche Probleme beschäftigten Sie zu Hause?
In den ersten Jahren als Entwicklungsminister habe ich vor allem darum gerungen, die Kompetenzen zu bekommen, die ich für ein richtiges Ministerium brauchte. Bei Amtsantritt 1968 war das BMZ federführend für die technische Zusammenarbeit. Das entsprach 25 Prozent der öffentlichen Entwicklungshilfe, die die Bundesrepublik leistete. Wir mussten in der Praxis aber alles in den IRAs, den interministeriellen Referentenausschüssen, mit anderen Ministerien absprechen. Der zäheste Konflikt war der mit dem Wirtschaftsministerium, das für die Kapitalhilfe – das, was wir heute finanzielle Zusammenarbeit nennen – zuständig war. Die Zuständigkeit dafür habe ich erst Anfang 1973 bekommen, und von diesem Zeitpunkt an kann man auch von einem richtigen Ministerium sprechen.

Warum war die Zuständigkeit für die Kapitalhilfe so entscheidend?
Erstens ging es um viel Geld. Die Kapitalhilfe war der mit Abstand größte Brocken der Entwicklungshilfe. Zweitens lag es für die Beamten im Wirtschaftsministerium nahe, die Interessen deutscher Unternehmen zu bedenken. Verstehen Sie mich nicht falsch: Export ist wichtig, und die Volkswirtschaft der Bundesrepu­blik hat auch damals schon in großem Stil Güter ausgeführt. Das war gut so. Mir ging es aber um etwas anderes. Die Entwicklungshilfe hat nie auch nur ein Prozent unseres Exportvolumens ausgemacht. Deshalb fand ich, dass diese Mittel nicht auch noch dazu verwendet werden sollten, die Ausfuhr zu steigern, sondern wirklich den Interessen der Entwicklungsländer dienen mussten. Wenn Sie wollen, erzähle ich Ihnen dazu eine Anekdote.

Ja, bitte.
Der Finanzminister eines bettelarmen Sahellandes sagte mir einmal, als ich nach dem dringendsten Bedürfnis seines Landes frage, er brauche unbedingt ein drahtloses Informationssystem für das ganze Staatsgebiet. Das war damals der neueste Stand der Technik. Später offenbarte er mir dann nach ein paar Gläsern Wein, die Leute vom Wirtschaftsministerium hätten ihm gesagt, wenn er dieses Netz fordere, werde er es von einer deutschen Firma bekommen. Diese Denkweise wollte ich beenden. Ich erwartete von meinen Beamten, dass sie die Auswirkungen eines Projekts auf die Partnerländer im Auge hatten – und sonst nichts.

Braucht der Entwicklungsminister die ­Unterstützung des Bundeskanzlers?
Willy Brandt hat mir früh signalisiert, dass er Sympathie für meine Anliegen hatte, aber engagiert war er nicht. Er hat mir deutlich gemacht, dass er keinen Streit mit dem damals hoch angesehenen Wirtschaftsminister Karl Schiller beginnen würde. So wanderte denn die Abteilung für die Kapitalhilfe erst nach der Bundestagswahl von 1972 vom Wirtschaftsministerium in das BMZ, als Schiller nicht wieder ins Kabinett kam.

Brandt hat sich aber doch nach seiner Zeit als Bundeskanzler als Vorsitzender der Nord-Süd-Kommission international als Entwicklungs­politiker profiliert, deren Bericht an die UN 1980 allgemein als „Brandt-Report“ bekannt ist. War von solchen Interessen vorher nichts zu merken?
Ich sage Ihnen jetzt etwas, das nur wenige Menschen wissen. Brandt kam 1974 von einer Nordafrikareise zurück und stand unter dem Eindruck eines langen Gesprächs, das er mit Algeriens Präsident Houari Boumedienne, damals die Leitfigur der Gruppe der 77, geführt hatte. Brandt sagte mir: „Erhard, jetzt habe ich’s begriffen, wir wollen jetzt mal zusammenarbeiten.“ Da hätte die Sternstunde der deutschen Entwicklungspolitik begonnen, hätte er nicht wenige Tage danach zurücktreten müssen. Sein Nachfolger Helmut Schmidt hatte kein Interesse an der Entwicklungspolitik, weshalb ich dann auch bald zurücktrat.

Die sozial-liberale Koalition von Bundes­kanzler Willy Brandt und Außenminister Walter Scheel ist vor allem durch ihre Ost­politik in Erinnerung geblieben. Welche Folgen hatte der Ost-West-Konflikt für die Entwicklungspolitik?
Er hatte vor allem in den 60er Jahren eine prägende Bedeutung, die aber noch lange nachwirkte. Die Hallstein-Doktrin verlangte, dass wir mit Ländern zusammenarbeiten sollten, die die DDR nicht ­anerkannten. Bald hieß es dann, dass wir gerade mit Ländern, bei denen das Risiko bestand, sie könnten die DDR anerkennen, kooperieren müssten, um sie von diesem Schritt abzuhalten. Die Folge war eine ungeheure Fragmentierung, weil versucht wurde, in möglichst vielen Ländern ­Präsenz zu zeigen. Aus entwicklungspolitischer Sicht war das unklug. Aber es entsprach eben den Vorstellungen des Auswärtigen Amts in den 60er Jahren. Das war der Ursprung der starken Zer­splitterung der deutschen Entwicklungspolitik, ­die sich nur ganz langsam korrigieren ließ – es ist ­nunmal problematisch, aus einer einmal begonnen Kooperation wieder auszusteigen.

Während Ihrer Amtszeit entstand die GTZ, die mittlerweile in der GIZ aufgegangen ist. Was war Ihr Motiv?
Es gab damals zwei Institutionen, die technische Zusammenarbeit betrieben, die GAWI und die BfE. Mir lag ein Gutachten des Bundesrechnungshofs vor, das vorschlug, eine Behörde für diesen Zweck zu schaffen. Das wollte ich aber nicht. Ausgerechnet mir als linkem Sozialdemokraten erschien eine als Unternehmen verfasste Organisation besser. Diese Gesellschaft sollte unsere Aufträge annehmen müssen, aber auch mit anderen Auftraggebern ins Geschäft kommen, um ihre Fähigkeiten möglichst optimal zu nutzen und damit auch Geld zu verdienen. Ein Motiv war dabei, dass die Bundes­regierung Ölländer im Nahen Osten drängte, mehr internationale Verantwortung zu übernehmen – zum Beispiel in der Entwicklungszusammen­arbeit. Und es ist dann auch so gekommen, dass die GTZ nicht nur für das Entwicklungsministerium gearbeitet hat, sondern auch Aufträge von Öl­ländern bekam – und später auch von der EU und anderen internationalen Partnern. Alles in allem hat sich die GTZ bewährt.