Post-2015-Prozess

Drängende Aufgaben

Aus EU-Sicht bietet der Post-2015-Prozess die Chance, Entwicklung zu fördern und zur Bereitstellung globaler öffentlicher Güter beizutragen – denn beides hängt eng zusammen. Dafür muss auch die multilaterale Zusammenarbeit effizienter ausgestaltet werden.
Der UN-Generalsekretär Ban Ki-moon strebt globale Post-2015-Ziele an, die von möglichst vielen Akteuren mitgetragen werden. Kim Hee Chul/picture-alliance/dpa Der UN-Generalsekretär Ban Ki-moon strebt globale Post-2015-Ziele an, die von möglichst vielen Akteuren mitgetragen werden.

Pandemien und übertragbare Krankheiten gefährden die Gesundheit, ebenso schadet internationale Kriminalität wie Drogen- oder Waffenhandel vielen Menschen. In solchen Fällen können nationale Regierungen das Wohlergehen ihrer Bürger kaum allein sichern. Weil das Handeln von Menschen auf der einen Seite des Globus sich direkt auf das Leben auf der anderen Seite der Erde auswirken kann, ist internationale Zusammenarbeit unverzichtbar.

Globale öffentliche Güter (global public goods, GPGs) sind Güter, von deren Konsum niemand ausgeschlossen werden kann – oder ausgeschlossen werden sollte – und deren Verfügbarkeit sich mit fortschreitendem Gebrauch nicht verringert. Manche dieser Güter sind von Natur aus grenzüberschreitend: reine Luft etwa oder ein stabiles Klima. Andere hingegen sind deshalb global, weil aufgrund voranschreitender globaler Integration kein Land sie allein bereitstellen kann. Ein stabiles globales Finanzsystem ist ein solches Gut.

Es ist keine neue Erkenntnis, dass GPGs weltweit zur Verfügung stehen müssen. In der Millenniumserklärung von 2000 stuften die UN-Mitglieder die Verfügbarkeit von GPGs als ebenso wichtig ein wie menschliche Entwicklung. Hervorgehoben wurden insbesondere:

  • Frieden, Sicherheit und Abrüstung,
  • Entwicklung und Armutsbekämpfung,
  • Menschenrechte, Demokratie und Good Governance und
  • der Schutz „unserer Umwelt".

Die Millenniumsentwicklungsziele (MDGs) sind globale Ziele zur Armutsbekämpfung, die von der Mil­lenniumserklärung abgeleitet wurden. Sie waren ein Erfolg, weil viele Entwicklungsländer, Geber und nichtstaatliche Akteure sie in ihre Politik integrierten. Die MDGs haben dazu geführt, dass die Strategien zur Armutsbekämpfung kohärenter geworden sind, dass mehr internationale Entwicklungsgelder fließen und dass soziale Themen wie Gesundheit, Bildung und Gleichberechtigung mehr Beachtung finden. Dennoch decken die MDGs nicht die gesamte Bandbreite der Millenniumserklärung ab. Viele internationale Herausforderungen haben zu wenig Aufmerksamkeit erfahren. Während der Schwerpunkt auf der unmittelbaren Armutsbekämpfung lag, wurde die Bereitstellung von GPGs – das zweite Leitmotiv der Millenniumserklärung – vernachlässigt. Hier muss gehandelt werden.

2015 läuft die Frist der MDGs ab. Der langwierige und komplexe Prozess, neue Ziele zu formulieren, läuft bereits (siehe E+Z/D+C Schwerpunkt 2013/07, S. 276). Die EU hat international Bewusstsein dafür geschaffen, dass solch eine weiterführende Agenda gebraucht wird und dass sie zwei Dinge abdecken muss: Armutsbekämpfung und nachhaltige Entwicklung (siehe Dembowski in E+Z/D+C 2013/11, S. 400 f.).

 

Die Vision der EU

Basierend auf einer Reihe an Empfehlungen der Europäischen Kommission (Europäische Kommission 2013), haben sich die Mitgliedstaaten auf klare erste Prioritäten für die Post-2015-Agenda geeinigt (EU 2013): Armutsreduzierung und nachhaltige Entwicklung sind demnach untrennbar verknüpft. Beide Herausforderungen sollen in einen gemeinsamen Zielrahmen eingehen, der für alle Länder gleichermaßen gilt. Die EU hat deutlich gemacht, dass man den Kampf gegen Armut nur dann gewinnen kann, wenn fundamentale GPGs bereitstehen – und umgekehrt.

