Entwicklungsarbeit

Gestohlene Kindheit

In Burundi haben viele Mädchen und Jungen keine unbeschwerte Kindheit. Der lange Bürgerkrieg, zerrüttete Familien und Armut zwingen zahlreiche Kinder auf die Straße. Oft müssen sie schwer arbeiten oder werden früh verheiratet, statt zur Schule zu gehen. Eine Stiftung versucht, wenigstens einigen Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen.
Kinder in der Schule der Fondation Stamm. Stamm Kinder in der Schule der Fondation Stamm.

Burundis Kinder haben die gleichen Wünsche wie alle Kinder der Welt. Sie möchten spielen, in die Schule gehen, genügend zu essen haben, ein ruhiges Familienleben genießen und in Frieden leben. Aber dies gibt es seit Jahrzehnten so gut wie nicht mehr. Stetige Unruhen und Bürgerkriege, vor allem 1972 und 1993 mit verheerenden Folgen, zermürbten die Familien und Kinder und ließen viele zu Halb- und Vollwaisen werden.

Seit Mitte 2015 hat sich die Lage nochmal verschlimmert und eine andere Dimension angenommen. Ende April 2015 wurde in der Hauptstadt Bujumbura und Umgebung gegen die höchst umstrittene Wiederwahl des Präsidenten Pierre Nkurunziza demonstriert (siehe E+Z/D+C e-Paper 2016/02, S. 47). Nach einem misslungenen Putschversuch wurde die staatliche Reaktion brutaler, Polizisten erschossen viele junge Menschen und viele Familien flohen. Jugendliche, die demonstrierten, wurden gesucht, verhaftet und misshandelt. Seit 2016 werden Kinder und Jugendliche regelmäßig auf der Straße aufgelesen und in ein Untersuchungsgefängnis gebracht. Viele von ihnen sind Kleinhändler, und ihre Waren werden beschlagnahmt. Kinder berichten, dass sie die meiste Gewalt durch die Polizei erleben.

Dass viele Kinder in Burundi auf der Straße leben, hat verschiedene Gründe. Durch den jahrelangen Bürgerkrieg leidet die Bevölkerung unter bitterer Armut und die Familienstrukturen sind vielfach zerstört. Die zahlreichen Witwen heirateten erneut, weil eine Frau in Burundi nur als Ehefrau voll anerkannt und respektiert wird. Dabei bleiben häufig die Kinder aus erster Ehe auf der Strecke. Denn der neue Ehemann behandelt diese oft nicht gut. Kinder werden fast immer als Arbeitskraft ausgebeutet. In der Stadt müssen sie Hausarbeiten machen, während ihre Halbgeschwister in die Schule gehen. Ihnen bleibt der Schulbesuch verwehrt. Den Kindern und Jugendlichen auf dem Land geht es nicht anders. Sie müssen Tiere hüten, täglich Wasser und Brennholz holen und nachts oft draußen schlafen. Wenn keine weiteren Verwandten einspringen, reißen Kinder nicht selten aus, um sich in der Hauptstadt Bujumbura auf der Straße durchzukämpfen.


Mädchenleid

Besonders Mädchen leiden unter diesen prekären Familienverhältnissen. Traditionell ist das älteste Mädchen für die nachfolgenden Kinder verantwortlich. Das heißt, dass sie meist nicht zur Schule gehen darf. Sie muss die kleinen Geschwister versorgen, der Mutter bei der Feldarbeit helfen und sonstige Hausarbeiten erledigen. Hat sie die Chance, in die Schule zu gehen, wird sie meistens nach sechs Jahren herausgenommen. Sie ist dann in der Pubertät und wird in vielen Gebieten des Landes früh verheiratet.

Das ist zwar per Gesetz verboten, die Eltern ignorieren dies aber. Die aktuelle Armut verschlimmert die Situation noch. Denn eine Heirat bedeutet eine Mitgift für die Familie. Außerdem wird das Mädchen von der Familie des Mannes übernommen und versorgt. Sie verlässt das Familienhaus für immer – bei traditionellen Hochzeiten oft unter Tränen. Diese zu früh verheirateten Mädchen sind den Gefahren einer Schwangerschaft und schwerer Arbeit ausgesetzt.

