Staatsschulden

Volkswirtschaften in der Schwebe

In Zeiten multipler Krisen dürfen wir keine Zeit verlieren. Trotz gelegentlicher Durchbrüche – wie im Mai im Fall Ghanas – kommt die Lösung von Staatsschuldenkrisen bedenklich langsam voran. Ein neuer Globaler Runder Tisch kann weiterhelfen und Grundlagen für wirkungsvolle Verhandlungen für einzelne Länder schaffen.
Wichtiges Forum: US-Finanzministerin Janet Yellen bei einem G20-Treffen in Indien im Februar. picture alliance / EPA / JAGADEESH NV Wichtiges Forum: US-Finanzministerin Janet Yellen bei einem G20-Treffen in Indien im Februar.

Bislang hat der gemeinsame Rahmen der G20 für Schuldenbehandlung (G20 Common Framework for Debt Treatment – CF) kaum überzeugende Ergebnisse gebracht. Das ist gefährlich, denn viele Länder mit niedrigen und mittleren Einkommen stecken in Schuldenkrisen fest und können sich großen Herausforderungen, wie verschärfter Armut oder Klimaanpassung nicht stellen.

Der CF muss verbessert werden, wie ich in der Januarausgabe von E+Z erläutert habe. Zentral ist, dass Umschuldungen:

  • schneller erfolgen,
  • großzügiger ausfallen und
  • nicht nur für Länder mit niedrigen Einkommen gelten, sondern auch für in Schwierigkeiten geratene Länder mit mittleren Einkommen.

Der CF muss also flexibler und kreativer genutzt werden. Die Umschuldungsvereinbarung für Ghana ist ein wichtiger Schritt voran, wie ich unten ausführen werde. Es muss aber zügig noch mehr geschehen.

Länder mit geringen Kapazitäten ringen jahrelang mit ungelösten Finanzproblemen, während reiche Länder solche Dinge schnell und unorthodox lösen. Im März verhinderten die USA und die Schweiz schwere Bankenkrisen, wobei sie mehr Geld einsetzten, als nötig wäre, um Sambia zum Beispiel die Schulden zu erlassen.

Sambia kann seit 2020 seine Schulden nicht mehr bedienen. Die 31 Milliarden Dollar Schulden sind wenig im Vergleich zu den Vermögenswerten der gescheiterten US-Banken. Zusammen hatten Silicon Valley Bank, Signature Bank und First Republic etwa 500 Milliarden Dollar in ihren Büchern. Es kostete US-Behörden rund 32 Milliarden Dollar, die Krise in den Griff zu bekommen. Die staatlichen Institutionen taten gut daran, das Feuer schnell zu löschen. In diesem Sinne haben auch die Schweizer Behörden den Kollaps von Credit Suisse (mit Vermögenswerten von über 600 Milliarden Dollar) gut gemeistert.

Regierungen mit Haushaltsspielräumen können relativ leicht nationalstaatliche Politik konsequent gestalten. Multilateralen Konsens zu erreichen und umzusetzen ist schwieriger.

Dass China inzwischen das wichtigste bilaterale Gläubigerland ist, macht es noch schwerer. China widerspricht oft der Haltung des Pariser Clubs – des informellen Verbundes der westlichen Gläubigerländer.

Offensichtlich halten internationale Entscheider Staatsschuldenkrisen in Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen für weniger gefährlich als das Scheitern der oben genannten Banken. Spitzenpolitiker erkennen kein weltweites systemisches Risiko.

Gefährdete Zukunft der Menschheit

Sie übersehen einen wichtigen Punkt: Die Staatspleiten stören die Weltwirtschaft nicht unmittelbar, aber sie bedrohen dennoch die gemeinsame Zukunft der Menschheit. Je länger sie andauern, desto länger gehen die jeweiligen Regierungen drängende Probleme nicht an.

