Entwicklung und
Zusammenarbeit

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Biologische Vielfalt

Produktive Kleinbauern

Die Debatte über die Ausrichtung ländlicher Entwicklung und Hungerbekämpfung ist neu entbrannt. Unvereinbar scheinen die Positionen der Verfechter eines technologie- und marktorientierten Ansatzes und jenen, die lokale Gegebenheiten und strukturelle Aspekte berücksichtigen.

[ Von Roman Herre ]

Auf dem Welternährungsgipfel 1996 hat die Weltgemeinschaft beschlossen, die Zahl der Hungernden bis 2015 zu halbieren. Doch statt abzunehmen, ist die Zahl der Hungernden bis heute gestiegen – um über 50 Millionen Menschen auf weltweit 854 Millionen. Knapp 80 Prozent von ihnen leben im ländlichen Raum. Trotzdem hat die Entwicklungspolitik in den vergangenen Jahrzehnten das Thema vernachlässigt. Dabei beruht Ernährungssicherheit vorwiegend auf kleinbäuerlicher Produktion.

Viele Entwicklungsländer sind von Lebensmittelimporten abhängig geworden. Dass die Nahrungsmittelpreise – nicht zuletzt wegen der zunehmenden Nachfrage nach Agrartreibstoffen – steigen, ist kein gutes Zeichen.

Mittlerweile interessieren sich die Geber wieder für Agrarfragen. Die knapper werdenden natürlichen Ressourcen sind hart umkämpft. Andererseits organisiert sich heute auch die Landbervölkerung armer Staaten zunehmend.

Multilaterale Akteure wie Weltbank oder Global Donor Platform on Rural Development favorisieren eine am Weltmarkt ausgerichtete, agroindustrielle Landwirtschaft. Sie wird als Zulieferer für globale Supermarktketten gesehen. Solche Konzepte werden seit 50 Jahren mit dem Verweis auf Produktivität und Menge begründet.

Heute befürwortet die Alliance for a Green Revolution in Africa, eine Initiative der Rockefeller- und Gates-Stiftungen, mit solchen Argumenten den Anbau patentierter Hochertragssorten, auch gentechnisch veränderter Pflanzen. Diese benötigen aufwendige Bewässerung, Düngung und Pestizide. Diesen kapitalintensiven Ansatz kann sich die ländliche Bevölkerung vielerorts aber kaum leisten, was selbst der jüngste Weltentwicklungsbericht der Weltbank feststellt.

Kleinbauern, Landlose, indigene Gemeinschaften und Frauenorganisationen setzen auf die multifunktionale kleinbäuerliche Landwirtschaft. Nicht nur betriebswirtschafliche Kalküle spielen für sie eine Rolle. Es geht um lokale und nationale Ernährungssicherung, Arbeit und integrale Bestandteile ländlicher Kultur und Wissenssysteme.

Nicht Monokultur und genmanipulierte Cash Crops helfen gegen Armut und Hunger, sondern Mischanbau, Artenvielfalt und lokal angepasstes Saatgut. Charakteristisch für diese Art der Landwirtschaft ist neben der ökologischen Nachhaltigkeit eine geringe Kapitalisierung und hoher Arbeitseinsatz – maßgeschneidert für die marginalisierten ländlichen Gruppen.

Hochertragssorten hingegen brauchen extrem viele Nährstoffe, was die Böden auslaugt und Düngen notwendig macht. Sie sind zudem anfällig für Klimaschwankungen und Schädlinge, schnell kommt es zum kompletten Ernteausfall – was gerade die Ärmsten nicht kompensieren können. In Mischkulturen sind oft einige Sorten resistent, somit ist nicht immer gleich die ganze Ernte dahin.

Befürwortern einer kleinbäuerlichen Landwirtschaft wird oft Romantisierung vorgeworfen. Etliche Studien zeigen aber, dass standortgerechter, nachhaltiger Landbau und kleinbäuerliche Landwirtschaft sehr produktiv sind. Der angepasste organische Landbau im Süden ermöglicht fast doppelt so hohe Erträge wie die konventionelle Landwirtschaft.

In der EU etwa wird weniger als ein Prozent der Agrarforschungsgelder für organischen Landbau aufgewendet. Jahrzehntelang flossen öffentliche und private Mittel in technologiefixierte Ansätze. Welche Potenziale eine gleichberechtigte Förderung frei legen würde, liegt auf der Hand. Dabei geht es nicht nur um möglichst hohe Erträge oder gar Gewinne. Zentral sind auch sichere Erträge und gesicherte Ernährung – besonders in Krisenzeiten.
Hauptgrund für den drastischen Rückgang der Kultursorten, und damit der genetischen Vielfalt, ist die Ausbreitung der industriellen Landwirtschaft. Der Anbau weniger Hochertragssorten verdrängt diversifizierte, kleinteilige landwirtschaftliche Systeme. Die Grüne Revolution hat diese Entwicklung vorangetrieben.

