Internationale Standards
Bessere Datensysteme für bessere soziale Sicherung
Weltweit gaben die Länder durchschnittlich zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) für soziale Sicherung im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie aus, wie die Weltbank berichtet (Weltbank 2021). Reiche Länder hatten dafür mehr Geld zur Verfügung als ärmere. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO – International Labour Organization) verweist seit Langem auf massive Lücken bei sozialer Sicherung (ILO, 2017). Rund zwei Drittel der Weltbevölkerung haben wenig oder keinen Zugang zu grundlegender Absicherung, etwa angemessener Kranken- oder Arbeitslosenversicherung.
Hinzu kommt, dass soziale Sicherungssysteme teils nicht gut mit anderen Programmen oder staatlichen Datensystemen kommunizieren können. Solche mangelnde Harmonisierung beeinträchtigt die soziale Sicherung und kann dazu führen, dass öffentliche Mittel verschwendet werden.
Dagegen kann Interoperabilität helfen: die Fähigkeit der verschiedenen Komponenten eines Systems, effektiv und effizient zu kooperieren. Einzelne Datensysteme, Plattformen und Programme, die es ermöglichen, soziale Leistungen zu erbringen, sollten in der Lage sein, untereinander Informationen auszutauschen und sich zu koordinieren. So ermöglicht Interoperabilität, dass Leistungen ganzheitlicher und integrierter erbracht werden können – zugunsten der Leistungsempfänger*innen.
Bessere Leistungen ermöglichen
Zunehmend werden digitale Technologien und Informationssysteme eingesetzt, um Programme zur sozialen Sicherung zu verbessern. Sie können beispielsweise den nahtlosen Informationsaustausch zwischen verschiedenen Regierungsbehörden erleichtern, etwa dem Ministerium für Soziales und dem Gesundheitsministerium. So können Regierungen Bedürftige gezielter ansprechen und Leistungen anbieten. Durch den Einsatz biometrischer Daten können sie die Identität der Personen überprüfen und sicherstellen, dass die Leistungen bei den Richtigen landen.
Bei Systemen der sozialen Sicherung gibt es meist Interaktionen:
- zwischen verschiedenen programmspezifischen Informationssystemen,
- mit Basissystemen wie Personenstandsregistern, digitalen Identifizierungs- und Zahlungssystemen sowie
- mit Informationssystemen des jeweiligen fachlichen Sektors, etwa in den Bereichen Gesundheit und Bildung.
Für ein nahtloses Zusammenwirken dieser Systeme braucht es gemeinsame Standards und Protokolle. Manche Länder nutzen bereits Standards wie OpenHIE oder FHIR, um Gesundheitsdaten auszutauschen. Für den Bereich der sozialen Sicherung fehlen solche Standards aber.
Die Digital Convergence Initiative
Um dieses Problem global anzugehen, wurde im September 2021 im Rahmen der USP 2030 (Global Partnership for Universal Social Protection to Achieve the Sustainable Development Goals) die Digital Convergence Initiative (DCI) ins Leben gerufen. Die DCI ist ein gemeinsames Projekt von USP-2030-Mitgliedern, Regierungen, Entwicklungspartnern, Zivilgesellschaft und Privatsektor. Ihr Ziel ist es, einen globalen Konsens zu schaffen über offene Standards für integrierte und interoperable Informationssysteme der sozialen Sicherung.
Dazu treffen sich wöchentlich Vertreter*innen von GIZ, Weltbank und ILO. Die DCI sieht vor, dass die offenen Standards:
- ein innovatives Umfeld fördern, in dem Tech-Anbieter interoperable Produkte entwickeln können,
- den Zeit- und Kostenaufwand für die Entwicklung interoperabler Lösungen verringern, besonders in ärmeren Ländern,
- Programmen ermöglichen, Komponenten verschiedener Anbieter miteinander zu kombinieren, um integrierte soziale Sicherungssysteme aufzubauen, und
- helfen, Systeme zu konzipieren, die auf künftige Anforderungen vorbereitet sind und dabei über den jetzigen Stand hinausgehen.
Die DCI geht bei der Entwicklung dieser Standards mehrgleisig vor. Erstens veranstaltet sie monatliche Webinare, in denen die Länder ihre Erfahrungen mit der Interoperabilität von sozialen Sicherungssystemen austauschen und über Herausforderungen sprechen können. Dieser Kreis kann auch die Entwicklung globaler Standards vorantreiben. Bislang haben zehn Länder ihre Erfahrungen auf der DCI-Website (siehe Link) geteilt: Indien, Belgien, Türkei, Chile, Kambodscha, Frankreich, Sambia, Brasilien, Ghana und Usbekistan.
Interaktion mit Melde- und Zahlungssystemen
Zweitens organisiert die DCI eine Reihe von Workshops zur Umsetzung von Interoperabilität. Die Anwendungsfälle beschäftigen sich schwerpunktmäßig mit der Interaktion von Systemen der sozialen Sicherung mit anderen Systemen, etwa von Standesämtern. Drittens setzt die DCI Ausschüsse ein, um Standards für solche Interaktionen auszuarbeiten. In den Ausschüssen sitzen Vertreter*innen der Wissenschaft, internationale Organisationen und andere Fachleute. Sie bringen unterschiedliche Perspektiven und Expertisen in die Formulierung der Standards ein.
Viertens baut die DCI Partnerschaften mit Anbietern von sowohl proprietärer als auch Open-Source-Software auf, die für Programme der sozialen Sicherung relevant sind. Die DCI nutzt für die Entwicklung einheitlicher Interoperabilitätsstandards kostenlos zugängliche Open-Source-Softwarelösungen.
So wichtig Interoperabilität auch ist, um soziale Sicherungssysteme zu verbessern: Der Datenschutz darf darüber nicht vernachlässigt werden. Wo verschiedene Datensysteme miteinander verbunden werden, entstehen potenzielle Risiken hinsichtlich Datensicherheit. Deshalb müssen die beteiligten Länder sicherstellen, dass die Daten ihrer Bürger*innen jederzeit geschützt sind.
Weiterführende Literatur
Digital Convergence Initiative (DCI):
https://spdci.org/
World Bank, 2021: Social protection and jobs responses to COVID-19: A real-time review of country measures. „Living paper“ version 15 (May 14, 2021).
https://documents1.worldbank.org/curated/en/281531621024684216/pdf/Social-Protection-and-Jobs-Responses-to-COVID-19-A-Real-Time-Review-of-Country-Measures-May-14-2021.pdf
ILO, 2021: World Social Protection Report.
https://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---ed_protect/---soc_sec/documents/publication/wcms_817572.pdf
Anita Mittal ist Lead of Digital Convergence Initiative und Senior Advisor Social Protection bei der GIZ in Indien.
anita.mittal@giz.de