Die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten haben fünf Themenfelder identifiziert, die eng mit den vier Hauptthemen der Millenniumserklärung verknüpft sind. Sie fordern:

  • Mindestlebensstandards für alle: Das, was von den MDGs nicht erreicht wurde, muss sich in einem neuen Zielrahmen wiederfinden.
  • Triebkräfte von inklusivem und nachhaltigem Wachstum fördern: Die Politik muss Wachstum anregen, angemessene Jobs schaffen und menschliche Entwicklung vorantreiben.
  • Natürliche Ressourcen nachhaltig managen: Fortschreitende Umweltzerstörung muss gestoppt werden.
  • Gleichheit, Fairness und Gerechtigkeit: Diese zentralen Werte sind zugleich Voraussetzungen für Armuts­bekämpfung und nachhaltige Entwicklung.
  • Instabilität und staatliche Fragilität beheben: Ohne Frieden und menschliche Sicherheit kann es kein Ende der Armut und keine nachhaltige Entwicklung geben.

Die Aussage ist einfach, aber fundamental: Armutsbekämpfung und menschlicher Wohlstand hängen von der Verfügbarkeit von GPGs ab und vice versa. Die Erderwärmung muss eingedämmt werden, Ozeane müssen sauber und Fischbestände erhalten bleiben und übertragbaren Krankheiten muss vorgebeugt werden. Die Welt braucht eine stabile Finanzarchitektur; und alle Gesellschaften brauchen eine friedliche, stabile politische Ordnung. Gleichzeitig müssen wir weiterhin alles tun, um Armut direkt zu bekämpfen, etwa durch Maßnahmen, die inklusives Wachstum und minimale Lebensstandards fördern.

GPGs sind für eine Welt ohne Armut unerlässlich. Gleichzeitig kann es ohne Armutsbekämpfung keine Bereitstellung von GPGs geben.

Der internationale Prozess zeigt, dass die Position der EU eine beachtliche Strahlkraft entfalten konnte. Wie die Staats- und Regierungschefs auf einer MDG-Sonderveranstaltung in New York im September vereinbarten, gilt es in der Post-2015-Agenda „die untrennbare Verbindung zwischen Armutsbekämpfung und der Förderung nachhaltiger Entwicklung" zu berücksichtigen. Ebenso sei ein kohärenter Ansatz, der die ökonomische, soziale und ökologische Dimension nachhaltiger Entwicklung einbezieht, unabdingbar. Auch Menschenrechte, Friede und Sicherheit sollen stärker beachtet werden.

 

Bessere Global Governance

Um die Bereitstellung von GPGs zu sichern, bedarf es einer besseren internationalen Kooperation. Das heißt: Die Fundamente der Global Governance – selbst ein GPG – sollten überdacht werden. Drei Aspekte spielen dabei eine ganz besondere Rolle:

  • Global Governance muss auf stärkerer multilateraler Zusammenarbeit beruhen. Handelskriege oder steigende Meerespegel sind nicht zu verhindern, solange kurzsichtige Interessen vor langzeitigem Nutzen stehen. Solange dieser Perspektivwechsel nicht stattfindet, kann auch die Doha-Runde der Welthandelsorganisation (WTO) nicht abgeschlossen werden, und ein neues Klimaabkommen wird es so auch nicht geben. Die jüngste Einigung auf ein Handelsabkommen bei den WTO-Verhandlungen in Bali zeigt, dass dieser Wandel möglich ist.
  • Die Welt ändert sich und so auch globale Verantwortungen. 1992 vereinbarte die internationale Gemeinschaft, dass Umweltschutz im Wesentlichen Sache der entwickelten Länder sei. Als größte Volkswirtschaften verursachten diese den größten Schaden. Heute ist das anders. Im Jahr 2015 wird die Hälfte der global produzierten Güter und Dienstleistungen aus Ländern mit mittlerem Einkommen (middle income countries) stammen. 2010 lagen die ausländischen Direktinvestitionen der BRICS – Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika – bei 146 Milliarden Dollar und somit 20 Mal so hoch wie noch 2000. Laut UN-Umweltprogramm stoßen die BRICS zusammen mit Indonesien und Saudi-Arabien 42 Pro-zent des globalen Kohlenstoffs aus. Auf die Kappe der Industrieländer gehen „nur" 34 Prozent. Folglich spielen auch die aufstrebenden Wirtschaftsmächte eine Rolle. Damit die internationale Gemeinschaft die globalen Herausforderungen erfolgreich an­gehen kann, müssen sie sich ihrer Verantwortung stellen.
  • Die künftige Entwicklungs-Agenda muss wirksamere Wege bei der Zusammenarbeit beschreiten.

