Covid-19

Internationale NGO zu Corona-Pandemie und Menschenrechte

Regierungen müssen ihre massiven Repressionen beenden – zu viele von ihnen haben Human Rights Watch zufolge unter dem Vorwand gesundheitlicher Bedenken gegen Grundrechte verstoßen. Auch müssten sich Länder mehr um soziale Sicherung kümmern, betont die internationale Nichtregierungsorganisation.
Impfung in Nairobi. Robert Bonet/picture-alliance/NurPhoto Impfung in Nairobi.

Innerhalb eines Jahres starben 2,5 Millionen Menschen an Covid-19, mindestens 110 Millionen weitere Menschen wurden infiziert. Und das ist nicht alles. In einem aktuellen Bericht dokumentiert Human Rights Watch (HRW), welchen Schaden Menschenrechte genommen haben. „Future choices: Charting an equitable exit from the Covid-19 pandemic” ist ein Appell an Regierungen, den Kurs zu ändern.

Den Autoren zufolge haben die Regierungen von mehr als 90 Ländern die Pandemie als Vorwand genutzt, um die Rede- und Versammlungsfreiheit massiv einzuschränken. Sie belegen dies anhand von Vorfällen, bei denen staatliche Stellen gegen Journalisten, Aktivisten und oppositionelle Gruppen vorgegangen sind. Die Behörden unterdrückten demnach auch abweichende Meinungen, die nichts mit der Pandemie zu tun hatten. Weltweit gibt es seither in einigen Ländern mehr Internet-Sperren und erschwerten Zugang zu Informationen.

Die HRW-Aktivisten fordern mehr Schutz für Inhaftierte in Gefängnissen und für Menschen in Einwanderungszentren vor Covid-19. Oft lebten diese in überfüllten und provisorischen Einrichtungen, meist ohne angemessene sanitäre Anlagen, Hygienekon­zepte und Zugang zu medizinischer Versorgung. Der HRW-Bericht erkennt an, dass Regierungen Inhaftierte zur Entlastung der Systeme frei gelassen haben, allerdings seien es zu wenige gewesen und politische Aktivisten kaum berücksichtigt worden.

Allgemein wurde die Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Laut HRW waren Quarantänen, Lockdowns und Reisebeschränkungen oft sinnvoll – wurden aber teils zu rabiat durchgesetzt. Zudem habe es Diskriminierungen gegeben.


Jenseits der Bürgerrechte

Der Bericht berücksichtigt zudem auch Menschenrechte und spricht über Gesundheitsversorgung, Sozialschutz, Arbeitsrechte. Die Autoren betonen, wie wichtig ein globales Vorgehen für Impfstoff-Gerechtigkeit ist, die durch gleiche Verteilung in allen Ländern zu erreichen wäre.

Sie fordern eine weltweite Stärkung der Gesundheitssysteme, die Pandemie habe vielerorts Schwächen offengelegt. Es brauche mehr Einsatz für das Recht auf Gesundheit – tatsächlich aber geschehe dies nicht, bemängelt die Organisation. So hätten sich manche Regierungen – so auch die von Afghanistan, Papua-Neuguinea und Bangladesch – ausschließlich auf Covid-19 konzentriert und Impfprogramme für übertragbare Krankheiten, die Millionen von Menschen betreffen, ausgesetzt.

Gesundheitspersonal ist extrem gefährdet und braucht mehr Schutz. Diese Menschen – meist Frauen – stehen in der Pandemie weltweit in der ersten Reihe. Die Autoren fordern zudem besseren Schutz für Menschen in Pflegeheimen und anderen Einrichtungen, wo sich das Virus schnell ausbreitet, und bedauern, dass viele Regierungen Angebote für sexuelle und reproduktive Gesundheit kürzen. Daten der Organisation International Planned Parenthood Federation zufolge seien viele Familienplanungszentren geschlossen.


Familienleben

Genderspezifische Gewalt habe während der Pandemie zugenommen, es habe mehr häusliche Gewalt gegeben, berichtet HRW. Im Zuge der Lockdowns wurden frustrierte männliche Angehörige für viele Frauen und Mädchen zur Gefahr. Zwischen Januar und März 2020 gab es in Pakistan 200 Prozent mehr Anrufe bei Notruftelefonen aufgrund häuslicher Gewalt – der Lockdown verstärkte den Trend. Auch in Italien, Indonesien und Russland soll es während der Lockdowns mindestens doppelt so viele Anrufe bei Hotlines wegen häuslicher Gewalt gegeben haben als sonst.