Lebenswichtige Sortenvielfalt

Auf den Philippinen wurden vor der Grünen Revolution über 3000 verschiedene Reissorten angebaut. 20 Jahre später gab es auf 98 Prozent der gesamten philippinischen Anbaufläche nur noch zwei Reis-Varietäten. Die weltweite Erosion der Vielfalt ist enorm. Schätzungsweise 75 Prozent aller Nutzpflanzensorten gingen im 20. Jahrhundert unwiderbringlich verloren.

Vielfalt ist das Überlebensprinzip der Natur. Kultur- und Nutzpflanzenvielfalt ist die wichtigste Voraussetzung für die Anpassung an sich ändernde Umweltbedingungen, um etwa Hungersnöten vorzubeugen. In Zeiten des Klimawandels, der die Landwirtschaft besonders trifft, ist diese Fähigkeit wichtiger denn je. Entwicklungsländer werden die Auswirkungen des Klimawandels besonders spüren. Und dort findet sich das Gros der Kultur- und Nutzpflanzenvielfalt, die bis heute entscheidend ist für die Ernährungssicherheit. Wahrung und Weiterentwicklung dieser Vielfalt ist zentral, um das Menschenrecht auf angemessene Ernährung zu gewährleisten.

Eines der drängendsten Themen bleibt der Zugang zu Land. Laut Hunger Task Force der Vereinten Nationen ist die extrem ungleiche Verteilung von Boden eine Hauptursache von Hunger. Verdrängungsprozesse und Vertreibung auf der einen und extreme Landkonzentration auf der anderen Seite marginalisieren und blockieren ländliche Entwicklung.

Technologie- und marktzentrierte Ansätze verschärfen die Probleme, anstatt sie zu lindern. Oft müssen sich Kleinbauern verschulden, um die laufenden Kosten für Saatgut, Dünger oder Pestizide zu bezahlen; und wenn sie nicht mehr zahlen können, verlieren sie ihr Land. Der Weltbank-Ansatz, die Landfrage über liberalisierte Landmärkte zu lösen, ist für die ärmsten Bauern, die nicht in Boden investieren können, keine Option. Das lehrt nicht zuletzt die Erfahrung mit so genannten marktgestützten Landreformen.

Es ist notwendig, Kleinbauern den Zugang zu Land zu erhalten, dort, wo er etwa durch die Expansion von Plantagen für Biokraftstoffe gefährdet ist. Gerade jetzt weisen viele Regierungen Flächen zum Anbau von Energiepflanzen aus, ohne Rücksicht auf aktuelle Nutzung. Somit wird das Recht auf Nahrung verletzt. Traditionelle Landnutzungsrechte werden ignoriert, lokale Gruppen ihrer Lebensgrundlage beraubt und vertrieben. Zugleich werden althergebrachte Nutzpflanzen verdrängt.

In Ländern mit extrem ungerechten Landbesitzverhältnissen müssen umverteilende Agrarreformen Landlosen und Kleinstbauern Land verschaffen. Eine langfristig angelegte Förderpolitik ist auch im Sinne der genetischen Vielfalt wichtig. Wo Menschen Hunger leiden, weil sie kein Land und auch sonst keine Einkommensmöglichkeiten haben, sind Agrarreformen völkerrechtliche Staatenpflicht, die sich aus dem Menschenrecht auf Nahrung ergibt.

Zivilgesellschaftliche Gruppen werfen Weltbank, AGRA und GDPRD vor, an Konzernen mehr interessiert zu sein als an den Armen. Da helfen auch Modeworte wie Ownership oder Empowerment nicht – oft stehen sie nur dafür, in einem bestimmten Rahmen Akzente setzen zu können. Die Agenda wird vorher festgelegt. Das zeigt sich darin, wie die meisten relevanten multilateralen Instititutionen mit dem Thema Ernährungssouveränität umgehen: Sie ignorieren die von ländlichen Bewegungen geforderte demokratische und selbstbestimmte Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik meist einfach.

Ähnliches gilt für die Agrarreformen. Eine Stärkung des Menschenrechts auf angemessene Ernährung in der bi- und multilateralen Entwicklungszusammenarbeit würde auch die Partizipation der ländlichen Gruppen stärken und wäre ein Schlüssel für Hungerbekämpfung und ländliche Entwicklung, wo Nahrung nicht nur als Ware, sondern auch als Kulturgut begriffen wird.