Dabei geht es sowohl um nationale wie internationale Probleme. Überschuldete Staaten reagieren weder auf wachsende Armut und Ungleichheit noch auf die Klima- und Biovielfaltskrise. Eskalierende Krisensymptome unterhöhlen derweil die politische Stabilität – mit potenziell gravierenden Konsequenzen für die internationale Sicherheit.

Je länger hochverschuldete Volkswirtschaften in der Schwebe bleiben, desto größer werden ihre Probleme. Notwendige Maßnahmen wären heute billiger als in Zukunft.

Laut Internationalem Währungsfonds (IWF) befanden sich Ende Februar Kongo, Grenada, Malawi, Mosambik, Sao Tomé und Príncipe, Somalia, Sudan, Simbabwe und Sambia in Schuldennot. Weitere 27 Länder hatten ein hohes, 26 Länder ein mittleres und sieben Länder ein geringes Insolvenzrisiko.

IWF-Chefin Kristalina Georgieva rief zu schnellem Handeln auf. Dennoch wird weiter gezögert. David Malpass, der scheidende Weltbankpräsident, klagte, Verhandlungen für Sambia, Ghana und Äthiopien stünden still oder kämen zu langsam voran. Von 2020 bis Ende April 2023 kam im CF nur eine einzige Umschuldung – für Tschad – zustande.

Für manche Länder reichen Liquiditätshilfen. Wenn die Schulden aber zu groß sind, muss ein Teil erlassen oder mit anderen Worten „umstrukturiert“ werden.

Wenn Gläubiger sich nur auf Liquiditätshilfen konzentrieren oder gar damit begnügen, drohen eskalierende Krisen, bei denen verschuldete Staaten bestehende Kredite mit frischem Rettungsgeld bedienen, das aber auch zurückgezahlt werden muss. Die Schuldenlast steigt dann ständig weiter.
Unzureichend, aber brauchbar

Der CF ist unzureichend, dient aber als nützliche Basis. Er ist der einzige multilaterale Mechanismus zur Bewältigung großer Schuldenprobleme. Um Schuldentragfähigkeit wiederherzustellen, bietet er – zumindest theoretisch – Instrumente wie Liquiditätshilfen, Aussetzung des Schuldendienstes, Umschuldung und einen kompletten Schuldenerlass.

Der CF ist nur für die G20-Miglieder und multilaterale Finanzinstitutionen verbindlich. Dennoch hat er das Potenzial, alle Gläubiger an einen Tisch zu bringen – und zwar öffentliche wie private Institutionen, etablierte Wirtschaftsmächte sowie große Schwellenländer. In enger Kooperation sollten diese verschiedenen Parteien Kreditfazilitäten und Schuldenerleichterungen für gebeutelte Länder bereitstellen. Dafür sollten zuvor festgelegte Grundsätze (zu Dingen wie Solidarität, Konsens, Informationsaustausch, Einzelfallentscheidung, Konditionalität und Gleichbehandlung) gelten.

Bisher hat die internationale Gemeinschaft weder Regeln für den Umgang mit Staatsinsolvenzen noch eine supranationale Institution, die Umschuldungen auch gegen den Willen einzelner Gläubiger durchsetzen könnte. Umstrukturierungen waren deshalb immer schwierig. Sie wurden deshalb ad hoc entschieden, also letztlich auch ohne allzu große konzeptionelle Kohärenz. Beispiele waren 1989 der Brady-Plan, 1996 die Initiative für hochverschuldete Länder (HIPC) und 2006 die Multilaterale Entschuldungsinitiative (MDRI).