Ist ein Mädchen Halbwaise und bekommt eine Stiefmutter, wird sie oft schlecht behandelt und als Arbeitskraft ausgenutzt. Im Falle eines Stiefvaters besteht die Gefahr der Vergewaltigung und einer ungewollten Schwangerschaft. Die Lage ist für ein schwangeres Mädchen dramatisch, denn sie wird auch noch von der Familie verstoßen.

Die Fondation Stamm hilft schwangeren Mädchen, die auf sich allein gestellt sind, in einem Heim exklusiv für minderjährige Mütter. Die gemeinnützige Stiftung betreibt mittlerweile verschiedene Kinderheime für Waisen und Straßenkinder in Bujumbura und auf dem Land sowie Schulen und ein Krankenhaus (siehe Hintergrundkasten).

Auch in einer intakten Familie haben es die Kinder in Burundi im Allgemeinen und besonders die Mädchen nicht leicht. Die Geborgenheit der Großfamilien ist durch die Armut verlorengegangen. Mädchen müssen oft im frühen Alter bei wohlhabenden Familien für geringe Bezahlung als Kindermädchen arbeiten. Das Hüten von vielen Kleinkindern ist zum Beispiel für eine Zwölfjährige erschöpfend. Und es besteht immer die Gefahr, dass ein Haushaltsmitglied sie vergewaltigt.

Oder sie wird auch hier jung an anderes Personal verheiratet – was schnell wieder in einer ungewollten Schwangerschaft endet. Ein Mädchen, der die Fondation Stamm helfen konnte, ist Adèle, die ihre Eltern durch den Bürgerkrieg verlor. Sie wohnte bei der Großmutter und wurde geschwängert. Daraufhin wurde sie des Hauses verwiesen und musste in Bujumbura als Kindermädchen arbeiten. Als man dort ihre Schwangerschaft bemerkte, wurde sie hinausgeworfen. Die Fondation Stamm nahm sie auf und Adèle konnte wieder zur Schule gehen. Heute, nach guter Ausbildung, arbeitet sie als Buchhalterin. Dies ist einer der wenigen glücklichen Fälle.


Jungenaufgaben

Auch Jungen haben es selbst in intakten Familien nicht leicht. Traditionell ist ein Junge für die Eltern im hohen Alter verantwortlich. Jungs dürfen eher zur Schule gehen. Dafür erwartet und erhofft die Familie nach der Ausbildung eine Unterstützung und die Entlohnung für die Schulausgaben. Heute steht das gute Zusammenleben durch die hohe Arbeitslosigkeit auf dem Spiel, da viele Jungen auch mit Ausbildung und Diplom keine Arbeit finden. Viele machen dann ein kleines Geschäft auf, um Geld zu verdienen. Der Großteil steht aber auf der Straße und verkauft gerade mal Nüsse, gekochte Eier, gebrauchte Kleidung aus Euro­pa oder Sim-Karten. Die Arbeitslosigkeit der Jugendlichen betrachten wir als eine Zeitbombe, denn sie zermürbt sie oder lässt sie revoltieren.

Mädchen sieht man nicht auf der Straße Waren zum Verkauf anbieten. Viele Ausgebildete suchen Arbeit im Bereich der Bistros oder Lebensmittelläden, was selten mit ihrer Ausbildung zu tun hat. Die einfachen Mädchen bieten sich selber zum Verkauf an und verdienen ihr Geld mit Prostitution.

Wenn sie können, gehen Kinder mit Begeisterung in die Schule. In den Städten bemerkt man inzwischen eine große Zahl von Mädchen in den Klassen, die immer besser abschneiden. Kinder auf dem Land haben große Schwierigkeiten, die Schule zu besuchen und zu beenden. Viele Familien wohnen weit zerstreut, und die nächste Schule ist schwer zu erreichen.


Verena Stamm ist die Gründerin der Fondation Stamm, die sich für Straßen- und Waisenkinder in Burundi einsetzt. Deutscher Partner ist der Verein burundikids. Im November 2017 erhielt sie das Bundesverdienstkreuz für ihr Engagement. Mehrere ihrer Kooperationsprojekte wurden von Engagement Global gefördert.
https://www.fondation-stamm.org/
http://burundikids.org/index.html