Staatsfinanzen

Am Steuer

Afrikanische Regierungen stehen vor schweren Aufgaben: Sie müssen die Produktivität ihrer Volkswirtschaften steigern, sie auf Nachhaltigkeit ausrichten und zugleich die Staatsfinanzen stabil halten. Dereje ­Alemayehu von der Global Alliance for Tax Justice sagt, sie bräuchten umfassende Entwicklungsstrategien, und ein günstiges internationales Umfeld könne helfen.
„Geldwäsche in reichen Finanzzentren verschärft Probleme in Entwicklungsländern“: Frankfurter Skyline. dem „Geldwäsche in reichen Finanzzentren verschärft Probleme in Entwicklungsländern“: Frankfurter Skyline.

Privatinvestitionen können ökologische, soziale und politische Schäden anrichten. Manche Investoren achten darauf, das zu verhindern. Gebräuchlich ist dafür das Kürzel ESG-Investment – es steht für “environmental, social and governance-related imapcts”. Reicht das oder muss mehr geschehen?
Freiwilliges Handeln ist gut und kann innovative Optionen testen. Für gesellschaftlichen Wandel reicht das aber nicht. Wenn wir die Geschichte betrachten, sehen wir, dass verbindliche Regeln nötig waren, um den Achtstundentag einzuführen oder die Kinderarbeit abzuschaffen. Klare Regel und Sanktionen sind unverzichtbar.

Sind die politischen Systeme von Entwicklungsländern stark genug, um entsprechende Gesetze zu erlassen und durchzusetzen?
Es kann und sollte viel geschehen. Es geht nicht einfach um eine technokratische oder bürokratische Aufgabe. Die Umsetzung erfordert viel politischen Willen. Regierungen sollten Zivilgesellschaft und Privatsektor in die Entscheidung einbeziehen, um Rechenschaftspflichten zu schaffen. Nötig sind klare und durchsetzbare Regeln. Wenn derlei mit den betroffenen Partnern ausgehandelt wird, gelingt das eher. Mit dem nötigen politischen Willen kann eine Regierung viel erreichen.

Sind internationale Standards nötig?
Sie sind sicherlich nützlich, müssen aber dem jeweiligen nationalen Kontext angepasst werden. Nationale Behörden sind entscheidend.

Wie sieht es mit dem informellen Sektor aus? Subsistenzlandwirtschaft und Kleingewerbe leiden sicherlich oft unter der Betriebstätigkeit großer Unternehmen, ohne dass es überhaupt systematisch wahrgenommen wird.
Die entscheidende Frage ist, ob eine Regierung eine gut konzipierte nationale Entwicklungsstrategie verfolgt. Solch eine Strategie muss den informellen Sektor sowohl mit stärkeren Branchen verbinden als auch Schritte enthalten, die seine Produktivität steigern. Meist bedeutet das Formalisierung. Ohne solch eine Strategie gibt es keinen Erfolg.

Was bedeutet die Covid-19-Pandemie für die Nachhaltigkeit von Staatsfinanzen in Entwicklungsländern?
Die von der Pandemie ausgelöste Wirtschaftskrise ist doppelt problematisch. ­Einerseits reduziert sie die Staatseinnahmen, andererseits macht sie höhere Staatsausgaben notwendig. Höhere Schulden sind in diesem Szenario nicht die beste Lösung. Regierungen sollten prüfen, welche Steuer-und sonstigen Subventionen unnötig sind. Je mehr sie davon streichen, desto größer wird ihr fiskalischer Spielraum. Sie müssen jetzt alles tun, um illegitime Geldströme einzudämmen. Das gilt für die Regierung von Entwicklungsländern ebenso wie von Industrieländern. Wir dürfen nie vergessen, dass Geldwäsche in reichen Finanzzentren Probleme in Entwicklungsländern verschärft. Immense Summen fließen wegen Korruption, Steuerhinterziehung, Verbrechen und illegitimen Handelns aus Niedrigeinkommen-Ländern ab. Wichtig ist auch, dass manche Unternehmen von der Krise profitieren, und zwar besonders Internet­giganten wie Amazon und Facebook. Deren Sondergewinne müssen besteuert werden. Es gilt nun, nicht auf höhere Schulden zu setzen sondern auf die Steigerung der Staatseinnahmen.