Die Schulschließungen während der Pandemie haben auch den Zugang zu Bildung verwehrt. Laut HRW wurden schätzungsweise 1,4 Milliarden Kinder und Jugendliche aus Vorschulen, Grundschulen und weiterführenden Schulen in 192 Ländern ausgeschlossen. Die Experten warnen, dass Schüler, die pandemiebedingt keinen Unterricht hatten, gegenüber ihren Altersgenossen langfristig benachteiligt sein könnten. Noch schlimmer sei, dass Mädchen und Jungen in Ehen oder Kinderarbeit gezwungen werden, was ihre Chancen auf Rückkehr in die Schule noch mehr mindert. Der Wechsel zu Online- und Fernunterricht hat zusätzlich jene abgehängt, die nicht die notwendigen Geräte und keinen Internetzugang haben.

Der Bericht spricht auch von einer Wohnungskrise. Menschen haben Jobs und Einkommen verloren – und so werden Wohnungen für Millionen von Menschen in reichen wie in einkommensschwachen Ländern unsicherer und weniger bezahlbar.


Leidende Arbeiterklasse

Covid-19 trifft dem Bericht zufolge wirtschaftlich und sozial besonders die Arbeiterklasse. Geschäftsschließungen hatten verheerende Folgen – vor allem für geringfügig Beschäftigte in Einzelhandel und informellem Sektor. Für Frauen sei das Risiko eines Jobverlusts viel größer; und die, die ihre Jobs behielten, haben ein höheres Ansteckungs­risiko, weil sie in der Regel am Arbeitsort mit anderen Menschen arbeiten müssen.

Arbeiterrechte spielen in der Pandemie eine Rolle, darauf bestehen die Autoren. Es habe sich deutlich gezeigt, wie wichtig es ist, sich krankmelden oder Familienurlaub machen zu können. Angemessene soziale Sicherungssysteme würden gewährleisten, dass an Corona erkrankte Arbeiter oder jene, die kranke Angehörige versorgen müssen, zu Hause bleiben können. Das würde auch die Verbreitung des Virus minimieren.

Mit Beginn der Einschränkung der Bewegungsfreiheit, und um physische Kontakte von Menschen zu reduzieren, setzen Regierungen technische Lösungen ein. Apps zur Nachverfolgung von Kontakten etwa ermöglichen digitale Überwachung. So wurden diverse persönliche und sensible Daten gesammelt und ausgewertet – von GPS über Bluetooth bis zu Standortdaten von Mobiltelefonen. HRW betont, dass derartige Technik generell Persönlichkeits- und Menschenrechte erheblich gefährdet.

Auch auf Konflikte und humanitäre Notlagen wirkt sich die Pandemie aus, weil sie Regierungen und internationaler Gemeinschaft erschwert, zu reagieren. Im Südsudan haben Restriktionen, die eine Ausbreitung des Virus verhindern sollten, auch die Umsetzung des Friedensabkommens und die Vergabe von Hilfsgütern an die bedürftige Bevölkerung verzögert.

Der Bericht betont auch die Wichtigkeit von Umwelt-Regulationen in der Pandemie. Daten aus Europa und Nordamerika zeigen, dass Covid-19 marginalisierte Gruppen, die Umweltschadstoffen in besonderer Weise ausgesetzt sind, oft besonders hart trifft. Die Autoren fordern, die Versorgung mit erneuerbaren Energien zu priorisieren, und bedauern die Rücknahme der Regula­tionen während der Pandemie.


Link
Human Rights Watch (HRW), 2021: Future choices – Charting an equitable exit from the Covid-19 pandemic.
https://www.hrw.org/report/2021/03/04/future-choices/charting-equitable-exit-covid-19-pandemic


Ronald Ssegujja Ssekandi kommt aus Uganda und studiert Entwicklungsmanagement an der Ruhr-Universität Bochum. Der Masterstudiengang ist dem AGEP, dem deutschen Verband für Postgraduiertenprogramme mit besonderer Relevanz für Entwicklungsländer, ange­schlossen. Ssekandi ist derzeit Praktikant bei E+Z/D+C.
sekandiron@gmail.com

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