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PEGNet-Konferenz 2015

Niemanden zurücklassen

Ökonomen streiten darüber, ob wirtschaftliche Transition mit wachsender Ungleichheit einhergehen muss, oder ob Armutsbekämpfung am besten gelingt, wenn Regierungen sozialer Spaltung entgegenwirken. Einigkeit besteht aber darüber, dass Grundschulbildung für alle wichtig ist, um benachteiligten Schichten Teilhabe zu ermöglichen.
Schulbesuch hilft Armut zu entkommen: Schuhe in einem Klassenzimmer in Nairobi. dem Schulbesuch hilft Armut zu entkommen: Schuhe in einem Klassenzimmer in Nairobi.

Das schlimmste Wirtschaftsszenario, das Manuel Hinds, ein ehemaliger Finanzminister von El Salvador, kennt, ist, dass ökonomische Macht und wirtschaftliche Macht eins werden. Das sei dann der Fall, wenn Regierungen in Finanzkrisen entscheiden, Banken zu retten. In solchen Situationen würden die Geldhäuser immer gewinnen. Wenn sie Profit machen, behalten sie das Geld. Wenn sie aber Verluste machen, drücken sie anderen die Konsequenzen auf.

Hinds hat auch zeitweilig für die Weltbank gearbeitet und berichtet, damals habe er Regierungen von Entwicklungsländern vor solchen Szenarien gewarnt. Es erschrecke ihn, dass in der globalen Finanzkrise genau das nun in den USA und der EU eingetreten sei. Wer die Liquidität einer Volkswirtschaft beherrsche, dürfe nicht zusätzlich die Politik bestimmen, denn dann leide das Gemeinwohl.

Ungleichheit hält Hinds dagegen für kein Problem. Technische Revolutionen bedeuteten meist, dass einige Unternehmer sehr schnell sehr reich und sehr einflussreich würden. Wichtiger sei aber, dass mittelfristig die ganze Gesellschaft prosperiere, sodass auch die breite Mehrheit bessergestellt werde. China nennt er als Beispiel für spektakuläres Wachstum, an dem nicht alle im gleichen Maß teil hatten, das aber gesellschaftliche Armut rasant reduzierte.

Ungleiche Einkommen sind in dieser Perspektive eine Konsequenz des Fortschritts, und der wesentliche Aspekt sei, dass die gesamte Volkswirtschaft von diesem Fortschritt profitiert. Dass das nicht für jedes Individuum im gleichen Maß stimmt, ist für Hinds zweitrangig. Weniger erfolgreiche Menschen müssten aber sozialen Schutz genießen. Alle müssten Zugang zum Gesundheitswesen haben, und alle Kinder müssten eine Grundbildung bekommen. Zugleich hänge Entwicklung aber auch davon ab, dass eine hochqualifizierte Elite ausgebildet werde. 

Stephan Klasen von der Universität Göttingen sieht die Dinge etwas anders. Er urteilt, Ungleichheit könne Transformation und Wachstum blockieren. Das sei der Fall, wenn mächtige Eliten sicherstellen, dass Zuwächse nur ihnen selbst zugute kommen (siehe auch Artikel "Globalisierung richtig gestalten"). Klasen weist zudem darauf hin, dass beispielsweise in Südkorea und Taiwan der ökonomische Wandel nicht von dramatisch wachsender Ungleichheit begleitet wurde. Solch ein Entwicklungspfad sei dort wahrscheinlich, wo Grundbesitz, Ersparnisse und Bildungsabschlüsse relativ fair verteilt seien, denn von solchen Dingen hänge ab, ob Menschen ökonomische Chancen nutzen können.

Auch Klasen verweist auf das Beispiel China. Dort sei die Armut in den ersten Jahren der Liberalisierung nach der Mao-Ära besonders schnell zurückgegangen, als die Lebensverhältnisse vor allem im ländlichen Raum verbessert wurden. Nachdem sich in dieser Zeit einige Chinesen erhebliche Startvorteile verschafft hatten, seien aber in den vergangenen zwei Jahrzehnten Wirtschaft und Ungleichheit schnell gewachsen, ohne dass die Armutsbekämpfung im vorherigen Tempo vorangekommen sei.  

