Editorial
Kleinteilig und ungenügend
Das russische Szenario: Nach ungewohnter Hitze und Trockenheit toben Wildfeuer. Die Behörden bekommen die Flammen nicht in den Griff. Der Ballungsraum Moskau liegt unter einer schweren Smogglocke, während massenweise Felder abbrennen. Nachdem die Regierung die Weizenausfuhr untersagt, schnellen auf dem Weltmarkt die Getreidepreise in die Höhe. Experten warnen, eine neue internationale Hungerkrise drohe, falls die Ernte auch nur einer weiteren großen Agrarexportnation unbefriedigend ausfalle. Ob das Wetter in Argentinien oder Australien mitspielt, ist ungewiss.
Pakistans Drama: Weite Teile des Landes stehen nach schweren Monsungüssen unter Wasser. Um die 20 Millionen Menschen sind auf der Flucht. Die Seuchengefahr wächst täglich. Die Regierung sagt, sie brauche 15 Milliarden Dollar für den Wiederaufbau – aber sie genießt kaum Vertrauen, weder bei der eigenen Bevölkerung noch bei Spendern weltweit. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon versucht sich im Fundraising, und die NATO verspricht eine Luftbrücke. Verteidigungsexperten warnen derweil, Islamisten nutzten die Notlage, um mit rascher Hilfe bei der Bevölkerung, die vom Staat längst enttäuscht ist, zu punkten.
Ja, der Klimawandel tut uns heute schon weh. In Russland wie Pakistan waren Extremwetterlagen der Ausgangspunkt der aktuellen Nöte. Skeptiker werden immer noch sagen, das alles sei Zufall und deute nicht unbedingt auf globale Erwärmung hin. Dagegen spricht allerdings, dass Klimaforscher seit langem der Meinung sind, der Treibhauseffekt äußere sich zunächst in immer häufiger auftretenden Extremwetterlagen. Es passt auch ins Bild, dass 2010 vermutlich das Jahr mit den weltweit höchsten Durchschnittstemperaturen seit Beginn der Aufzeichnungen sein wird.
Die Menschheit steuert offensichtlich auf gefährliche Zeiten zu. Das zeigt sich zunehmend in der aktuellen Medienbericherstattung (diesmal etwa in unserer Rubrik Debatte). Wir wissen, dass arme Länder besonders hart getroffen werden. Wir wissen auch, dass Staaten mit schwacher Amts- und Regierungsführung unter Notlagen besonders leiden müssen. Und wir wissen, dass es noch schwerer wird, Armut zu bekämpfen und stabile Gemeinwesen aufzubauen, wenn das Wetter ständig neue Probleme bereitet.
Die reichen Nationen, denen Krisen weniger anhaben, weil ihre Kapazitäten stärker sind, haben indessen kaum Grund, sich ihrer überlegenen Institutionen zu rühmen. Historisch geht der Klimawandel auf ihre Rechnung. Die Milliarde Menschen, die hier zu Hause ist, hat sich bisher nur allzu zögerlich auf die erforderliche Energiewende eingelassen. Die Farce, dass aufstrebende Schwellenländer mit Elan dabei sind, das untaugliche Modell der Industrievorreiter zu kopieren, wird künftige Generationen nicht amüsieren.
Die Beiträge im Schwerpunkt dieser Ausgabe zeugen davon, dass es Konzepte gibt, wie die Weltgemeinschaft mit der Krise umgehen kann. Allerdings muten sie kleinteilig und ungenügend an – gemessen am Handlungsbedarf, der aktuell in Russland und Pakistan besonders deutlich geworden ist.