Landwirtschaft
Frage des Überlebens
[ Von Regine Andersen ]
Der Rückgang der pflanzengenetischen Vielfalt in der Landwirtschaft ist kein natürliches Phänomen. Er ist das Ergebnis einseitiger Politik, die Intensivlandwirtschaft fördert und folglich nicht dem Erhalt der Artenvielfalt dient.
Derzeitige Anreizstrukturen fördern den Anbau von Hochertragsorten. Dafür stehen Kredite, Verarbeitung, Marketing und andere Dienste zur kommerziellen Verwertung bereit. Kleinbauern, die traditionelle Landsorten – also genetisch hochdiverse Sorten mit langer Tradition (siehe Kasten) – kultivieren, haben dagegen zu derlei kaum Zugang. Auch ist die „moderne“ Gesetzgebung auf die kommerziellen Saatgutindustrie ausgerichtet: Patente und Sortenschutz untersagen es den Bauern, Saatgut untereinander auszutauschen. Mancherorts ist es sogar verboten, Samen geschützter Sorten aus der eigenen Ernte zur Wiederaussaat zu verwenden.
In immer mehr Ländern verbieten Vermarktungsgesetze und die Zulassungsbestimmungen den Bauern sogar dann Saatgut auszutauschen, wenn es sich um Landsorten oder selbst weitergezüchtete Sorten handelt. Auch ist die Vermarktung traditioneller Sorten oft verboten, wenn sie nicht kommerziellen Kriterien entsprechen. Weil solche Regeln in immer mehr Ländern gelten, schwindet der Spielraum der Bauern, Landsorten anzubauen und das genetische Erbe zu erhalten.
Politiker begründen die Förderung von Hochertragssorten mit dem kurzsichtigen Argument, sie wollten die Pflanzengesundheit und die Saatgutqualität sichern. Auf Dauer hängt aber beides davon ab, dass Züchter Zugriff auf die Vielfalt pflanzengenetischer Ressourcen haben, die der Menschheit in Pflanzensorten zur Verfügung steht. Traditionelle Sorten sind normalerweise an ihre natürliche Umgebung angepasst. Sie passen sich auch besser als die genetisch homogenen Sorten der Saatgutindustrie an Umweltveränderungen an – und zwar mit minimalem menschlichen Zutun.
Die pflanzengenetische Vielfalt hängt von der Vielfalt der Pflanzensorten ab. Deshalb muss diese erhalten werden. Die Politik tut dafür aber zu wenig. Einseitige Gesetze zugunsten von Hochertragssorten markieren den Anfang vom Ende der 10 000 Jahre alten Tradition der Kultivierung der agrarbiologischen Diversität.
Internationales Abkommen
Wie kann der Trend gestoppt und sogar umgekehrt werden? Das war Thema der FAO-Verhandlungen über den Internationalen Vertrag über pflanzengenetische Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft (International Treaty on Plant Genetic Resources for Food and Agriculture, kurz: Plant Treaty). Der Plant Treaty wurde im Jahr 2001 geschlossen und seither von 123 Ländern ratifiziert. Er beinhaltet umfassende Regelungen
- zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der genetischen Agrarbiodiversität,
- über den Zugriff auf diese Ressourcen und
- zum fairen und gleichberechtigten Vorteilsausgleich aus der Nutzung der Ressourcen.
Bisher ist der Plant Treaty das wichtigste internationale Instrument auf diesem Feld. Eine tragende Säule des Vertrags sind die Bauernrechte („farmers’ rights“). Landwirten soll ermöglicht werden, weiterhin traditionelle Sorten anzubauen und so pflanzengenetische Ressourcen nachhaltig zu nutzen. Die Bauern sollen unterstützt und für ihren wichtigen Beitrag zum globalen Genpool belohnt werden. Da sie letztlich die Hüter der lokalen genetischen Ressourcen sind, hängt von den Bauernrechten ab, ob die pflanzengenetische Vielfalt für die globale Nahrungsmittelsicherheit auf Dauer erhalten bleibt. Vor allem müssen Bauern frei darüber entscheiden dürfen, wie sie Samen aus der eigenen Ernte am besten nutzen.