Klasen spricht sich für Umverteilung aus. Relevant seien Steuer-, Sozial- und Bildungspolitik. Grundschulen hält Klasen für besonders wichtig, aber auch sekundäre und tertiäre Bildung trügen zum Entwicklungsprozess bei. Aus seiner Sicht soll der Staat Infrastruktur aufbauen, die Herausbildung von Humankapital fördern, den ländlichen Raum entwickeln und allen den Zugang zum Gesundheitswesen ermöglichen. Dann könnten nämlich besonders viele Menschen von Wachstum profitieren.  

Nach Einschätzung von GIZ-Experte Georg Schäfer kann Ungleichheit ökonomische Transformation sogar ganz unmöglich machen. Das gelte vor allem für die am wenigsten entwickelten Länder, in denen breite Bevölkerungskreise von Politik und Wirtschaft ausgeschlossen seien. Das sagte Schäfer bei der diesjährigen Konferenz des Poverty Reduction, Equity and Growth Networks (PEGNet) im Oktober in Berlin. Zu PEGNet gehören Forschungseinrichtungen und Entwicklungsinstitutionen; das Thema war diesmal „Pro-poor growth“ (siehe auch Essay in E+Z/D+C-e-Paper 2015/08, Seite 32). Schäfer zufolge hat Ungleichheit negative Auswirkungen auf die Effizienz der Ressourcenverwendung, Aufstiegschancen, gesellschaftlichen Zusammenhalt und politische Stabilität.    

Schäfer warnt zudem, wachsende Ungleichheit behindere auch wachsende Volkswirtschaften vermutlich stärker als gemeinhin angenommen. Bisher laute die Devise im internationalen Diskurs, Wachstum solle möglichst nicht staatlich gestört werden. Allerdings müsse sich die Politik früher oder später mit Ungleichheit befassen, und Schäfer hält es für wichtig, damit nicht zu lange zu warten.

Augustin Fosu von der University of Ghana betont, dass es unterschiedliche Arten von Ungleichheit gibt. Ungleiche Einkommen seien weniger problematisch als ungleicher Zugang zu Bildungs- und Gesundheitswesen. Wenn diese Dinge dem Markt überlassen würden, führe Einkommensungleichheit zu ungleichem Zugang und letztlich zur Ausgrenzung der Armen. Staatliches Handeln einschließlich der Entwicklungshilfe (official development assistance – ODA) müsse dem entgegenwirken.

In der Volkswirtschaftslehre wird Ungleichheit mit dem Gini-Koeffizienten gemessen. Weltweit geht dieser Indikator seit einiger Zeit zurück. Fosu findet das gut, betont aber, dass dieser Trend persönlich kaum wahrgenommen werde. Menschen mäßen ihr eigenes Schicksal schließlich nicht an weltweiten Durchschnittswerten, sondern an den Verhältnissen in ihrem Land – und die Gini-Koeffizienten nähmen für fast alle Länder zu. Entsprechend wachse das politische Interesse am Thema weltweit. 

Angesichts der besonders knappen öffentlichen Haushalte in den am wenigsten entwickelten Ländern rät Fosu Regierungen dort, vor allem Grundschulbildung zu finanzieren. Sie sollten sich auch um Chancen in der sekundären und tertiären Bildung kümmern, könnten dabei aber dem Privatsektor eine größere Rolle überlassen. Fosu warnt, die großzügige Förderung der höheren Bildung sei eine Fehlallokation, denn sie führe zu Braindrain: „Bildet sie aus, dann ziehen sie weg.“ Für Grundschulen gelte das nicht. Sie brächten Menschen, die voraussichtlich im Land blieben, lesen, schreiben und rechnen bei.

Hans Dembowski

 

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