Im Jahr 2011 hat die Europäische Kommission ihre neuen Prioritäten für die Entwicklungszusammenarbeit veröffentlicht (Europäische Kommission 2011). Die „Agenda für den Wandel" enthält eine Reihe an innovativen Schritten, um die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit zu erhöhen. Sie betont die Bedeutung von inklusivem und nachhaltigem Wachstum sowie von Menschenrechten und Good Governance für die Armutsbekämpfung. Auch sollen besonders jene Länder öffentliche Entwicklungsgelder (Official Development Assistance, ODA) erhalten, die diese am nötigsten brauchen. Die Länderschwerpunkte werden auf einige wenige reduziert und eine bessere Abstimmung zwischen den Aktivitäten der verschiedenen europäischen Geberorganisationen soll stattfinden. Nicht zuletzt muss stärker darauf geachtet werden, dass die Aktivitäten der EU in anderen Politikfeldern nicht den Zielen der Entwicklungspolitik entgegenwirken, sondern mit diesen kohärent sind (sogenannte Politikkohärenz).

Tatsächlich stellen die EU und ihre Mitgliedstaaten noch nicht die zugesagten 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens an ODA bereit. Dennoch steuert Europa im Kollektiv mit jährlich 50 Milliarden Euro mehr als die Hälfte aller weltweiten ODA-Mittel bei. In vielen Län-dern macht dieses Geld einen Unterschied. Es ist Ausdruck andauernder, internationaler Solidarität Europas.

 

Den „MDG-Effekt" wiederholen

 

Der Post-2015-Prozess bietet die Chance, die Bereit­stellung von GPGs ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken. Gleichzeitig ist auch klar, dass nur ein verständlicher und präziser Zielrahmen ähnlich politisch mobilisierend wie die MDGs wirken kann. Er muss sich auf eine limitierte Zahl an Zielen beschränken und unsere heutigen globalen Herausforderungen in überzeugender Weise kommunizieren. Kurzum, die neue Agenda sollte SMART sein: spezifisch, messbar, ambitioniert, relevant und time-bound, also zeitlich befristet.

Der Post-2015-Prozess nimmt Fahrt auf und die Erwartungen sind hoch. Und das ist gut so, denn nur so bekommen Armutsbekämpfung und nachhaltige Entwicklung die nötige Aufmerksamkeit, um oben auf der globalen Agenda zu bleiben. Dennoch muss man auch anerkennen, dass keine Post-2015-Agenda alle Probleme dieser Welt wird lösen können. Sie sollte daher nicht von anderen wichtigen Debatten ablenken. Auch die Ministertreffen der WTO und Meetings der UN-Klima­rahmenkonvention (UNFCCC) sind enorm wichtig. Sie gehen auch bezüglich der Bereitstellung von GPGs weit über das hinaus, was eine Post-2015-Agenda leisten kann. Diese internationalen Foren haben die primäre Aufgabe, effektive Regelsysteme zu etablieren, die den globalen Herausforderungen im Bereich Handel und Klimawandel entsprechen.

Unsere Erwartungen für die Post-2015-Agenda dürfen nicht unrealistisch sein – denn das kann die Konsensfindung erheblich erschweren. Denn wie auch immer die Agenda aussehen wird: Alle Seiten müssen sich darin wiederfinden können. Die Prioritäten und Bedürfnisse unserer Partnerländer, der Zivilgesellschaft und aller wichtiger Stakeholder sind zu berücksichtigen. Wir werden alles uns Mögliche tun, um eine pro-aktive und konstruktive Rolle zu spielen.

 

Gaspar Frontini leitet das Referat Politik und Kohärenz in der  General-direktion Entwicklung & Zusammen­arbeit der Europäischen Kommission.
gaspar.frontini@ec.europa.eu

Helge Arends ist Referent im Referat Politik & Kohärenz. Dieser Artikel drückt die persönliche Meinung der Autoren aus.
helge.arends@ec.europa.eu