Demokratie
Die wirkliche Krise des ANC
Der ANC (African National Congress) feiert in diesem Jahr seine Resolutionen, die zum hundertjährigen Bestehen 2012 gefasst wurden, und gedenkt seines herausragenden Anführers, Oliver Tambo. Der berühmteste Parteiführer war natürlich Nelson Mandela. Die Feierlichkeiten will der ANC nutzen, um Erfolge und Misserfolge seit seiner Regierungsübernahme 1994 zu beleuchten. Außerdem hat sich die Partei erneut zur Freiheitscharta verpflichtet, in der die Forderungen der schwarzen Befreiungsbewegung vom Jahr 1955 festgehalten sind.
Allerdings steckt die Partei selbst in der Krise, intern wüten heftige Konflikte. Denn tatsächlich ist es dem ANC nicht gelungen, die Versprechen der Befreiungsbewegung zu erfüllen und soziale Gerechtigkeit zu schaffen.
Die Medien machen gern Präsident Jacob Zuma und seine korrupten Freunde für die Krise verantwortlich. Das ist zwar nicht völlig falsch, aber eben auch nicht alles. Das Kernproblem ist die politische Kultur des ANC.
Der ANC versteht sich als offene Partei für alle – Kommunisten, Liberale und Kapitalisten. Dieses Gemeinsamkeitsgefühl wurde als seine wunderbare Stärke gefeiert, auch wenn die Partei nicht in der Lage war, soziale Konflikte durch Kompromisse zu lösen.
Der ideologieübergreifende Ansatz des ANC funktionierte bei den Verhandlungen, durch die Südafrika 1994 zu einer echten parlamentarischen Demokratie wurde. Das war wohl genau das, was gebraucht wurde, um das rassistische Apartheid-Regime zu überwinden.
Ab 1994 aber funktionierte das Konzept der „Partei für alle“ nicht mehr. Die soziale Ungleichheit in Südafrika bleibt immens und wurde vermutlich sogar noch größer. Die meisten Schwarzen haben nach wie vor keine Chancen. Diese Kluft zeigt sich nirgends so deutlich wie beim Grundbesitz: Während eine weiße Elite noch immer privilegiert ist, leben Massen von Schwarzen in übervölkerten Townships und informellen Siedlungen.
Der ANC versprach, die Frage des Grundbesitzes zu lösen. Seine Landumverteilungspolitik basierte auf Freiwilligkeit und hieß „williger Käufer, williger Verkäufer“. Dieser Ansatz hat bislang zu nichts geführt, und der ANC diskutiert seit langem Alternativen. Es gibt aber noch keine neue Strategie.
ANC-Mitglieder beschuldigen die Führung nun der Doppelzüngigkeit. Sie spreche die Sprache der armen schwarzen Mehrheit und schütze aber die wenigen – meist weißen – Privilegierten. Einer Handvoll Schwarzer gestatte sie den Aufstieg zu bürgerlichem Wohlstand.
Da eine sinnvolle Umverteilung unmöglich ist, solange die Regierungspartei eine Partei für alle bleibt, ist das Versprechen eines gesellschaftlichen Wandels eine reine Lüge. Auch fehlt dem ANC eine demokratische Kultur. Die Führer sind geprägt von der Zeit des Befreiungskampfes, als die Organisation illegal war. Damals war absolute Loyalität eine Frage von Leben und Tod, und es war undenkbar, die Führer herauszufordern. Bis heute fordern sie absolute Loyalität.
Deshalb findet eine offene innerparteiliche Debatte nicht statt und die Mitglieder können die Parteispitze nicht zur Verantwortung ziehen. Die Partei diskutiert keine politischen Optionen und deren Auswirkungen und setzt sie dann überzeugend um. Dabei sollte so was öffentlich passieren.
Um etwas zu verändern, braucht der ANC ein kohärentes Programm, das der schwarzen Mehrheit Chancen bietet. Nur so könnte die Partei den 1955 in der Freiheitscharta festgeschriebenen Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit verwirklichen. Solange der ANC vorgibt, sich für die Interessen aller einzusetzen, schützt er letztlich nur die überwiegend weiße Elite.
Ja, Zumas Korruption ist zutiefst irritierend. Letztlich spielt es aber keine Rolle, ob er den ANC führt oder jemand wie der charismatischere Nelson Mandela. Thabo Mbeki, der britisch geprägte Nachfolger Mandelas, verlor die Macht an Zuma, weil ihm der Wandel nicht gelang. Nun wird deutlich, dass auch Zuma nichts verändern wird, und seine Tage im Amt sind gezählt. In der Partei wird ein undurchsichtiger Kampf um seine Nachfolge geführt. Der ANC braucht allerdings mehr als nur einen besseren Führer. Er braucht auch mehr innerparteiliche Demokratie und ein Programm, das sinnvolle Veränderung ermöglicht.
Majaletje Mathume ist ein südafrikanischer Student und Aktivist.
majaletjet@gmail.com