Der CF muss ausgebaut werden, um den Weg zu einem Insolvenzverfahren für Staaten zu ebnen. Die Erfahrung mit den jüngsten Bankenturbulenzen in reichen Ländern zeigt:

  • Es ist sinnvoll, schnell und entschlossen zu handeln, was aber internationalen politischen Willen voraussetzt.
  • Ohne umfangreichen Schuldenerlass können zudem manche Probleme nicht gelöst werden.
  • Damit überlastete Länder ihre Schuldentragfähigkeit wiedererlangen, ist nicht   nur frisches Geld nötig, sondern auch mutige Politik zur wachstumsfördernden Reform der Volkswirtschaften.
  • Dies erfordert die Beteiligung und Koordination aller Gläubiger.
  • Einzelfalllösungen sind wichtig. Scheitern ist keine Option; die sozialen und wirtschaftlichen Kosten sind schlicht zu hoch.

Eine neue Finanzarchitektur kann durch Einzelmaßnahmen entstehen. Wichtig ist praktischer Erfolg, nicht lupenreine Theorie.

Zum Fortschritt kann dieses Jahr auch der innovative Globale Runde Tisch zur Schuldenthematik – geleitet von IWF, Weltbank und G20-Präsidentschaft (derzeit Indien) – beitragen. Er soll alle beteiligten Parteien involvieren, Diskussionen anregen und Konsensbildung vorantreiben.

In vielen Fragen braucht es Durchbrüche – von technischen Definitionen bis hin zu Zeitplänen und Transparenzregeln. Nötig ist Klarheit darüber, wie die Schuldenlast bewertet wird und wer was zur Umstrukturierung beitragen muss.

Der Fall Ghana

Fortschritt ist auch unter sehr schwierigen Bedingungen möglich. Nach zähen und zermürbenden Verhandlungen haben sich China und die westlichen Gebernationen auf eine Schuldenumstrukturierung für Ghana geeinigt. Die Regierung ist seit Dezember zahlungsunfähig.

Der Kompromiss beinhaltet, dass die Weltbank Ghana weiterhin Zuschüsse und vergünstigte Kredite gewährt, aber keine Schulden erlassen werden. China dagegen wird einen Teil der Schulden streichen, obwohl es vorher darauf bestand, dies nur zu tun, wenn auch die Weltbank mitzöge .

Das Londoner Magazin Economist bezeichnete das als Schummelei („fudge“), sah darin aber auch die Chance, für andere Länder ähnliche Lösungen zu finden. Die Zeitschrift warnte jedoch, der Fall Ghana sei vergleichsweise leicht gewesen, weil der chinesische Anteil an den Schulden relativ klein sei.

Laut Financial Times geht es nur um etwa 1,9 Milliarden von insgesamt 63 Milliarden Dollar. Andere staatliche Geldgeber haben derweil 3,5 Milliarden Dollar bereitgestellt, während private Auslandsanleger auf etwa 15 Milliarden Dollar kommen. Im Fall Ghanas ist auch die Verschuldung im Inland substanziell.

Dennoch ist das Abkommen von China und westlichen Gebern wichtig, denn ein IWF-Rettungspaket hängt davon ab. Die erste Tranche – 600 Millionen von insgesamt 3 Milliarden im Lauf von drei Jahren – kann sofort ausgezahlt werden. Kompromisse sind also offenbar möglich. Ermutigend ist zudem, dass das Abkommen für ein Land mit niedrigen mittleren Einkommen gilt, obwohl der CF eigentlich nur für Länder mit niedrigen Einkommen konzipiert wurde. Es ist gut, wenn der CF mit solchen inkrementalen Einzelschritten erweitert wird.

Substanzieller Fortschritt sendet ein wichtiges Signal: Schuldenprobleme werden ernst genommen, und sie sind lösbar. Ähnliche Abkommen für Sambia und Äthiopien sollten diese Botschaft nun schnell bekräftigen.

José Siaba Serrate ist Volkswirt an der Universität von Buenos Aires und der Uni des Zentrums für makroökonomische Studien (UCEMA), einer Privatuniversität in Buenos Aires. Er ist zudem Mitglied des Argentinischen Rates für Internationale Beziehungen (CARI).
josesiaba@hotmail.com

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