Cheaponomics
Billig ist teuer
Die Discounter und Kaufhäuser in den Industrienationen sind voll mit billigen Lebensmitteln, Kleidung, Elektronikartikeln, Spielzeug und anderen Waren. Käufer würden diese Produkte zwar rechtmäßig erwerben, den tatsächlichen Preis aber nicht bezahlen, mahnt Carolan. Die billigen Preise kämen nur auf Kosten von Menschen in armen Ländern zustande.
Sie verdienten Hungerlöhne und arbeiteten in Fabriken oder Minen unter Beeinträchtigung ihrer Gesundheit. In fragilen Staaten wie der Demokratischen Republik Kongo führe der Kampf um wertvolle Rohstoffe wie Coltan, das für die Herstellung von Handys gebraucht wird, zu Terror von Milizen. Obendrein belastet die Produktion billiger Waren laut Carolan meist die Umwelt.
Der Autor erklärt, dass die Billigwarenwirtschaft auch in reichen Staaten negative Folgen habe, weil sie den Niedriglohnsektor wachsen lasse. Menschen gäben sich mit immer niedrigeren Löhnen zufrieden, weil auch Waren immer billiger würden. Carolan erklärt, die Gesellschaft zahle für Geringverdiener mit. Denn sie seien häufig auf staatliche Zusatzleistungen wie Sozialhilfe oder Wohngeld angewiesen, für die wiederum Steuermittel benötigt werden.
Verbraucher in den reichen Ländern wüssten zwar teils um die wahren Kosten ihrer Billigwaren, glaubt der Autor. Sie machten sich darüber aber meist keine Gedanken oder zögen aus dem Wissen jedenfalls keine Konsequenzen.
Am meisten Gewinn aus der ruinösen Billigproduktion zögen die Großkonzerne, erklärt der Soziologieprofessor von der Colorado State University. Sie bezahlten weder die Arbeiter vernünftig, noch ließen sie umweltverträglich produzieren, weil dies teuer sei. Carolan hält das für symptomatisch für das gegenwärtige Wirtschaftssystem, das Gewinne auf einige wenige Teile der Gesellschaft, die Kosten aber auf die breite Mehrheit verteile. Carolan nennt das „Cheaponomics“.
Der Autor liefert für einzelne Waren und Branchen eine solide belegte Analyse der versteckten Kosten. Er zeigt zudem Lösungen auf. Zuallererst findet er, dass wir uns von eingefahrenen Denkweisen abkehren und neue Perspektiven erwägen sollten. Zwei Beispiele: „Es ist möglich, sich gegen (permanentes) Wirtschaftswachstum auszusprechen, aber für wirtschaftliche Aktivität einzutreten.“ Und „Kritik an der Marktgesellschaft ist kein Ruf nach mehr Staat“.
Carolan streicht wichtige Punkte heraus, die jeder aus der Lektüre mitnehmen sollte:
- Die Preise billiger Waren und Dienstleistungen sind illusionär, denn sie kommen anderen Menschen – jetzt und in der Zukunft – teuer zu stehen.
- Selbst für Verbraucher ist Billigware eine Illusion, denn billig produzierte Ramschware geht schnell kaputt und muss nachgekauft werden.
- Tatsächliche Kosten zu berücksichtigen macht Waren kurzfristig teurer, aber nicht langfristig, weil Haltbarkeit auch wichtig ist.
- Teurere Preise bedeuten nicht unbedingt, dass man sich weniger leisten kann. Es kommt darauf an, Konsum, Arbeit und Freizeit klüger zu organisieren.
- Cheaponomics beruht auf einem zu engen Verständnis von Märkten, das nicht alle Folgen wirtschaftlichen Handelns berücksichtigt.
Der Autor wünscht sich über das Thema Cheaponomics einen Dialog in Politik und Gesellschaft und spricht konkrete Handlungsempfehlungen aus. Aus seiner Sicht geht es nicht um marktwirtschaftliche, sondern um soziale und politische Probleme. Der Soziologe fordert mehr Transparenz und Demokratie – etwa bei wichtigen Institutionen wie der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds. Eine weitere Empfehlung Carolans ist die Einführung und Durchsetzung von Kartellgesetzen, um Unternehmen besser kontrollierbar und Preise stabiler zu machen. Zudem spricht der Autor sich für Insolvenzregeln aus, die private und staatliche Gläubiger vor ruinösen Zinsforderungen schützen. Carolan fordert zudem höhere Steuern für Reiche.
Sabine Balk
Literatur:
Carolan, M., 2015: Cheaponomics: Warum billig zu teuer ist. Oekom Verlag.