Bevölkerungswachstum

Africa first

Ab 2050 könnte Afrika von einer „demogra­fischen Dividende” profitieren – mit einer wachsenden Bevölkerung steigt auch der Anteil an Menschen im erwerbsfähigen Alter. Garantiert ist das aber nicht, und es wäre auch nur ein erster Schritt zu einer nachhaltigen Verbesserung der Einkommen. Entwicklungsmaßnahmen, Technologie und In­frastruktur werden entscheidend sein.

Auf den ersten Blick kann Afrika in den kommenden Jahrzehnten mit einem robusten Wachstum rechnen, besonders in seinen ärmsten Regionen. Nachdem die Covid-19-Folgen überwunden sind, werden für den Kontinent mit seinen 23 Ländern mit niedrigem Einkommen durchschnittliche jährliche Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 2021 bis 2040 von 4,8 Prozent prognostiziert (Abbildung 1 - wird nach Klick auf Pfeil im Bild oben angezeigt).

Die Wirtschaft würde damit deutlich schneller wachsen als anderswo. Jedoch bringt ein schnelles BIP-Wachstum nicht unbedingt höhere Lebensstandards. Afrikas rapides Bevölkerungswachstum verringert das Pro-Kopf-Einkommen, da es sich auf mehr Menschen verteilt. Und auch die Altersstruktur der Bevölkerung zählt: Die steigende Zahl derer, die zu jung oder zu alt sind, um zu arbeiten, belastet die Wirtschaft. Eine nachhaltige Verbesserung des Lebensstandards bedarf einer guten Entwicklungspolitik in den Bereichen Technologie, Infrastruktur und Ähnlichem.

Das Einkommensgefälle zwischen Afrika und dem Rest der Welt wächst. Die Zustände verbessern sich zwar auch in Afrika – aber wesentlich langsamer als anderswo. Ein gutes Beispiel sind die prognostizierten Daten zur extremen Armut (Kaufkraft von 1,90 Dollar oder weniger pro Tag), die in Afrika bis 2040 voraussichtlich zunehmen wird. Die Zahl der in extremer Armut lebenden Afrikaner wird von 510 Millionen auf 573 Millionen im Jahr 2030 steigen (Abbildung 2 - wird nach Klick auf Pfeil im Bild oben angezeigt).

Die Sustainable Development Goals (SDGs) zielen darauf ab, dass bis 2030 extreme Armut überwunden sein soll. Dies wird auch fast überall der Fall sein – außer in Afrika. Bis 2030 wird aller Erwartung nach etwa ein Drittel der afrikanischen Bevölkerung in extremer Armut leben, nach 2030 werden davon nur noch das südliche Afrika und wenige weitere Länder wie etwa Venezuela, Nordkorea und Afghanistan betroffen sein.

Ein Grund für diese schlechte Einkommenssituation in Afrika ist, dass das BIP des Kontinents zwar enorm wächst, aber doch zu langsam, um die Bedürfnisse einer wachsenden Bevölkerung zu befriedigen. Afrikas Bevölkerung wächst derzeit um 2,6 Prozent pro Jahr; bis 2040 wird diese Rate voraussichtlich auf 1,9 Prozent sinken. Das Produktionswachstum kann mit dem Bevölkerungswachstum nicht Schritt halten – dazu müsste das BIP durchschnittlich mindestens doppelt so hoch sein wie die derzeit prognostizierte Rate.

Abgesehen von den Auswirkungen auf das Pro-Kopf-BIP ist eine wachsende Bevölkerung für eine Volkswirtschaft meist gut, je nach deren Altersstruktur. Besonders, wenn es relativ mehr Arbeitnehmer gibt als solche, die von diesen abhängig sind, erlebt ein Land eine einkommensbeschleunigende „demografische Dividende“. Die Herausforderung besteht darin, diese in Afrika zu erreichen (siehe Hans Dembowski im Schwerpunkt von E+Z/D+C e-Paper 2020/04).