Ist es wichtig, ob sich ein Land in seiner ­eigenen oder in einer fremden Währung verschuldet?
Ja, und Entwicklungsländer sind fast immer in einer Fremdwährung, typischerweise dem Dollar, verschuldet. Preisschwankungen von Rohstoffen auf dem Weltmarkt können plötzlich zu geringeren Deviseneinnahmen führen, in denen aber die Schulden bedient werden. Außerdem gibt es heftige Wechselkursrisiken. Die Schuldenlast wird schnell untragbar, wenn der Kurs der eigenen Währung sinkt.

Wenn Geberregierungen fiskalische Stabilität in Entwicklungsländern unterstützen wollen, sollten Sie also Kredite in deren Währungen vergeben und ESG-Standards verbindlich machen. Ist das richtig?
Das wäre jedenfalls schön. Aus meiner Sicht ist am wichtigsten, den Schuldendienst immer von der Leistungsfähigkeit der Entwicklungsländer abhängig zu machen. Eine Obergrenze in Höhe von zehn Prozent der Exporterlöse wäre beispielsweise sinnvoll. So würde verhindert, dass Überschuldung Volkswirtschaften erdrosselt. Eine Regierung im Schuldenstress wird sich immer schwertun, die Kredite neu zu verhandeln und umzustrukturieren. Besonders private Geldgeber haben daran gar kein Interesse. Die Lage wäre besser, wenn wir ein internationales Rechtssystem für Staatsbankrott hätten. Jede Volkswirtschaft hat für Privatunternehmen solche Regeln, denn sie sind nötig, damit die Zahlungsunfähigkeit einzelner Firmen nicht viele andere mit in den Abgrund reißt. Es ist absurd, dass es so etwas für Staaten nicht gibt. Geberregierungen lehnen solche Konzepte bislang ab. Im Sinne der globalen Finanzstabilität sollten sie ihre Haltung ändern.

Internationale Finanzinstitutionen wie die Weltbank haben ESG-Standards. Hilft das?
Wie ich schon sagte, sind nur rechtlich bindende und durchsetzbare Standards wirklich wirksam. Wo Institutionen schwach sind, wird Fehlverhalten nicht bestraft. Letztlich müssen die Behörden von Entwicklungsländern für Gesetzeseinhaltung sorgen. Die Regierungen müssen den Ehrgeiz haben, dass zu schaffen.

In welchem Maß unterscheidet sich die Kreditvergabe-Politik Chinas von der etablierter Geber?
Darauf gibt es keine pauschale Antwort. Es gibt auch wenig Transparenz. Einige afrikanische Länder haben hohe Schulden aufgetürmt, aber wir wissen nicht um wie viel Geld es geht, welche Konditionen gelten und wie Restrukturierungsverhandlungen laufen. Wir wissen aber, dass China durchaus auf Forderungen der Partner eingeht. Manche afrikanische Länder akzeptieren, dass chinesische Firmen 1000 Mitarbeiter ins Land bringen, um Infrastruktur zu bauen. Andere tun das nicht. Einige betreiben jetzt zusammen mit chinesischen Partnern Berufsbildung, um ­Afrikaner für diese Arbeiten zu qualifizieren. Wenn eine nationale Regierung am Steuer sitzen will, kann sie das tun. Es ist nicht Chinas Aufgabe, Afrika zu entwickeln, das ist auch nicht die Aufgabe westlicher Geber. Es ist die Aufgabe afrikanischer Regierungen. Wichtig ist, dass Letztere eine klare und umfassende Entwicklungsstrategie verfolgen.


Dereje Alemayehu ist der exekutive Koordinator der nichtstaatlichen Global Alliance for Tax Justice.
dereje@globaltaxjustice.org

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