Bauernrechte
Der Plant Treaty würdigt den enormen Beitrag früherer, heutiger und künftiger Bauern zur pflanzengenetischen Vielfalt, welche die Grundlage der menschlichen Nahrungsproduktion bildet. Folglich haben sich die unterzeichnenden Länder verpflichtet, die Bauernrechte zu implementieren. Der Vertrag definiert diese Rechte aber nicht präzise, weil sich die Lage der Landwirte von Land zu Land stark unterscheidet. Deshalb sind die Regierungen dafür verantwortlich, Bauernrechte nach örtlichen Gegebenheiten und Prioritäten zu implementieren.
Der Plant Treaty nennt vier zentrale Aspekte:
- das Recht, eigenes Saatgut aufzubewahren, zu nutzen, zu tauschen und zu verkaufen;
- der Schutz des traditionellen Wissens über pflanzengenetische Ressourcen;
- das Recht zum fairen und gleichberechtigten Ausgleich der Vorteile, die aus der Nutzung der Ressourcen entstehen, sowie
- das Recht auf Teilhabe an nationalstaatlichen Entscheidungsprozessen zur Agrarbiodiversität.
Trotz großer Herausforderungen, gibt es in verschiedenen Ländern bereits Projekte, politische Konzepte und Gesetze zur Verwirklichung der Bauernrechte. Das Farmers’ Rights Project des Fridtjof Nansen Instituts sammelt solche Erfolgsgeschichten:
- Indien etwa hat ein einzigartig weitreichendes Gesetz geschaffen, das Bauern das Recht gibt, Saatgut aus der Ernte aufzubewahren, zu nutzen, zu tauschen und zu verkaufen (sie Suman Sahai auf Seite 159-161).
- In Peru dient ein Kartoffelregister-Projekt dazu, traditionelles Wissen vor dem Vergessen zu bewahren.
- In Simbabwe fördern gemeinschaftliche Saatgutmessen den Austausch von Samen und damit die genetische Vielfalt.
- In Nepal hat die Veredelung traditioneller Sorten dazu beigetragen, den Lebensstandard von Bauern zu verbessern und sie an Zucht, Vermarktung, Saatgutregistrierung und -auswahl zu beteiligen. Sie profitieren nun von der Diversität, die sie hüten.
Institutionen, die Armut im ländlichen Raum bekämpfen, sollten sich für die Bauernrechte einsetzen. Tendenziell hängen die armen Leute auf dem Land von den Landsorten ab, denn diese Pflanzen sind robust und brauchen keinen teuren Input. Traditionelle Nutzpflanzen halten die Armen buchstäblich am Leben – also ist es sinnvoll, in dieses Potential zu investieren. Um überzeugende lokale Modelle auf der nationalen Ebene zu replizieren, sind Capacity Building und Geld nötig. Die Durchsetzung der Bauernrechte muss politisch unterstützt werden, weshalb der Plant Treaty eine wichtige Rolle für die Entwicklungszusammenarbeit vorsieht.
Hochertragssorten und kommerzielle Landwirtschaft sind selbstverständlich weiterhin nötig – nicht zuletzt, um die wachsende Städtbevölkerung zu versorgen. Aber wir müssen verstehen, dass es bei der Ernährungssicherung und der Armutsbekämpfung vor allem darauf ankommt, dass das Potential der Agrarproduktion auf marginalen Flächen zu steigern, was zugleich die pflanzengenetische Vielfalt schützen wird.
Ob es unserer Generation gelingt, die Lebensversicherung der Armen zu bewahren – also die genetische Erosion zu bremsen und die bestehende Agrarbiodiversität zu erhalten – hängt letztlich von der Durchsetzung der Bauernrechte ab.