Bisher hatte der Kontinent eine ungünstige Altersstruktur. 1987 lag das Verhältnis der Personen im erwerbsfähigen Alter zu von ihnen abhängigen Angehörigen in Afrika mit 1,0 (eine Person im erwerbsfähigen Alter pro Angehörigem) weltweit am niedrigsten – global waren es 1,6.

Seit 1987 hat sich diese Quote in Afrika zwar verbessert, jedoch nicht wesentlich: Sie liegt immer noch unter 1,3. Der Wendepunkt, an dem sich die demografische Dividende abzeichnet, liegt bei 1,7. Afrika wird diesen Punkt voraussichtlich erst gegen 2050 erreichen. Ab dann dürfte das Verhältnis stetig besser werden und 2,0 bis zum Jahr 2070 erreichen.

In Bezug auf die demografische Entwicklung könnte man sagen, dass wirtschaftlich gute Zeiten nahen – wenn auch erst 30 Jahre in der Zukunft. Demokratische Trends sind jedoch nur ein Faktor für weniger Armut und höhere Durchschnittseinkommen.

Das optimistische demografische Szenario für Afrika ab 2050 wird durch globale Technologietrends gefährdet. Durch Technologien wie dem automatisierten Informationsaustausch, der Arbeit ersetzt und den Kostenvorteil von Arbeitnehmern in einkommensschwachen Ländern mindert, verlieren demografische Strukturen an Bedeutung für das Volkseinkommen.


Lehren aus Asien

Die Volkswirtschaften der „Tigerstaaten“ (Hongkong, Singapur, Südkorea und Taiwan) und Chinas boomten zwischen den 1960er und den 1990er Jahren. Afrika könnte einiges daraus lernen. Zur Zeit ihrer Expansion standen in diesen Ländern insgesamt 2,8 Personen im erwerbsfähigen Alter einem von ihm Abhängigen gegenüber. Im Jahr 2070 wird Afrika einen viel niedrigeren Spitzenwert von 2,0 erreichen, und somit wird seine Dividende kleiner sein als die der Tigerstaaten und Chinas.

Ein weiterer Unterschied ist: China und die Tigerstaaten profitierten nicht nur von einer günstigeren Altersstruktur der Bevölkerung, sondern steigerten Produktivität und Einkommen auch durch entwicklungspolitische Maßnahmen. Die Regierungseliten waren entwicklungsorientiert und investierten in Landwirtschaft und Ernährungssicherheit, sorgten für Alphabetisierung und Grundbildung, bauten export­orientierte Volkswirtschaften auf und unterstützten die produktiven Elemente ihrer Volkswirtschaften, wie etwa das verarbeitende Gewerbe des unteren Marktsegments.

Von alldem passiert zu wenig in Afrika. Der Kontinent braucht Veränderungen hinsichtlich Landwirtschaft, Gesundheit, Demografie, Bildung, Industrialisierung, Technologie, Handelspolitik, politischer Stabilität, Regierungsführung und externer Hilfe. Zudem muss Afrika sich an die Klimakrise anpassen (siehe meinen Aufsatz in der Tribüne des E+Z/E+C e-Paper 2020/06). Politische Veränderungen in diesen Bereichen könnten ein starkes „Africa First“-Szenario ergeben, um Armut zu verringern und Einkommen zu erhöhen. Dieses Szenario kann als Maßstab dienen, um entwicklungsfördernde Maßnahmen in Afrika zu bewerten.


Jakkie Cilliers ist Gründer und ehemaliger Direktor des Institute for Security Studies, einer gemeinnützigen Organisation mit Büros in Südafrika, Senegal, Äthiopien und Kenia. Dieser Artikel basiert auf seinem kürzlich von Jonathan Ball veröffentlichten Buch „Africa first! Igniting a growth revolution“. (Cape Town und Johannesburg, 2020).
jcilliers@issafrica.org