Entwicklung und
Zusammenarbeit

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Fachkräftemangel

Braindrain bedenken

Deutschland leidet seit vielen Jahren unter Fachkräftemangel. Grund ist unter anderem die demografische Entwicklung. Migranten füllen viele Lücken auf dem Arbeitsmarkt, aber nicht alle. Nun soll ein neues Gesetz die Einwanderung von Arbeitskräften aus Nicht-EU-Ländern erleichtern. Dabei verdienen auch die Folgen für die Herkunftsländer Beachtung – besonders im medizinischen und Pflegebereich, dessen große Defizite die Corona-Pandemie offenbart hat.
Philippinische Pflegerin vor der Covid-19-Pandemie in deutschem Krankenhaus. picture-alliance/dpa Philippinische Pflegerin vor der Covid-19-Pandemie in deutschem Krankenhaus.

Das am 1. März in Kraft getretene Gesetz wird Deutschland als Ziel für potenzielle Migranten noch attraktiver machen – was auch dringend nötig ist: In der Bundesrepublik fehlen, wie in vielen anderen europäischen Länder auch, zigtausende Pflegekräfte. 2017 waren nach Schätzungen des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen mindestens 38 000 Stellen unbesetzt. Die Agentur für Arbeit prognostiziert, dass sich der Bedarf an Pflegekräften aufgrund der alternden Bevölkerung bis 2060 in etwa verdreifachen wird – von derzeit rund 1 Million auf 3 Millionen.

Bislang füllen Arbeitskräfte aus anderen europäischen Ländern wie Polen oder Rumänien Lücken in der Landwirtschaft, vor allem als sogenannte Saisonarbeiter, und in der Pflege – jedoch nicht alle. Defizite gibt es zudem in weiteren Arbeitsmarktsegmenten, etwa bei Ingenieuren und in der Informationstechnologie.

Die Bundesregierung hat daher 2012 die Initiativen „Make it in Germany“ und „Triple Win“ ins Leben gerufen, um gezielt Krankenschwestern und -pfleger sowie Ingenieurinnen und Ingenieure aus bestimmten Ländern anzuwerben. Auf diesem Weg kamen in den vergangenen sechs Jahren mehr als 3000 Krankenschwestern und -pfleger aus Ländern wie den Philippinen, Bosnien und Herzegowina, Serbien und Tunesien nach Deutschland. Das hat für die Herkunftsländer allerdigns nicht nur Vorteile: Ihnen gehen qualifizierte Arbeitskräfte verloren.

Der Vorwurf des Braindrains wird oft mit dem Argument gekontert, dass es in Entwicklungsländern wie den Philippinen oder Indien mehr ausgebildete medizinische Fachkräfte gebe als Stellen. Dabei werden aber oft die Ursachen für diesen Überschuss außer Acht gelassen. Die Demografie eines Landes spielt dabei eine wichtige Rolle: Die meisten Herkunftsländer haben eine vergleichsweise junge Bevölkerung. Sie verfügen über keine gute medizinische Infrastruktur, also etwa gute und ausreichend viele Krankenhäuser, um alle Fachkräfte zu beschäftigen. Deshalb stellen Länder wie Deutschland oder Kanada attraktive Alternativen für sie dar.

Trotzdem ist diese Migration ein Problem für die Herkunftsländer. Während in Deutschland nach Weltbank-Angaben 2016 13,2 Krankenschwestern und -pfleger auf 1000 Einwohner kamen, waren es in Indien und den Philippinen nur 2,1 beziehungsweise 0,2. Die Corona-Pandemie hat dieses Ungleichgewicht deutlich zutage gebracht: Deutschland hat eine hohe Anzahl an Intensivbetten für Erkrankte in kritischem Zustand, ringt aber mit dem Mangel an Personal. Länder wie Indien und die Philippinen verfügen weder über die Infrastruktur noch die Fachkräfte, um Kranke adäquat zu versorgen.

Covid-19 legt somit die Folgen des Braindrains und den mangelnden Ausbau der Gesundheitsinfrastruktur in Entwicklungsländern offen. Das sollte sowohl Herkunfts- als auch Empfängerländer von Arbeitsmigranten ins Grübeln bringen. Die Schuld für die Abwanderung von Fachkräften liegt nicht bei einzelnen Ländern, sondern ergibt sich durch ein Zusammenspiel vieler Faktoren. Migrationsanreize, wie sie etwa Deutschland und Kanada schaffen, spielen ebenso eine Rolle wie Rücküberweisungen, von denen Familien in Herkunftsländern abhängen. Win-win-Situationen sind möglich.

Ein positives Beispiel ist der „Triple Win“-Ansatz des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Er zielt darauf ab,

  • Arbeitskräfte nur dort anzuwerben, wo ein Überschuss besteht,
  • Integration durch gezielte Unterbringung in Deutschland zu fördern und
  • die Migranten dazu zu bringen, Rücküberweisungen auf legalen Wegen vorzunehmen.

Es muss allerdings noch mehr passieren. Die aufnehmenden Länder sollten die Gesundheitssysteme in Herkunftsländern stärken, indem sie sie finanziell unterstützen und medizinisches und Pflegepersonal professionell ausbilden. Die Covid-19-Pandemie zeigt, wie dringend das ist. Die Unterstützung, die die Bundesregierung Entwicklungsländern im Kampf gegen Covid-19 leistet, schließt bessere Versorgung und Ausstattung von Krankenhäusern ein. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung.


Richa Arora ist Alexander-von-Humboldt-Stipendiatin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).
https://www.swp-berlin.org