Mehrfache Krise
Schwerer Rückschlag
Schon vor Corona hat die Ernährungssicherheit weltweit abgenommen. Laut der Studie „Global Report on Food Crisis 2020“ des Welternährungsprogramms stieg die Zahl der Menschen, die von einer unsicheren Ernährungslage betroffen waren, zwischen 2018 und 2019 von 113 Millionen auf 135 Millionen. Rund ein Fünftel davon stammte aus den Mitgliedsländern der ostafrikanischen Organisation IGAD (Intergovernmental Authority on Development): Dschibuti, Äthiopien, Eritrea, Kenia, Somalia, Uganda und Sudan. Laut der UN-Welternährungs- und Landwirtschaftsorganisation sind sie normalerweise auf rund 8,5 Millionen Tonnen Getreideimporte pro Jahr angewiesen.
Landwirtschaft ist in dieser Weltregion mit Abstand der wichtigste Wirtschaftszweig. Doch aufgrund der Klimakrise sind Regenfälle weniger vorhersehbar geworden, worunter die regenabhängige Landwirtschaft stark leidet. Immer häufigere Dürren und Überschwemmungen bedrohen die Lebensgrundlagen (siehe hierzu meinen Kommentar im E+Z/D+C e-Paper 2017/05, Debatte). Die nötige Infrastruktur, um dem Klimawandel zu trotzen, ist noch nicht in ausreichendem Maße aufgebaut.
Dieses Jahr ist die Lage besonders schlimm. Zum einen gibt es eine verheerende Heuschreckenplage, die auf ungewöhnliche Witterungsbedingungen zurückzuführen ist. Ostafrika ist seit Jahrzehnten nicht mehr so stark von diesen Insekten befallen worden. Die IGAD-Länder hätten schon Schwierigkeiten, allein mit diesem Problem fertigzuwerden. Doch es gibt leider noch weitere.
Covid-19 breitet sich in der Region aus. Die Pandemie ist relativ spät hierher gekommen: in der zweiten Märzhälfte. Zunächst waren die Zahlen niedrig, doch Mitte Mai hat sich das plötzlich geändert. Mitte Juni zählte das kleinste IGAD-Land Dschibuti laut worldometers.info 4 500 Infizierte und 43 Tote. Aufgrund der aktuellen Gesundheitskrise haben die Regierungen die Sorgen der Kleinbauern und Viehhalter kaum noch im Blick.
Die Möglichkeiten der Staaten sind in diesem Teil der Welt ohnehin eher gering – das Gleiche gilt für die Infrastrukturen. Kleinere Ernten bedeuten höhere Lebensmittelpreise. Subsistenzbauern leiden besonders. Die meisten Menschen leben von der Landwirtschaft, eine Krise in diesem Bereich verstärkt also zwangsläufig die Armut. Auch das Selbstwertgefühl und der soziale Zusammenhalt leiden darunter. Als weiteres Problem kommt hinzu, dass die Gesundheitssysteme durch Covid-19 noch überforderter sind als ohnehin schon. Malaria, Masern, Guineawurm und andere Krankheiten bekommen nicht mehr die nötige Aufmerksamkeit. Impfprogramme und die tierärztliche Versorgung für Viehzüchter sind stark zurückgegangen.
Bei Katastrophen springt die internationale Gemeinschaft normalerweise ein. In diesem Jahr haben die Regierungen jedoch genug Sorgen im eigenen Land. Und leider haben es die afrikanischen Länder bisher nicht geschafft, so über Grenzen hinweg zusammenzuarbeiten, wie es die Pandemie erfordern würde. Dass viele Länder unter politischer und gesellschaftlicher Instabilität leiden, macht die Lage noch schwieriger.
Ostafrika hat in den vergangenen 20 Jahren Fortschritte gemacht. Die Ernährungssicherheit ist gestiegen, die Armut hat abgenommen, und Gesundheit und Bildung haben sich verbessert. Dazu haben zwei UN-Initiativen wesentlich beigetragen: die Millennium Development Goals und seit 2015 die Sustainable Development Goals. Die internationale Gemeinschaft darf nicht zulassen, dass diese positiven Entwicklungen zunichtegemacht werden. In der Wiederaufbauphase nach der Coronakrise brauchen die stark betroffenen Länder besondere Aufmerksamkeit.
Belay Begashaw leitet das Sustainable Development Goals Center for Africa (SDGC/A) in Ruandas Hauptstadt Kigali.
bbegashaw@sdgcafrica.org