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G20

Soziale Präsidentschaft in schwierigen Zeiten

Brasilien übernimmt die G20-Präsidentschaft bis November 2024. Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hofft, damit auch Brasiliens internationale Rolle nach den Bolsonaro-Jahren zu stärken, steht aber in Zeiten geopolitischer Verwerfungen vor einer großen diplomatischen Herausforderung.
Präsident Luiz Inácio Lula da Silva auf dem diesjährigen G20-Gipfel in Neu-Delhi. picture-alliance/REUTERS/Anushree Fadnavis Präsident Luiz Inácio Lula da Silva auf dem diesjährigen G20-Gipfel in Neu-Delhi.

Ab dem 1. Dezember 2023 übernimmt Brasilien bis November 2024 die rotierende Präsidentschaft der Gruppe der 20 (G20), die jetzt, nach der Aufnahme der Afrikanischen Union beim letzten Gipfeltreffen in Indien, eigentlich aus 21 Mitgliedern besteht.

Die brasilianische Regierung wird somit für die Organisation des Gipfeltreffens der Staats- und Regierungschefs sowie der G20-Ministertreffen im Jahr 2024 verantwortlich sein. Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva strebt an, die G20-Präsidentschaft zu einem außenpolitischen Meilenstein zu machen, der die Rückkehr Brasiliens auf die internationale Bühne nach der isolationistischen Regierung seines rechtsextremen Vorgängers Jair Bolsonaro festigt.

Die Präsidentschaft hat grundsätzlich die Aufgabe, die vorrangigen Themen für Arbeitsgruppen, Taskforces und Initiativen festzulegen. Dies schließt die Gründung einer Reihe von sogenannten Engagement-Gruppen ein, die Vertreter*innen des Privatsektors (B20), Gewerkschaften (L20), Wissenschaft (S20), Frauen (W20), Jugendbewegungen (Y20) sowie Organisationen der Zivilgesellschaft (C20) eine Stimme verleihen sollen. Die brasilianische Regierung bereitet ein ereignisreiches Programm für 2024 in 15 Städten vor, das im Gipfeltreffen in Rio de Janeiro am 18. und 19. November 2024 seinen Höhepunkt finden wird.

Schwierige Konsensbildung

Brasilien übernimmt die G20-Präsidentschaft zu einer Zeit, in der die geopolitische Fragmentierung und die Bildung von politischen Blöcken die politischen Konsensbildungsformate der internationalen Gemeinschaft erschweren, wie das letzte G20-Treffen in Indien gezeigt hat.

Die Relevanz der G20 aufrechtzuerhalten ist 2024 Hauptaufgabe. In der G20 kommen sowohl die Schwellenländer der BRICS-Gruppe als auch die Industriestaaten der G7 zusammen. Zuletzt hatte China trotz Skepsis aus Indien und Brasilien die Erweiterung der BRICS vorangetrieben und das letzte G20-Treffen in Indien boykottiert. Eine große Herausforderung für die brasilianische Diplomatie wird sein, konkrete und relevante Ergebnisse zu liefern und einen Konsens zu bilden.

Folgende Schwerpunkte wurden von Lula da Silva in Indien angekündigt:

  • Klima und nachhaltige Entwicklung,
  • Reform multilateraler Institutionen,
  • Armutsbekämpfung, Bekämpfung sozialer Ungleichheit, Ernährungssicherheit,
  • gerechte Besteuerung, Auslandsverschuldung, neue Ansätze der Entwicklungsfinanzierung, Umstrukturierung der globalen Finanz-Governance,
  • Rassismus und Gendergerechtigkeit als Querschnittsthemen.

Insbesondere die Reform des UN-Sicherheitsrats durch die Aufnahme neuer ständiger Mitglieder ist ein altes Anliegen Brasiliens. Die brasilianische Präsidentschaft ist eine Chance, diese Reformen voranzutreiben, vor allem vor dem Hintergrund der geopolitischen Umstrukturierung durch den russischen Angriff auf die Ukraine, die neu definierte Rolle Chinas als aufstrebende Macht und die Ohnmacht und wechselseitige Blockade der Vetomächte des Sicherheitsrats angesichts der Terrorattacke der Hamas und der militärischen Besetzung des Gazastreifens durch Israel.

Brasilien könnte in einigen Aspekten anders und innovativer vorgehen als bisherige Länder. So strebt Lula da Silva einen G20-Prozess mit sozialer Partizipation an. Im unmittelbaren Vorfeld des G20-Treffens im November 2024 soll ein Sozialgipfel stattfinden. Das wäre eine signifikante Veränderung. Der G20-Prozess bot nie großen Raum für die Beteiligung der Zivilgesellschaft. Nur wenige nichtstaatliche Akteure waren bisher an den Treffen beteiligt.

Insbesondere im Hinblick auf globale Wirtschafts- und Finanzsysteme möchte Brasilien die Diskussionen für die Zivilgesellschaft und andere in den Engagement-Gruppen organisierte Akteure öffnen. Diese sollen direkt mit der Gruppe der Sherpas (die als Unterhändler den G20-Prozess im Auftrag der Außenministerien steuern und die Abschlusserklärung aushandeln) in Dialog treten und eigene Policy-Stellungnahmen einbringen können.

Die Schwerpunkte Brasiliens entsprechen den Grundsätzen einer gerechten Übergangsperpektive („just transition“), nach der auch die deutsche Entwicklungszusammenarbeit ausgerichtet ist. Die brasilianische Präsidentschaft bietet Deutschland so eine Möglichkeit, diese Themenfelder international und im Dialog voranzutreiben.

Luiz Ramalho ist unabhängiger Entwicklungsberater und ehemaliger leitender Angestellter der GIZ.
ramalho.berlin@gmail.com