Global Governance

Weshalb „globaler Süden“ kein gut gewählter Begriff ist

Chinesische Spitzenpolitiker tun gern so, als sei ihr Land nur eins von vielen im sogenannten „globalen Süden“. Es ist aber ein sehr besonderes Land. Kein anderes exportiert so viel. Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen der Volksrepublik liegt auch nur noch um 600 Dollar unter der Schwelle von 13 200 Dollar, ab der sie als Land mit hohen Einkommen eingeordnet wird.
Gotabaya Rajapaksa, damals Präsident Sri Lankas, mit Chinas Außenminister Wang Yi Anfang 2022 in Colombo. picture-alliance/Xinhua News Agency/Sri Lankan President’s Media Gotabaya Rajapaksa, damals Präsident Sri Lankas, mit Chinas Außenminister Wang Yi Anfang 2022 in Colombo.

Peking beansprucht, Maßstäbe für gute Partnerschaft in multilateralen Strukturen zu setzen. Sein Handeln bestätigt das nicht unbedingt. Ende 2019 hätte mehr Offenheit über Corona es der Weltgesundheitsorganisation (WHO – World Health Organization) vielleicht erlaubt, die globale Pandemie zu verhindern. Chinas CO2-Emissionen pro Kopf betrugen 2016  laut Worldometer 7,4 Tonnen. Das ist weniger als der deutsche Vergleichswert (9,4 Tonnen), liegt aber über den Werten der G7-Länder Italien (5,9), Britannien (5,6) und Frankreich (5,1).

Chinas Militär ist gewaltig, und sein Säbelrasseln behagt südostasiatischen Nachbarn nicht. Um Taiwan machen sich Menschen weltweit Sorgen. Ob die Volksrepublik Russland mit Waffen versorgt, könnte über den Ausgang des Ukrainekriegs entscheiden.

Viele Länder mit niedrigen und mittleren Einkommen ringen heute mit hohen Staatsschulden. Relevante Kredite stammen aus China, einem Land mit hohen Währungsreserven. Multilaterale Umschuldungsverhandlungen kommen aber kaum voran – nicht zuletzt, weil China nicht wie westliche Regierungen an Schuldenfragen herangeht. Peking zögert, wenn es um die Streichung von Schulden geht, verlängert aber großzügig Laufzeiten. Es besteht nicht auf Maßnahmen, um die makroökonomische Situation zu stabilisieren, und koordiniert sich auch nicht mit anderen Kreditgeberregierungen. Bislang zeigt China also keine Bereitschaft, von westlichen Erfahrungen in Schuldenkrisen zu lernen.

China ist aber jetzt selbst ein wichtiges Kreditgeberland. Was seine Regierung beschließt, hat Auswirkungen auf Menschen in sehr vielen Entwicklungsländern. Peking betrachtet jede souveräne Regierung als legitimen Vertreter ihrer Nation und lehnt jegliche Einmischung in innere Angelegenheiten ab. Die Dinge sind aber komplizierter, als diese Sicht zulässt, wie das hochverschuldete Sri Lanka zeigt. In welchem Maße hat der Rajapaksa-Clan, der die Schulden anhäufte, der Nation gedient? Warum hat ein Volksaufstand ihn davongejagt? Und wer muss den Schlamassel jetzt aufräumen?

Dass westliche Regierungen in der Entwicklungspolitik auf Amtsführungsfragen achten, ist nicht einfach Ausdruck ihrer Arroganz – sondern Resultat ihrer Erfahrung, dass souveräne Regierungen sich oft auf dysfunktionale Weise selbst bedienen. Tatsächlich unterscheidet sich Chinas Diktatur von gewöhnlicher autoritärer Herrschaft, die Machthabende reich macht und das Volk verarmen lässt. China ist nicht korruptionsfrei, seine Spitzenleute sind reich geworden, aber breiter Wohlstand ist ebenfalls entstanden.

Hunderte Millionen wurden aus existenzieller Armut befreit. Bildungs- und Beschäftigungschancen sind entstanden. Die Infrastruktur ist teilweise hervorragend – etwa das ausgedehnte Netz von Hochgeschwindigkeitszügen. Chinas spektakuläre Entwicklungserfolge übertreffen die Leistungen vieler anderer ehemals von Kolonialmächten ausgebeuteter Länder. Noch schöner wäre es allerdings, würden politische Grundrechte respektiert. 

China ist ein Sonderfall. Wir sollten aufhören den Begriff „globaler Süden“ zu verwenden, weil er die besondere Rolle Chinas in der Welt unsichtbar macht. Die Volksrepublik stellt sich gegen die Hegemonie des Westens, tut das aber nicht im Interesse aller ehemaligen Kolonien. Das Regime verfolgt vielmehr konsequent nationale Eigeninteressen – was auch seinem ureigenen Selbstinteresse entspricht.

Übrigens ist „globaler Süden“ auch geographisch kein gut gewählter Begriff. Australien, Neuseeland und Chile sind drei der südlichsten Länder der Erde, gehören aber zur OECD (Organisation for Economic Cooperation and Development), dem Club der reichen Nationen. Chiles Nachbar Argentinien verzeichnet hohe mittlere Einkommen. Derweil umspannt die ehemalige Kolonialmacht Russland die halbe Arktis – wird aber gemeinhin nicht zum „globalen Norden“ gezählt.

Hans Dembowski ist Chefredakteur von E+Z/D+C.
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